Evangelische Christen sind in den Aufsichtsgremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vertreten

Die Königsmacher
Bei der Wahl des neuen MDR-Intendanten prallen auch politische Interessen aufeinander – Vertreter der Kirchen streiten für einen unabhängigen Rundfunk.###f03###

 

Das Telefon auf dem Schreibtisch des Rochlitzer Superintendenten Johannes Jenichen klingelt unablässig, sein Handy auch. Der Theologe aus der mittelsächsischen Stadt findet sich dieser Tage unversehens im Epizentrum eines machtpolitischen Erdbebens wieder: der Wahl des MDR-Intendanten. Jenichen ist Vorsitzender des MDR-Rundfunkrats, der den neuen Senderchef am 26. September wählen soll.

 

 

Die Kirchen haben in den Gremien der Rundfunkanstalt keinen geringen Einfluss – theoretisch.

Von den sieben Mitgliedern des MDR-Verwaltungsrats, der am 5. September den Chefredakteur der Leipziger Volkszeitung Bernd Hilder zum einzigen Kandidaten für den Intendantenposten wählte, sind vier evangelisch.

 

Erst nach vier Wahlgängen entschieden sich die notwendigen fünf Delegierten des wirtschaftlichen Aufsichtsgremiums für den Zeitungsmann Hilder. Hinter der zähen Entscheidung sieht der MDR-Verwaltungsrat Jürgen Weißbach den politischen Druck der sächsischen CDU. Fünf der sieben Verwaltungsräte stünden der CDU nahe oder seien in ihr Mitglied, sagt der evangelische Theologe aus Halle und langjährige Vorsitzende des DGB Sachsen-Anhalt.

Auch Beobachter und nicht wenige Mitarbeiter des MDR sehen das so. Der Bautzener Oberbürgermeister Christian Schramm – Vorsitzender des Rates der Diakonie Sachsen, Mitglied der sächsischen Landessynode sowie der CDU – möchte als MDR-Verwaltungsrat wegen der angespannten Debatte nichts zu der knappen Entscheidung sagen.


Abgestimmt haben die evangelischen Mitglieder der Aufsichtsgremien des Senders ihre Positionen bislang nicht. »Ich bedaure das«, sagt Verwaltungsrat Weißbach. »Die Katholiken sind da koordinierter.«

 

Um das zu ändern, haben im Vorfeld der Intendanten-Wahl die Medienverbände der sächsischen und der mitteldeutschen Kirche erstmals Empfehlungen an die evangelischen Mitglieder der Aufsichtsgremien ausgesprochen.

 

Ein neuer Intendant solle »den MDR unabhängig von der Einflussnahme Dritter« führen, heißt es in dem Papier – eine klare Absage an den Druck aus der Politik. Zudem wünsche man sich von der neuen MDR-Spitze, dass sich »der alltägliche Vollzug evangelischen Lebens angemessener als bisher in den Programmangeboten wiederfindet« und dass die Berichterstattung über die DDR-Vergangenheit nicht einer »unreflektierten Verklärung des Alltags in der Diktatur« Vorschub leiste. Beides kann auch als Kritik am Programm des Senders gelesen werden.

Nach dem Vorschlag des MDR-Verwaltungsrates hat bei der Intendanten-Wahl der Rundfunkrat des Senders das letzte Wort.

 

Dessen Vorsitzender Johannes Jenichen appelliert an die 43 Mitglieder des Gremiums, den Sender nicht dem Staat oder den Parteien auszuliefern (siehe Interview unten). Als Kirchenmann gilt der Rochlitzer Superintendent als neutraler Moderator.

