Feste Burg – Haus der Versöhnung

Erzbischöfin Antje Jackelén

© Svenska Kirkan, Josefine Casteryd

Feste Burg – Haus der Versöhnung
Erzbischöfin Antje Jackelén über die Rechtfertigung
31.10.2017 - 08:35
25.10.2017
Pfarrer Frank-Michael Theuer und Pfarrer Reinhold Truß-Trautwein
Über die Sendung:

Die Reformation feiert Jubiläum. 500 Jahre sind vergangen seit der Frage nach dem gnädigen Gott und Luthers Antwort mit Gottes Gerechtigkeit, die er in der Bibel fand: Der Gerechte lebt aus Glauben!  Rechtfertigungslehre heißt das theologische Denkgebäude – Luthers feste Burg? Die schwedische Erzbischöfin Antje Jackelén öffnet mit theologischer Phantasie neue Räume im alten Gemäuer… und nimmt mit hinein in eine Bewegung von Freiheit, Fröhlichkeit im Glauben und Bildung. Sie meint: „Gott will, dass wir als Menschen aufrecht gehen können!“

 
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Wenn Antje Jackelén einmal mit Martin Luther wandern gehen könnte, dann stellt sie sich das so vor:

 

Antje Jackelén:

Ich hoffe, wir würden nebeneinander herlaufen. Ich stelle mir vor, wir hätten engagierte Gespräche, würden vielleicht zeitweise ganz vergessen, wo wir eigentlich sind... und uns so engagieren und auch einander widersprechen, nehme ich an…

 

Antje Jackelén gehört zu den Menschen, die viel mit Luther zu tun haben. Nicht nur zum 500jährigen Reformationsjubiläum. Die gebürtige Deutsche ist seit 2014 Erzbischöfin der Schwedischen Kirche, einer der größten lutherischen Kirchen weltweit. Sie ist gern unterwegs... und jetzt, Ende September, auf der Schwedischen Buchmesse in Göteborg. Sie trifft gerne Menschen, stellt sich ihren Fragen, diskutiert mit Besuchern und auf Podien. Oft wird sie im Jahr des Reformationsjubiläums direkt nach Luther gefragt, ihre Perspektive als Theologin ist aber doch eine andere:

 

Ich frage ja nicht, was würde Luther dazu sagen – eher, was würde Jesus dazu sagen...

Luther hätte sich nicht gewünscht, dass ich frage, was sagt Luther dazu. Sondern Luther hätte sich eher gewünscht, dass ich frage, was sagt Jesus dazu… Und das denke ich, ist richtig.

 

 

 

Ein Gewitter ist es, seine Todesangst, so erzählt die Legende, die Martin Luther als Mönch ins Kloster gehen lässt. „Hilf du, heilige Anna, ich will Mönch werden!“ Den Blitzschlag bei Stotternheim hat Luther überlebt, er wurde Mönch im Kloster der Augustiner-Eremiten in Erfurt. Nicht losgelassen in Kloster und Kirche hat ihn aber die Frage nach seinem und der Menschen Heil. ‚Wie kriege ich einen gnädigen Gott?’ – Seine Antwort fand Luther in der Bibel, in Gottes Gerechtigkeit, wie sie im Römerbrief beschrieben wird – und hat damit einen Sturm entfacht, die Reformation. Deren 500jähriges Jubiläum wird heute gefeiert, deutschland- und weltweit. Auf der Buchmesse in Göteborg ist die Kirche ein Aussteller unter Hunderten. Auch Joachim Gauck, Altbundespräsident und Pfarrer, ist dort Gast. Wer stellt die alte Lutherfrage nach dem gnädigen Gott heute noch?

 

 

Joachim Gauck:

Nein, das ist uns abhanden gekommen. Und die Aufgabe der Kirche ist, dass das, was große Gruppen von Menschen bewegte, aus dem Glauben heraus, umzugestalten oder neu zu formulieren, dass der Lebensatem des Glaubens sich praktisch mit anderen Begrifflichkeiten der Welt zuwendet. Und da genügt es nicht, tradierte Formeln etwa über Rechtfertigung zu haben, sondern wir müssen uns fragen, welches sind die Themen, die wir heute, vielleicht befeuert aus der größeren Hoffnung eines Glaubenslebens, in die Gesellschaft einbringen müssen.

