Erfrischung gefällig?

Am Sonntagmorgen
Erfrischung gefällig?
Die Sprache Luthers
12.03.2017 - 08:35
12.03.2017
Björn Raddatz

„Und wenn morgen die Welt unterginge, so würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen“ - „Warum rülpset und furzet ihr nicht? Hat’s euch nicht geschmacket“? oder auch „Hier stehe ich, ich kann nicht anders - Gott helfe mir, Amen“. Kurze knackige Sätze, die in höchstens zwei Zeilen eine Sache unterhaltsam oder leicht provokant auf den Punkt bringen. Auf so etwas stehen wir moderne Menschen heute besonders. Wir schreiben sie mit Photoshop auf Bilder und verbreiten sie massenhaft über Facebook.
Diese drei Sätze aber, der Apfelbaum vorm Weltuntergang, der satte Rülpser und auch der Widerspruch des Reformators Martin Luther bei seiner Anhörung vor dem Kaiser in Worms: Alle drei sind dem Reformator nur zugeschrieben. Verbreitet haben sie sich trotzdem und sind bis heute in vielen Köpfen eingepflanzt – durchaus passend zu Luther, wenn auch mit falscher Quellenangabe. Das Jahr 2017 ist das 500ste Jahr der Reformation. Bis zum Reformationstag wird es noch viel Schlaues über Luther zu hören, lesen oder sehen geben. Die erfrischend-knackige Sprache ist nur ein kleiner Ausschnitt aus dem großen Feld der Themen um den Reformator Martin Luther. Was hat Luther für unsere Sprache getan?
Was haben wir längst übernommen, was kann man sich heute davon abschauen - und was besser nicht?


Eines stimmt schon: Luther hatte ein Grobian-Image. Er konnte sich drastisch ausdrücken, unterhaltsam, knackig. Deutlich drückt er seine Meinung über die Stadt des Papstes aus, nach seiner Rom-Reise:

„Rom ist ein Rattennest und ist nicht wert, dass man es eine Stadt nennt.“

Auch seine Meinung über die Deutschen konnte Luther wenig differenziert und amüsant-plakativ vorbringen:

„Man muss doch einem jeden Lande sein Gebrechen zugute halten. Die Böhmen fressen, die Wenden stehlen, die Deutschen saufen getrost. Denn wie soll man einen Deutschen jetzt anders auszeichnen, als durch Trunkenheit, besonders einen, der nicht Musik und Frauen liebt?“

Die Menschen glaubten vor 500 Jahren an finstere Mächte, den Teufel - die Hölle war als real existierender Schreckensort noch nicht zu den Akten gelegt; oder (wie heute) höchstens religiöse Folklore. Aber Martin Luther hatte schon ein beginnendes Selbstbewusstsein dem Teufel gegenüber. Sein Wurf mit dem Tintenfass, mit dem er den Teufel auf der Wartburg in die Flucht schlagen wollte, ist zwar auch nur eine schöne Legende. Verbürgt ist aber wie er den Teufel in seine Schranken zu weisen dachte:

„Wenn der Teufel des Nachts an mich herankommt um mich zu plagen, gebe ich diese Antwort: Teufel, ich muss jetzt schlafen! Denn das ist Gottes Befehl und Ordnung: des Tags arbeiten und des Nachts schlafen. Des anderen, wenn er nicht ablassen will und mir meine Sünden vorhält, so spreche ich: Lieber Teufel, ich hab’s Register gehört, aber ich habe noch eine Sünde getan, die steht nicht in deinem Register, schreib sie auch an! Ich habe in die Hose geschissen, häng‘s an’n Hals und wisch’s Maul dran!“

Kein Zucken, kein Kuschen oder Zurückweichen vor mächtigeren, sei es der Kaiser beim Reichstag oder der leibhaftige Teufel - ein Wesenszug von Martin Luther, den manche Zitate des Reformators bis in die Gegenwart spüren lassen.

Ausschnitt aus „Ein feste Burg“ - A Tribute to Martin Luther von Dieter Falk

Zu Luthers Zeit war Latein die Sprache der Gelehrten - für seine Sache der Reformation gab es noch keine rechten Begriffe in Deutsch. Getarnt als Junker Jörg sitzt Martin Luther auf der Wartburg. Er hat Langeweile - und außerdem Darmprobleme. Um etwas Sinnvolles zu tun, übersetzt er die Bibel ins Deutsche. Seine Übersetzung war nicht die erste, aber die erste wirklich verständliche, die in größter Auflage zum Bestseller wurde. Luther wollte, dass der Bibeltext verständlich wird. Dafür hat er den Originaltext übersetzt, statt im Stille-Post-Prinzip eine Übersetzung der lateinischen Übersetzung anzufertigen. Die hohe Auflage lag sicher auch daran, dass Luther inzwischen berühmt geworden war. Den Erfolg verdankt die Lutherbibel aber vor allem Luthers Sprachtalent. Auf ihn gehen viele Worte zurück, die wir heute selbstverständlich kennen und nutzen. Erfindungen, Wort-Neuschöpfungen von Martin Luther: zum Beispiel die Nächstenliebe. Aber auch der Lückenbüßer, das Lästermaul. Lockvogel, Schandfleck, Schwätzer, kleingläubig, friedfertig, Sündenbock, plappern oder auch das Wort Sicherheit: Alles Luther-Erfindungen.
Seine Kreativität hatte einen Zweck: Es sollte wirklich jeder verstehen, was in der Bibel steht. Seine Übersetzung vermittelt den Inhalt – statt wortwörtlich Unverständliches zu produzieren. Jeder sollte sich selbst ein Bild und eine Meinung machen können. Und die Hürden dazu sollten so niedrig sein, wie möglich.

