Beruf und Berufung

Am Sonntagmorgen
Beruf und Berufung
Machen, was das Herz bewegt
26.04.2015 - 08:35
26.03.2015
Pfarrer Jörg Machel

Als ich Andreas Rath in einem Pflegeheim für Demenzkranke das erste Mal traf, musste ich ziemlich lange warten. Ich war mit ihm, dem Leiter dieser Einrichtung verabredet, aber es war etwas dazwischen gekommen: eine alte Dame wollte sich die Haare nur von ihm waschen lassen und das hatte Vorrang. Heute arbeitet Andreas Rath in einer Tagespflegeeinrichtung für Demenzkranke, doch seinem Ansatz ist er treu geblieben. Die Patienten zuerst! Bevor wir ins Gespräch kommen, stellt er mir einen seiner Gäste vor.

 

Rath: Das ist unser Ossi, er heißt Oswald und wir sollen Ossi sagen, will die Ehefrau so, dass wir Ossi sagen. Also wir würden das nicht von allein machen, sondern sie spricht ihn mit Ossi an und ein Parkinsonmann, völlig in seiner Welt, ganz schwer alles mit sprechen und gehen und seit heute hat er so eine Puppe hier, so eine Handpuppe, wo man auch schön mit rein kann und seitdem strahlt er ununterbrochen und läuft rum und wir sind alle happy, das ist also ein Zufall, keine therapeutische Maßnahme, der hat die gesehen, hat die gegriffen und seitdem strahlt er und ist glücklich und wir auch. Und wir geben die ihm heute mit nachhause, damit seine Frau das sieht wie er auch schön lachen kann, er lacht nämlich zu hause nie, nur wenn wir kommen, das ärgert sie immer, sie hat die viele Arbeit und ist nett und er strahlt sie nie an und dann kommen wir in die Tür und er lacht. Das ist natürlich für eine Frau, die mit ner Pflegestufe 3 ackert, ackert, ackert ganz schön auch…  muss man verstehen. Und mit der Puppe heute hoffen wir, dass wir die Frau auch zum Strahlen kriegen, dann haben wir beiden geholfen.

 

Der Chef einer Einrichtung, der seine Termine verschiebt, um einer Bewohnerin die Haare zu waschen, der ein Gespräch damit beginnt, einen seiner Bewohner vorzustellen – für Andreas Rath, den Altenpfleger, ist sein Beruf mehr als ein beliebiger Job.

 

Rath: Als ich Leiter im Kardinal Bengsch geworden bin, das ist natürlich eine Ehre für einen und toll. Nach zwei Tagen hätte ich wegrennen können, weil die nur noch bei Zahlen behaftet waren, in Benchmarking, in Rankinglisten, in allen möglichen. Also den eigentlichen Sinn meiner inneren Persönlichkeit ich da verloren habe, bei Leuten zu sein. Hat man dann aber gut gestaltet, aber der Rückschritt vom Leiter eines Seniorenzentrums zum Leiter eines Gerontopsychiatrischen Heimes, der war schon toll, weil da warst du wieder in der Pflege habe da 34 Bewohner gehabt und konnte Leitung mit Pflege, singen, tanzen, lachen, gestalten, Feste vorbereiten, das wieder verbinden und da war man schon wieder besser aufgehoben und jetzt ist es hier in dieser Tagespflege einfach nur wunderbar, dass man alle möglichen Aspekte der Kreativität mit den Mitarbeitern hier, dass die einen Zeit lassen, dass man die Möglichkeiten hat, dass man angenommen ist in dem Irrsinn, den man auch verbreitet hier.

 

Begonnen hat Andreas Rath sein Berufsleben ganz anders.

 

Rath: Also, ich bin Hochschulingenieurökonom in der DDR gewesen und dann habe ich Heimerzieher gelernt und hier nach der Wende Altenpfleger.

 

Vom Hochschulingenieurökonom zum Altenpfleger, wie reagiert die Gesellschaft auf diesen Berufsweg?

 

Rath: Also grundsätzlich ist die gesellschaftliche Anerkennung für den Altenpflegeberuf finanziell gesehen mies. Muss man einfach so sagen. Ein äußerst schwerer Beruf im Schichtsystem, Sonnabend, Sonntag, Feiertag, drei Schichten, harte körperliche Arbeit, physischer Druck, psychischer Druck durch die Demenzen, da nützt es nicht alleine, dass man weiß, wie man damit umgehen kann, das hat was mit Ausstattung zu tun, mit Personalintensität, mit dem Pflegeschlüssel das wird ein großes Problem für dieses Land sein, die Altenpflege nicht nur verbal anzuerkennen, sondern auch finanziell anzuerkennen und mit den notwendigen finanziellen Mitteln auszustatten, dass überhaupt noch jemand Altenpfleger wird.