Der Rundfunkrat besteht als Vertreter der Allgemeinheit aus einem engmaschigen Netz von Quoten: Delegierte aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen haben in ihm feste Sitze, Vertreter der Wirtschaft, der Bauern, der Frauen, der Jugend, der Parteien, der Religionsgemeinschaften. »Bei den Abstimmungen kommt meist eher die persönliche Meinung durch als die des Verbandes oder der Partei«, sagt Rundfunkrat Carsten Meyer, Grünen-Abgeordneter im Thüringer Landtag und davor Geschäftsführer der Diakonie in Weimar. »Es gibt hier sehr differenzierte Debatten.«

 

Die drehen sich oft um die Qualität des Programms – nicht immer ändert sich danach etwas. Noch öfter aber drehen sich die Diskussionen in letzter Zeit um Enthüllungen zweifelhafter Geldschiebereien leitender MDR-Mitarbeiter. Rundfunk- und Verwaltungsräte des Senders erfuhren davon erst aus der Zeitung. Ihr Unmut darüber war deutlich vernehmbar.

Bei der Wahl des Intendanten aber sind die 43 Rundfunkräte am Zug. Ein bloßes Abnicken wird es diesmal wahrscheinlich nicht geben. Lehnen sie Hilder ab, müssten neue Kandidaten gesucht werden. Alles scheint offen.

 

Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors:
Andreas Roth

Redaktion DER SONNTAG

 

 

 

HINWEIS IN EIGENER SACHE:

Das nächste Treffen der evangelischen Gremienvertreter findet am 25./26. Oktober beim BR in München statt

 

 

 

Interview mit dem Rundfunkrats-Vorsitzenden Superintendent Johannes Jenichen von Andreas Roth

 

Herr Jenichen, der Verwaltungsrat des MDR hat dem Rundfunkrat den Chefredakteur der Leipziger Volkszeitung, Bernd Hilder, als neuen Intendanten vorgeschlagen – ist seine Wahl schon sicher?
Jenichen: Am 26. September wählt der Rundfunkrat diesen Kandidaten – oder nicht. Für einige Rundfunkräte ist die Entscheidung nicht mehr offen. Sie entscheiden sich so wie der Verwaltungsrat oder haben sich untereinander abgestimmt und stimmen zu. Andere sind noch am Überlegen und wollen die Präsentation des Kandidaten in den Landesgruppen abwarten. Der Ausgang dieser freien und geheimen Wahl scheint demnach offen.

 

Haben Sie sich schon entschieden?
Jenichen: Meine Entscheidung steht fest, aber die ist geheim.

 

Beobachter kritisieren, die sächsische CDU versuche, auf die Wahl zugun­sten Hilders Einfluss zu nehmen – haben Sie das gespürt?
Jenichen: Auf mich hat die sächsische CDU keinen Einfluss ausgeübt. Ich bin nicht ferngesteuert und es gab auch nicht den Versuch dazu. Aber ich kann nicht für andere sprechen. Ich habe bemerkt, dass sich verschiedene Gruppen im Rundfunkrat absprechen. Die Mehrheit des Gremiums scheint mir jedoch nicht an eine bestimmte Partei gebunden. Da gibt es viele verschiedene Interessen – auch innerhalb der Parteien.

Dürfen denn Parteien und Landesregierungen Einfluss auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ausüben?
Jenichen: Eines der hohen Gebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist eine gewisse Staatsferne. Vor dem Hintergrund der DDR-Geschichte bin ich heilfroh, dass wir den öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit dem Grundsatz zur Unabhängigkeit haben. Mit uneingeschränkter Wachsamkeit haben wir eine für die Demokratie konstituierende freie Meinungsbildung zu fördern.

 

Sehen Sie es als Vorsitzender des Rundfunkrates und Vertreter der Kirche als Aufgabe, dies zu verteidigen?
Jenichen: Dass die Parteien Zustimmung gewinnen wollen, finde ich in Ordnung. Persönlich entscheide ich als freier Christenmensch in der Anwendung des biblischen Mottos: Prüfet alles und das Beste behaltet.

 

Wollen Sie diese Haltung auch in die Rundfunkrats-Sitzung zur Wahl des Intendanten hineintragen?
Jenichen: Unbedingt. Ich bitte die Rundfunkräte, dass sie nach bestem Wissen und Gewissen entscheiden. Das heißt, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk weder dem Staat noch einer gesellschaftlichen Gruppe ausgeliefert wird.