 

Was heute an Luther begeistert, ist für viele etwas anderes als seine Entdeckung der biblischen Antwort auf die Frage nach dem gnädigen Gott. Sie sind eher vom Menschen Luther fasziniert. Für Erzbischöfin Jackelén gehört die Faszination an Luther heute mit seiner biblischen Theologie zusammen:

 

Antje Jackelén:

Das, was an Luther heute auch breit fasziniert, das ist, dass man sagt, der muss ja unwahrscheinlich Mut gehabt haben. Und wir wissen, dass er nicht immer hoch oben drauf war, sondern auch sehr tiefe Tiefen hatte. Aber eben diese Standhaftigkeit, ich glaube, das ist etwas, was in unserer Zeit irgendwo Mut macht und auch Inspiration gibt. Dass wir Menschen doch etwas brauchen, wo wir sagen können, ja, hier stehe ich und kann nicht anders. Also die Vergewisserung guter Werte. Und bei Luther kommt das ja eben daher, dass die Rechtfertigung ihn wirklich betroffen hat und er sie dann auch ergreifen konnte. Also die Gabe hat ihn getroffen und er hat sie dann auch festgehalten. Und das ist für mich der Grund dieser evangelischen Freiheit.

 

Luther selbst beschreibt diese Gabe so:

 „Wenn ich auch als Mönch untadelig lebte, fühlte ich mich vor Gott doch als Sünder und mein Gewissen quälte mich sehr… Da erbarmte sich Gott meiner. Tag und Nacht war ich in tiefe Gedanken versunken, bis ich endlich den Zusammenhang der Worte beachtete: Die Gerechtigkeit Gottes wird in ihm, dem Evangelium, offenbart, wie geschrieben steht: ‚Der Gerechte lebt aus Glauben‘. Da fing ich an, die Gerechtigkeit Gottes als eine solche zu verstehen, durch welche der Gerechte als durch Gottes Gabe lebt, nämlich aus dem Glauben. (…) Da fühlte ich mich wie ganz und gar neu geboren, und durch die offene Tür trat ich in das Paradies selbst ein.“ (1)

 

 

 

Luthers spätmittelalterliche Frage ‚wie bekomme ich einen gnädigen Gott?’ ist nicht allein die nach dem eigenen Tun. Sie ist die Frage nach der Heilsgewissheit, nach dem Grundvertrauen. Danach zu fragen hat nichts an Aktualität verloren...:

 

Antje Jackelén:

Die existentiellen Fragen sind ja ewige Fragen. Und ich meine, dass das tragische vielleicht unserer Zeit ist, dass wir die Fragen nicht mehr so selbstverständlich in unserer Beziehung zu Gott verankern, sondern wir verankern sie in unserer Beziehung zu uns selbst oder zu andern. Die Frage 'Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?' ist für viele Menschen die Frage: Bin ich gut genug? Bin ich hübsch genug? Bin ich geglückt als Mensch? Was bedeutet mein Leben? Was bedeute ich für andere? Das sind ja alles Variationen eigentlich dieser Frage, wie bekomme ich einen gnädigen Gott, wie kann ich wirklich darin ruhen, dass ich akzeptiert bin, in der Tiefe akzeptiert bin. Und aus dieser Akzeptanz heraus kommt diese Energie und die Freude, Gutes zu tun.