 

Aber wie geht es ihm selbst mit seiner Entscheidung für den Beruf des Altenpflegers?

 

Rath: Nicht das, was man mal gelernt hat ist wichtig, sondern die Praxis ist dann wichtig und die war dann für mich nichts in der Ökonomie, sondern die war dann da, wo das Leben puckert. Ja, nach der Wende habe ich dann, wie gesagt, Altenpfleger gelernt. Und Altenpfleger ist ja ein Beruf mit ner Perspektive für die alten Leute, dass ich für meine Leute, die ich dann betreue, dass ich die bis zum Ende, gut betreue und da habe ich mich dann wiedergefunden. Und das war das Genialste, was ich je gemacht habe.

 

Und Andreas Rath erzählt, wie das konkret aussieht – als Altenpfleger mit alten Menschen zusammenzuleben...

 

Rath: Mein Credo ist ja, positiv, optimistisch, freundlich, lachend, also, das ist dieses Grundanliegen, mit dem man in die Altenpflege geht und damit nimmt man ihnen Schmerzen, Einsamkeit, man bringt genau das Adäquat zu dem, was sie nicht haben, sie sind einsam, sie wohnen in ihrer Wohnung alleine, sie haben Schmerzen, sie haben Verluste, der Ehepartner ist weg und dann kommt einer oder andere oder wir als Altenpfleger und machen eben Freude, Spaß, Optimismus, natürlich auch Respekt, wir respektieren, wenn einer das nicht möchte, aber es sind ganz wenige, die meisten wollen eben in den Arm genommen werden, die wollen tanzen, singen, lachen, was erleben. Aber eigentlich bleibt man bei dem Ur-Ding, dass man sagt, man ist so wie man ist, man hat die Freude daran, man sieht dass man da richtig ist, man sieht, dass man gebraucht wird. Ich krieg das ja alles wieder, was ich da investiere. Das kriegt man ja alles wieder!

 

Die Tagespflegeeinrichtung, in der Andreas Rath arbeitet heißt die Aue und befindet sich in Berlin Wilmersdorf. Aufgefallen ist mir, dass Musik dort eine große Rolle spielt, manchmal aus dem Lautsprecher, häufig als Gesang von den Gästen.

 

Rath: Na Musik, das ist ja der Königsweg. Das ist jetzt nicht ein Begriff von mir, das ist eigentlich völlig klar. Alte Schlager, Volkslieder, ja, man kann auch die Beatles hier anbieten, das ist 50 Jahre her, also wir sind immer aufgefordert, dem Geschmack der Leute, ihren Interessen, ihrer Biografie nachzugehen. Klassik, der eine möchte Klassik, das individuelle rauszubringen und nicht nur den ganzen Tag zu dudeln. Das ist ja alles nicht das, worunter wir verstehen Musik als Königsweg. Musik als Königsweg ist zu erfahren, was möchten sie, was gefällt ihnen, was können wir anbieten. Und wir haben so ein Tablett hier mit 200 alten Schlagern von Heinz Rühmann, über die 50er 60er 70er Jahre, Volkslieder, Klassik, alles mögliche, Tanzmusik und da kriegen sie alle.

 

                Musik 1: Comedian Harmonists, Mein kleiner grüner Kaktus

 

Manchmal scheinen es gerade die Kleinigkeiten zu sein, denen Andreas Rath, der Altenpfleger, eine große Bedeutung beimisst... 

 

Rath: Also ich erinnere mich an einen Kollegen, der den anderen zusammen geschoben hat, weil der mit einem Kamm alle gekämmt hat. Und dann kam dieser Altenpfleger vorbei und hat gesagt, wenn er das noch einmal sieht, dass einer mit einem Kamm – jeder hat seinen einzelnen Kamm, jeder hat seinen individuellen Kamm und den hast du dann zu holen. Also so einen Grundansatz, von dieser Individualität an so einem Kamm mal…, also das war dann für mich ganz klar.

 

Mich interessiert, wie aus solchen kleinen Beobachtungen und Entscheidungen ein schlüssiges Gesamtkonzept entsteht -  für einen menschenwürdigen Umgang mit Demenzkranken.