„Wenn ich auf die Kanzel komme, so beabsichtige ich, nur den Knechten und Mägden zu predigen. Um Doktor Jonas oder Melanchton oder um der ganzen Universität willen wollte ich nicht ein einziges Mal auftreten. Denn sie können’s sonst in der Schrift wohl lesen. Wenn man aber den Hochverständigen predigen und bloß Lehren und Meisterstücke von sich geben will, so steht das arme Volk da wie eine Kuh.“

Die Knechte und Mägde sind Luthers Zielgruppe, nicht die Doktoren-Kollegen und gelehrten Mit-Reformatoren wie Justus Jonas und Philipp Melanchton. Um seine Sache der Reformation und auch seine Bibelübersetzung sprachlich auf diese Zielgruppe der normal-gebildeten Leute zuzuschneiden hatte Luther seine Methode: Er schaute ihnen auf’s Maul - dieser Satz ist sprichwörtlich geworden:

„Man muss die Mutter im Hause, die Kinder auf der Gasse, den gemeinen Mann auf dem Markt danach fragen und denselben aufs Maul sehen, wie sie reden, und danach dolmetschen, dann verstehen sie es und merken, dass man Deutsch mit ihnen redet.“

Die Einsicht gilt bis in die heutige Zeit. Helmut Thoma, Chef des Fernsehsenders RTL in den 1990er Jahren, hat einen Satz geprägt, der ähnlich sprichwörtlich geworden ist wie der von Martin Luther: ‚Der Wurm muss dem Fisch schmecken. Nicht dem Angler.‘ Luther wird für seinen Satz gefeiert: Eine Revolution! Thoma musste für den seinen viel Kritik einstecken: Halten da nicht gebildetere Menschen die Masse absichtlich dumm? Beide Sätze sind ein ungleiches Paar: Verwandt sind sie, weil sie das ehrenwerte Ziel formulieren, dass einfache Leute ein Angebot bekommen, das auf sie zugeschnitten ist. Das so angelegt ist, dass sie etwas davon haben. Aber: Der Wurm, der dem Fernseh-Fisch schmecken sollte, wollte bloß unterhalten, wollte keine komplexen Zusammenhänge verständlich darstellen. Komplexität wurde von vorn herein vermieden - was nicht verwerflich ist. Luther aber wollte mehr. Sein Ziel war es, die Knechte und Mägde zu bilden, ihr Wissen zu vermehren. Es ging Luther nicht um Zerstreuung, sondern um nichts weniger als das Seelenheil.


Luther hatte seinen Zeitgenossen gehörig aufs Maul geschaut. Die Sprache des Mittelalters war generell derber, zotiger. Was früher eine klare Ansage war: heute ist es eine Beleidigung. Diesen Satz liest man sicher nicht als Flirt-Tipp:

„Wenn man heiraten will, soll man nicht nach dem Vater, sondern nach der Jungfrauen Mutter Geruch fragen. Warum? Weil das Bier im Allgemeinen nach dem Fass riecht.“

Und auch dieser flotte Spruch des Reformators passt nicht so recht in die heutige Zeit und das Frauenbild, das im 21sten Jahrhundert üblich ist…

„Wenn ich noch einmal freien müsste, würde ich mir ein gehorsames Weib aus einem Stein hauen, sonst bin ich verzweifelt an aller Frauen Gehorsam.“

Bibelgeschichten werden gewöhnlich historisch-kritisch gedeutet: Wie war die Situation, die beispielsweise ein Jesus-Gleichnis beschreibt, tatsächlich? Vor welcher historischen Folie ist was genau passiert?
Auch Martin Luther wird niemand verstehen, der ihn nicht in seine Zeit einordnet. Auch wenn uns der Reformator geografisch und sprachlich und natürlich auch zeitlich viel näher ist als Jesus. Viele seiner derben Sprüche sind ihrer Zeit geschuldet. Darunter Luthers Ausfälle gegen Frauen - obwohl er selbst eine starke Frau, Katharina von Bora, geheiratet hat, die einen größeren Einfluss hatte, als im 16ten Jahrhundert für Frauen üblich.
Manchmal fällt diese historische Einordnung in einen Kontext auch schwer: Manche Klischees haben sich in den vergangenen 500 Jahren kaum geändert. Klischees sind bis heute zwar oft wenig schmeichelhaft, aber schon lustig: Die meisten Witze gehen auf Kosten irgendeiner klischee-behafteten Gruppe. Beispielsweise Ostfriesen, Blondinen - … und Witze über Verheiratete gehen immer:

„Ein jedes Alter hat seine Beschwerlichkeit. Junge Leute plagt die Geilheit, welche auch kaum, dass sie in den Ehestand getreten sind, gelöscht wird. Im männlichen Alter sucht man Reichtum und häuft ihn; und da wächst dann der Geiz.“

Plakativ, polarisierend – so hat der Kirchenmann Luther oft seine Meinung geäußert. Und gleichzeitig das deutsche Wort „Nächstenliebe“ geprägt. Die hatte offensichtlich gegen eine Pointe nicht die oberste Priorität. Und doch gehört bei Luther das eine zum anderen…


Martin Luthers direkte, oft humorvolle Sprache: sie speiste sich aus einem Grundgefühl, aus dem heraus er überhaupt aktiv wurde.

„Ich habe kein besseres Hilfsmittel als den Zorn. Wenn ich gut schreiben, beten und predigen will, so muss ich zornig sein. Dann erfrischt sich mein ganzes Blut, mein Geist wird geschärft und alle Anfechtungen weichen.“

Ist der Zorn, ist die Aufregung, wirklich ein guter Ratgeber - und Redenschreiber? Zurzeit haben viele Politiker in Europa und Amerika Erfolg, deren Grundgefühl ebenfalls ein Grummeln im Bauch ist. Menschen, deren Programm die Wut auf „die anderen“ ist, werden bejubelt. Menschen lassen sich vom Hass leiten. Es ist erschreckend, mit welchen Vokabeln, mit welcher Häme ungehemmt Kommentare ins Internet gestellt werden. Von welchen Parolen heutzutage Menschen auf die Plätze gelockt werden. Und da meint der Reformator, der Zorn sei ein gutes Hilfsmittel? Luther - am Ende auch ein Wutbürger? Auch der Kabarettist Georg Schramm sagt, genau wie Martin Luther, dass der Zorn sein Lieblingsgefühl ist. Aber man darf den Zorn nicht verwechseln mit der Wut. Wut ist, so Schramm, „die unbeherrschte, zügellose Schwester des Zorns“. Luthers Satz vom Zorn ist differenzierter mit der Bemerkung, dass der Zorn den Geist scharf macht. Nicht stumpf. Ohnehin war  Auslöser der Reformation ein gelehrter Streit: 95 Thesen, die nach reichlich Nachdenken verfasst wurden. Mit Zorn auf den Ablasshandel, mit dem man sich sein Seelenheil erkaufen konnte. Aber gedankenloses Poltern, das mochte auch Luther nicht:

„Wenn jemand sich in einer Sache nicht auskennt, soll er seinen Senf nicht dazugeben, die Sache nicht behandeln.“

Das Anliegen Martin Luthers - und sein Verdienst an unserer Sprache bis heute - ist sein Bemühen, komplexe Dinge einfach, aber doch wahr und richtig so zu formulieren, dass es jede und jeder verstehen kann. Er wollte die Knechte und Mägde, denen er auf’s Maul geschaut hatte, schlau machen. Das ist bis heute ein Ansporn. Für Medien, für die Politik - und auch für die Kirchen. Wer relevant sein will, muss verstanden werden. Und das geht, noch immer,  oft schief. Da werden Wahrheiten vernebelt, es gibt Sprachgirlanden und Worthülsen, die entweder vertuschen, dass es gar keinen Inhalt gibt - oder vom Inhalt ablenken. Bis heute mühen sich Pfarrerinnen und Pfarrer auf vielen Kanzeln, kein neues Kirchen“latein" zu sprechen, keine fromme Sprache, die außer wenigen kirchlich hochverbunden Christen niemand mehr versteht. Sie wissen, wie die Leute in ihren Stadtteilen oder Dörfern reden, und dolmetschen danach.

„Wenn ich sterbe, will ich ein Geist werden und die Bischöfe, Pfaffen, die gottlosen Mönche so plagen, dass sie mehr mit einem gestorbenen Luther zu schaffen haben sollen als zuvor mit tausend Lebendigen.“

Das ist Martin Luther gelungen. Sein Geist, seine Ideen wirken bis heute fort. Durchaus als Anspruch, wie Luther stets nach den ‚richtigen‘ Worten zu suchen, die sowohl dem Gegenüber als auch der Sache gerecht werden. Auf den Kanzeln genauso wie auf den Straßen und in der Politik.

12.03.2017
Björn Raddatz