 

Zu fragen nach dem Menschenbild und damit nach sich selbst, danach, wie man akzeptiert ist – das ist heute immer weniger zugleich die Frage nach Gott. Theologisch ausgedrückt ist eine solche Gottvergessenheit Sünde. Ein belasteter, abschreckender Begriff. Aber Sünde – einmal anschaulich gemacht – verdeutlicht, worum es in der Gottesbeziehung geht und wie Gott die Menschen gemeint hat:

 

Antje Jackelén:

Ja, ich glaube, an dieser Definition der Sünde, also, dass der Mensch in sich selbst eingebunden ist und versklavt ist, ja, incurvatus, also, das ist eine Kurve in sich selbst. Das ist ein sehr gutes und sprechendes Bild. Denn das schönste Bild des Menschen ist ja eigentlich der Mensch, der mit beiden Beinen fest auf den beiden Füßen fest auf dem Boden steht, aufrecht steht und seine Arme ausbreiten kann, um die Welt und andere Menschen entgegen zu nehmen. Und das kann ein Mensch nicht, der in sich selbst eine Kurve ist. Das ist eine gute Beschreibung der Sünde. Und ich denke, da muss es dann dagegenhalten, was Luther zum Beispiel sagt in der Erklärung zum ersten Gebot, im Großen Katechismus: Was ist denn unser Gott? Es ist sowohl der Glaube, auch der Unglaube machen unseren Gott. Also irgendwo haben wir alle etwas, worauf wir uns beziehen. Wir können uns selbst an die Stelle setzen, wir können unsere Geldbörse oder unser Bankkonto an die Stelle setzen, wir können den eigenen Körper zur ewigen Baustelle erklären und ihn immer wieder weiter verbessern wollen, also es kann die Karriere sein.

Gott will, dass wir als Menschen eben aufrecht gehen können und wir sind Gott so wertvoll, dass Gott nicht will, dass wir einen Rucksack mit allen möglichen Lasten mit uns herumschleppen. Wir dürfen die Lasten ablegen, damit wir uns wieder neu erheben können.

 

 

 

Gott, der aktiv gerecht ist und gerecht urteilen wird – für manche Menschen ist dieser die letzte Hoffnung, wenn sie an der irdischen Gerechtigkeit verzweifeln. Die in der Bibel bezeugte Gerechtigkeit Gottes gibt nach Luther noch eine weit größere Hoffnung – der barmherzige Gott, der den Menschen gerecht macht durch den Glauben. Doch heute allein diesen gnädigen Gott, seine Nähe und Barmherzigkeit zu betonen, das ist der schwedischen Erzbischöfin zu wenig:

 

Antje Jackelén:

Ich habe mir oft Gedanken darüber gemacht, ob wir in unseren Versuchen, eben nicht die Menschen abzustoßen, dadurch dass wir zu früh mit der Sünde kommen – Gott irgendwie auch domestiziert haben. Gott ist dann der Tröstegott, der Teddybärgott, den wir mit uns herumschleppen und bei Bedarf aus der Tasche ziehen. Und das ist natürlich nicht richtig. Ich denke immer, wir müssen die Nähe Gottes aber auch die Heiligkeit Gottes zusammen sehen. Und da denke ich ist es immer auch eine Stärke in der lutherischen Theologie, dass die immer als 'Paare' daherkommt. Also: Gesetz und Evangelium. Menschen als simul iustus et peccator, gerechtfertigt und Sünder gleichzeitig. Die Theologie des Kreuzes, die Theologie der Heiligkeit. Der offenbarte Gott und der verborgene Gott. Also es ging Luther ja oft darum, die Beziehungen zwischen verschiedenen Dingen klarzulegen und das macht ja einen guten Theologen…

 

Zu Luthers Zeiten war Gott der Weltenrichter, der Menschen mit Hölle und Fegefeuer Angst machte. Verbreitet waren aber auch kleine Figuren des Christuskindes, die man bei sich hatte. Diese betonen die menschliche Seite Gottes, sie helfen, die Angst vor dem richtenden Christus zu mildern. Antje Jackelén beschreibt ihr Gottesbild in einer Beziehung:

 

Antje Jackelén:

Gott ist ja so ganz anders. Die Heiligkeit bedeutet ja auch, dass wir Gott in menschlichen Kategorien nicht fangen können. Wir müssen uns immer wieder menschliche Bilder von Gott machen, aber immer wird uns auch bewusst sein, dass das eben Verkleinerungen sind. Mein Motto als Bischöfin, und auch als Erzbischöfin ist: Gott ist größer! Und ich nehme es immer wieder als ... Mahnung dazu, ja, die Tür aufzuhalten. Wir wollen alle wissen, wie es eigentlich ist!! Wir können auch als Theologen in der Situation landen, wo wir sagen: Jetzt weiß ich's, aber da ist immer wieder noch eine Frage offen. Also einerseits die Gelassenheit – Gott ist größer. Es sind immer größere Perspektiven, Gott ist größer als meine fantastischen Leistungen. Aber auch als mein Versagen. Das gibt Gelassenheit und Getrost sein. Aber Gott ist größer gibt auch eine Unruhe: Ich hab's immer noch nicht verstanden, ich muss immer noch weiter fragen – und es lohnt sich auch weiter zu fragen. Und ich denke, das ist eine gute Lebenshaltung für Christen.

 

Luther selbst beschreibt seine Lebenshaltung so:

 

 „Das Leben ist nicht ein Frommsein, sondern ein Frommwerden, nicht ein Gesundsein, sondern ein Gesundwerden, nicht ein Sein, sondern ein Werden, nicht Ruhe, sondern eine Übung. Wir sind’s noch nicht, wir werden’s aber. Es ist noch nicht getan oder geschehen, es ist aber im Gang und im Schwang. Es ist nicht das Ende, es ist aber der Weg. Es glüht und glänzt noch nicht alles, es fügt sich aber alles. (2)

 

 

 

Die Gerechtigkeit Gottes, die Rechtfertigung des Menschen aus Glauben – Bilder und Sprache dafür sind zeitgebunden, sie geraten an ihre Grenzen in dem Versuch, biblische Glaubenserfahrung auch glaub-würdig zu machen. So ist es für Antjé Jackelén dann auch noch etwas anderes, was die Rechtfertigung aus Glauben begreifbar macht: eine Handlung, ein Zeichen für Beziehung, das Sakrament des Anfangs...

 

Antje Jackelén:

Wenn man von Rechtfertigung allein aus Glauben so nackt spricht, sind es ja hier wenig Menschen, die sich da gleich zu verhalten können. Das ist nicht zugänglich so direkt, mit diesen Worten. Aber ich meine, der Bedarf ist da. Also, es ist immer noch wichtig, das zu predigen. Ich denke, wir, in unserer Zeit, ist es gut sich wieder mehr auf die Taufe zu besinnen. Denn Taufe ist ja gerade das, wo wir in Kirchen, wo die Kindertaufe praktiziert wird, das ist ja: du bekommst alles, bevor du selbst etwas dazu tust. Und du bekommst eine Identität und du bekommst einen Auftrag: in deiner Taufe zu leben und aus der Taufe heraus eben ein Leben in Glaube, Liebe und Hoffnung zu leben.

 

Wenn Antje Jackelén auf das Thema Rechtfertigung stößt, wie bei einer Bibelarbeit auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag in Berlin, dann spricht sie auch gerne von Versöhnung:

 

Antje Jackelén:

Es ist eigentlich eine ganz gute Sache, die beiden Dinge zusammen zu sehen. Denn Rechtfertigung hat ja auch den Charakter von Versöhnung oder führt zu einem versöhnten Leben, versöhnt mit sich selbst, versöhnt mit Gott, versöhnt mit Mitmenschen, versöhnt mit der ganzen Schöpfung. Das ist ja an sich der Grundton, der in der Rechtfertigung mitschwingt. Mir ist es immer sehr sympathisch, wenn man zeigen kann, dass etwas Abstraktes, Ideenmäßiges sich wirklich in der Praxis umsetzt und auch wirklich handfeste, praktische Folgerungen hat. Und das kann man mit Versöhnung wirklich schön zeigen. Und natürlich will ich mein Leben aus der Rechtfertigung, aus dem Glauben heraus leben. Dann möchte ich ja ein versöhnliches 'mindset' haben, eine versöhnliche Haltung, muss dann aber auch in dieser Welt damit rechnen, dass ich auf Situationen stoße wo ich sagen muss: hier ist Stop! Hier geht's nicht mit Versöhnung, sondern hier muss erst einmal markiert werden.