 

Rath: Der Gedanke war, in diesem Haus wohnen Demenzkranke und denen gehört das. Meine Tasse kann auch deine Tasse sein, ich kann mich auch in dein Bett legen und wen stört es? Es stört eben immer nur Pflegekräfte oder Angehörige, die Demenzkranken unter sich, die kommen wunderbar klar, wenn man sie läßt, man läßt sie aber immer nicht, weil diese Ordnung sein muss und darum bin ich auf die Idee gekommen, eine Hausunordnung zu schreiben für die Angehörigen. Und jeder, der in dieses Heim eingezogen ist, musste immer diese Hausunordnung durchlesen, als Angehöriger und diese respektieren. Dann wusste er nämlich von vornherein, wenn Frau Müller die Jacke  von Herrn Meyer anhat, dann hat die Frau Müller die Jacke geklaut und Herrn Meyer hat es nicht gestört und abends bringen wir die Ordnung wieder her, indem wir die Jacke wieder zurück bringen. Aber Frau Müller hat an diesem Tag einfach gedacht, das ist ihre, die hat ihr gefallen, die hat sie angezogen und wen stört es und das müssen Angehörige lernen und Pflegekräfte und darum diese Hausunordnung. Die Gedanken von Demenzkranken dargelegt, lasst uns so leben wie wir sind.

 

Sensibilität für die Bedürfnisse der Bewohner ist entscheidend. Trotzdem werden immer wieder auch Fehler gemacht. Dann kommt es darauf an, Fehler nicht zu vertuschen, sondern daraus zu lernen. Diese Einsicht stand bei Andreas Rath ganz am Anfang seines Berufswegs als Altenpfleger.

 

Rath: Und man kann sich an sein erstes Praktikum erinnern, was man gemacht hat, wo ich früh um sechs erschienen bin und jemand sagte, hier ist der Lappen, geh mal zu Frau Meyer und pfleg die, die ist ganz einfach. Dann kam man in einen Raum zu Frau Meyer, ich hatte noch nie eine alte Frau gesehen, die war adipös, sehr, sehr dick, hatte Fieber und es roch nach Stuhl in diesem Raum und der war überheizt, weil es Winter war. Und da haben die mich praktisch allein rein geschickt, aber nach einer Stunde hatte ich die Frau dann irgendwie so, ich war pitschnassgeschwitzt vor Aufregung und keine Ahnung, kam raus und die haben mich zusammengeschoben, warum es so lange gedauert hat und so. Und dann bin ich zu der Leiterin gegangen fiktiv meinen Lappen fallen lassen und habe gesagt, in ihrem Haus möchte ich nicht mehr arbeiten und die Leiterin hat gesagt, wir haben einen Fehler gemacht. Sie fangen morgen noch mal neu an, kommen um neun, nicht um sechs, auf einer anderen Station und das war für mich so ein Kernding, wo ich gesagt habe, wenn du mal irgendwann Leiter bist: Am ersten Tag werden alle Mitarbeiter um zehn anfangen, die haben Druck im Bauch, die haben keine Ahnung, was sollen die um sechs in diesem Haus? Zehn, Tasse Kaffee, vorstellen, Haus kennenlernen, Bewohner kennenlernen, nächsten Tag einen normalen Rhythmus.

 

Es gibt gute Ansätze in der Altenarbeit. Andreas Rath kennt die Praxis, die oft anders aussieht. Er hat eine Erklärung dafür: 

 

Rath: Ich war mal zu einer Fortbildung und da fragten sie mich, hier, wir machen biografieorientiertes Essen und die Bewohnerin isst die Leberwurststulle nicht. Dann hast du auf das Einzugsdatum geguckt, seit sieben Jahren war die da und dann hat die sieben Jahre biografieorientiert früh Leberwurst bekommen und schon wusstest du, da ist der Fehler im System und eigentlich ist es eine Straftat, dann sind wir in die Küche gegangen, haben eine Stulle geholt, die geviertelt mit Marmelade, Schnittkäse, Schmierkäse und Leberwurst und haben der Dame die hingestellt und was hat sie gegessen? Schnittkäse, Schmierkäse, Marmelade, aber die Leberwurst nicht. Man hätte sie alle in den Sack packen müssen und draufhauen, weil sie haben einfach nicht begriffen, dass biografieorientiert nicht heißt, einmal ist so und das bleibt dann für ewig so. Und das ist dann die Quintessenz für den Satz in meiner Patientenverfügung gewesen, wenn ich mal ein Fresse ziehe, seid kreativ bis ich wieder lache und dann hoffe ich, dass die nachdenken und mir das so schön machen wie ich da möchte.

 

Wie denkt ein Mensch, der sich seit vielen Jahren mit der Pflege von alten Menschen befasst über sein eigenes Alter nach? Welche Vorsorge hat er getroffen?

 

Rath: Also ich habe eine Patientenverfügung geschrieben, die sieht ein bisschen anders aus, als die normale, da steht drin, ich, Andreas Rath, möchte nie eine Krawatte tragen, immer leger angezogen sein, früh dick Butter auf die Stulle kriegen und immer ein Ei, auf Cholesterin muss keiner achten, ich möchte einmal am Tag lets Zeppelin …to Heaven hören, ansonsten können sie mir Volksmusik und Klassik bieten, aber auch gerne mal Eric Clapton und dann möchte ich gerne Kartoffeln schälen, aber wenn ich in das Stadium der Ruhe kommen, dann möchten sie mich auch in Ruhe lassen. Sie sollen einfach mitbekommen wann ich schlafen möchte, wenn ich am Tag schlafe, wenn ich in der Nacht schlafe, sollen sie mich schlafen lassen. Nicht mehr aktivieren, nicht mehr an irgendwelchen Gruppen, alles anbieten, aber mich im Mittelpunkt lassen. Und zum Schluss steht der Satz, sollte ich eine Fresse ziehen, seid kreativ, bis ich wieder lache. Wir machen ja Biografiearbeit und kriegen nicht mit, dass sich ein Demenzkranker oder ein Verabschiedender auch ändert, dass wir dann mit einem mal auch anders reagieren müssen. Aber wenn ich dann irgendwann auch wieder lächle in meinem langsam versiechenden Leben oder in meiner Demenz, dann ist es doch alles richtig, was wir gemacht haben und das habe ich mir aufgeschrieben, damit alle wissen, die mich mal in die Hand kriegen, behandelt mich so und wenn es nicht mehr geht, seid kreativ und macht es besser.

 

Warum verdienen Menschen, denen Geld anvertraut wird, so viel mehr als die, denen wir unsere Alten anvertauen? Andreas Rath hat diesen Konflikt erlebt und reagiert ziemlich sauer, wenn er merkt, dass er als Altenpfleger auf Überheblichkeit und Arroganz stößt.

 

Rath: Ich war mal in so einer Runde mit Rechtsanwälten und einer ging immer rum und fragt nach Anlagen, wollen sie Geldanlagen da haben. Und ich sage, mich brauchen sie nicht fragen, ich bin Altenpfleger und da bin ich auch noch stolz drauf. Und da ging der tatsächlich einen Schritt zurück.  Und da habe ich gesagt, rieche ich nach Scheiße, sehe ich nach Tod aus? oder was? Aber er drehte sich um und ging. Und das ist das Bild, was sich da gerade auch in solchen Kreisen doch haben: Altenpfleger, ja was machen die. Die machen die Windeln da und was weiß ich, sabbernde Leute, und es ist ja genau das Gegenteil: das sind doch alles tolle Menschen, die ein Defizit haben, was wir eben pflegerisch auffangen, aber die denken eben alle auch nur an Pflege, wie eben auch dieser Pflegebegriff völlig überhöht ist. Warum  steht da nicht leben? Da steht nur Pflegeversicherung Pflege Pflege, Pflege. Wir wollen doch leben. Ja, wenn sie die Pflegeversicherung nehmen in der Pflegestufe 1 - 45 Minuten sind am Tag festgelegt für Pflege, dann bleiben übrig 23 Stunden und 15 Minuten am Tag für Leben, die mit Leben gefüllt werden müssen. Und das ist es, was wir machen und was die Leute auch gar nicht sehen.

 

Pflege gehört dazu, aber leben ist mehr. Musik als Königsweg, das ist nicht das Ende, sondern immer wieder ein neuer Anfang, jeden Tag...

 

Rath: Wir singen hier natürlich auch so, wir haben auch eine Musiktherapeutin, die kommt mittwochs, aber eigentlich ist der Gesang jeden Tag angesagt. Und wir singen nach dem Liederbuch Texte und dann gibt es zum Beispiel mal dieses Beispiel, dann drückt man auf so ein Tablett ….. ja, das ist natürlich, wo man die Leute abholt und kriegt und da geht das Blut hoch, da zuckt es im Körper, da sind alle--- hören gleich sie nochmal… da wird einfach nur gelacht und geherzt und Spaß und man muss tanzen und sich bewegen, so wird das hier gemacht.

26.03.2015
Pfarrer Jörg Machel