 

 

 

Protestanten haben es schwer, als Kirche in ihrer Gesamtheit für eine deutliche Position zu stehen. Das mag verwundern, wo Luther doch berühmt dafür ist, für seine aus der Bibel gewonnene Überzeugung auch einzustehen: ‚Hier stehe ich, ich kann nicht anders’. Und doch ist es gerade Luther, der die Wurzeln für eine individuelle Ethik gelegt hat:

 

Antje Jackelén:

Reformation hat ja auch ein bisschen Individualismus bedeutet, dadurch dass eben Luther buchstäblich die Bibel in die Hand des Einzelnen legt, dass der Priester nicht mehr der Mittler ist, dass die Tradition auch nicht mehr der Mittler sondern du gesagt bekommst, du stehst als Einzelner vor Gott. Und das sieht man ja bis heute im Unterschied zwischen katholischer und evangelischer Ethik. Ich höre manchmal, warum, bei den Katholiken ist das einfacher, da kriegt man gesagt, wo's langgeht. Und ihr seid immer so Wischiwaschi – wie kommt das? Ja, wie kommt das? Die Haltung der evangelischen Ethik ist ja, du kennst die zehn Gebote, du kennst das Liebesgebot, du kennst die goldene Regel, du hast die Geschichten von Jesus – geh in deine Kammer, überleg dir das im Gebet und tu dann, was dein Gewissen dir gebietet. Und das ist natürlich einerseits eine Stärke, andererseits ist das auch, wenn man klare Orientierung sucht, kann das ziemlich anstrengend sein. Die Reformation, der evangelische Glaube stellt Ansprüche an den Einzelnen, die Einzelne. Und die Schattenseite ist, dass man dann die Gemeinschaft vernachlässigen kann. Ich glaube, wir müssen beides wieder zusammenhalten…

Glaube ist auch wie ein Dach, das über uns ausgespannt ist. Wir können uns unter das Dach stellen, wir können uns aber auch außerhalb des Dachs stellen. Und besonders, wenn es regnet, merken wir den Unterschied, ob man unter dem Dach steht oder nicht. Und ich denke, diese Beschreibung des Glaubens ist auch sehr wichtig in unserer Zeit, wo Menschen nur sehr zögerlich sagen, auch wenn sie eigentlich einen Glauben haben: Ich bin Christ. Weil man das Gefühl hat, ich bin Christ kann man nur sagen, wenn man hundertfünfzig Prozent sicher ist. Aber, wenn man so ist, wie wir eigentlich alle sind, wir haben etwas gefunden und leben daraus, aber wir sind auch Zeit unseres Lebens noch Suchende. Ich denke, dieses Bild, dass Glaube ist ein Dach unter dem ich dann schon stehe, uns befreien kann auch zu sagen: Ja, auch in unserer in unseren Glaubenszweifeln, in unseren Anfechtungen, in unseren Schwächen und in unseren Stärken, in unserer Begeisterung sind wir Christen.

 

Damit es trägt, braucht ein solches Dach stabile Pfeiler. Gottes Gerechtigkeit, Luthers Entdeckung im Römerbrief – ist das seine ‚feste’, unerschütterliche Burg? Und braucht dieses graue, große Gebäude heute nicht wenigstens größere Fenster und einen neuen Anstrich?

 

Antje Jackelén:

Eine feste Burg ist unser Gott – Gott kann ja nun nicht renovierungsbedürftig sein, jedenfalls nicht von unserer Seite. Aber wenn man mit feste Burg ein Dogma meint, dann denke ich ist es wichtig immer die Umgebung des Dogmas mit zu beachten, und eben die Geschichte, in der dieses Dogma sich befindet. Es darf eben nicht versteinern oder erfrieren, sondern es muss seine Wärme behalten.

 

 

 

Die Wärme behält die schwedische Erzbischöfin im alten Gemäuer der Rechtfertigungslehre, nicht aber, ohne in seinen Räumen für frische Luft und neues Leben zu sorgen:

 

Antje Jackelén:

Ich denke, wir haben die Rechtfertigung seit Anselm und Luther vielleicht zu einseitig in den Gerichtssaal gestellt. Da ist Ankläger und Gott und Jesus, der die Strafe auf sich nimmt. Das ist dann wie ein Gerichtsverfahren. Und das ist nicht falsch, so zu denken. Aber ich denke, wir sollten auch unsere theologische und liturgische Phantasie aktivieren und sagen, was passiert, wenn wir diesen Gedanken von der Rechtfertigung eben auch mal in anderen Räumen sich gestalten lassen. Man kann sich die Versöhnung zum Beispiel auch im Schulmilieu vorstellen. Da geht's um ein Bildungsprojekt mit Jesus als dem großen Lehrer in der Schule des Lebens. Und das ist auch legitim, so zu denken. Oder als Krankenhaus mit Jesus als Arzt oder Apotheker und ich denke, da in der, ich glaube es ist in der Kirche in Werder, wo in der Sakristei ein Bild ist, in dem Jesus als Apotheker abgebildet ist. Und das ist auch ein Bild von Rechtfertigung als Prozess. Oder natürlich Esszimmer – nach durchstandenem Konflikt kommt man dann doch zusammen zur Versöhnungsmahlzeit, man isst gemeinsam, und natürlich, wie das Abendmahl doch auch seine Fortsetzung findet in menschlicher Tischgemeinschaft. Es gibt genug Geschichten in der Bibel, die da Stoff geben, sich das lebhaft vorzustellen. Oder auch als ein Atelier, ein Raum, in dem der große Schöpfer die Schönheit der gefallenen Schöpfung wieder herstellt, ja die Schönheit der gefallenen und geplagten Schöpfung wieder herstellt. Ich denke, wenn es um das Atelier geht und wir uns vielleicht Bildkunst vorstellen, wo ich im ersten Augenblick sage, huch, das ist ja hässlich – und plötzlich das größere Bild sehe und sehe wie das, was ich hässlich fand, ein Teil eines Ganzen ist, was einfach schön ist.

Ein Bild, findet die Erzbischöfin, hängt noch schief, jedenfalls in Schweden. Grund genug, nach den Reformationsfeierlichkeiten keine allzu große Lutherpause einzulegen:

 

Antje Jackelén:

Hier in Schweden hat man ein ganz komisches Lutherbild. Man spricht immer noch vom ‚Luther auf der Schulter‘. Das ist kein positiver Luther, der da auf der Schulter sitzt. Sondern man hat dann das Bild, das ist eher Kant, der da auf der Schulter sitzt: An die Pflicht erinnern und wenn es zu fröhlich zugeht, dann sorgt Luther dafür, dass man ernst wird. Eine Zielsetzung des Reformationsjahres bei uns wäre, den Luther mal von der Schulter zu kriegen und sagen zu können – Luther gibt uns Kraft im Rücken um vorwärts zu gehen in evangelischer Freiheit. Ich wünsche mir in dem Sinne keine Lutherpause, sondern dass eben diese Bewegung von Freiheit, Fröhlichkeit im Glauben, Bildung – dass dieser Dreiklang auch dann im nächsten Jahr noch weitergeht.

 

 

 

Literaturangaben:

  1. Martin Luther: Vorrede zum ersten Band der Wittenberger Ausgabe der Lateinischen Schriften Luthers, WA 54, 185-186.
  2. Aus „Grund und Ursach aller Artikel D. Martin Luthers, so durch römische Bulle unrechtlich verdammt sind“, 1521; zitiert nach: Johann Hinrich Claussen, Reformation. Die 95 wichtigsten Fragen, C.H.Beck, München 2016, S.6
25.10.2017
Pfarrer Frank-Michael Theuer und Pfarrer Reinhold Truß-Trautwein