Gott will im Dunkel wohnen.

Krippe

Gemeinfrei via unsplash.com (Greyson Joralemon)

Gott will im Dunkel wohnen.
Zum 75. Todestag von Jochen Klepper
10.12.2017 - 08:35
16.11.2017
Günter Ruddat
Über die Sendung:

„Die Nacht ist vorgedrungen“ – das ist ein bekanntes evangelisches Kirchenlied des Liederdichters, Journalisten und Schriftstellers Jochen Klepper. Es entstand in der Adventszeit 1937. Am 75. Todestag des Dichters stellt Günter Ruddat das Lied vor. In diesem Lied verbindet Klepper Bilder der Bibel und Erfahrungen einer Biographie in dunkler Zeit, die über die Nacht hinausweisen – im Vertrauen auf einen neuen Morgen. Jochen Klepper war mit der Jüdin Johanna Stein verheiratet und wurde deshalb vom nationalsozialistischen Regime verfolgt. In der Nacht vom 10. auf den 11. Dezember 1942 nahm er sich mit seiner Familie das Leben.

"Am Sonntagmorgen" um 08.35 Uhr im Deutschlandfunk

 
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Sendung nachlesen:

Am Abend des 10. Dezember, in einer Nacht vor 75 Jahren,

starb zusammen mit Frau und Tochter Jochen Klepper, evangelischer Liederdichter und Journalist, „ein christlicher Schriftsteller im jüdischen Schicksal“ (1).

 

Jochen Klepper war mit der Jüdin Johanna Stein verheiratet und wurde deshalb vom nationalsozialistischen Regime verfolgt. Im Advent 1942 verdunkelt sich das Leben der Familie immer mehr.

 

Am 10. Dezember verweigert Adolf Eichmann, der berüchtigte Chef des Sicherheitsdienstes der Geheimen Staatspolizei, die erhoffte Ausreise der jüngeren Stieftochter Renate Stein nach Schweden. Seiner älteren Stieftochter (Brigitte Stein) war im Mai 1939 noch die Ausreise nach England geglückt.

 

Zugleich wird Klepper erklärt, er müsse mit der Zwangsscheidung von seiner jüdischen Frau rechnen und mit der sofortigen Deportation seiner Frau und seiner Tochter nach Auschwitz.

Da sehen die drei Kleppers nur noch einen Ausweg.

 

Der letzte Eintrag in Kleppers Tagebuch lautet.

 

 „10. Dezember 1942 / Donnerstag

Nachmittags die Verhandlung auf dem Sicherheitsdienst.

Wir sterben nun – ach, auch das steht bei Gott –

Wir gehen heute gemeinsam in den Tod.

Über uns steht in den letzten Stunden das Bild des Segnenden Christus,

der um uns ringt.

In dessen Anblick endet unser Leben.“

 

 

Am Abend dieses 10. Dezember 1942 gehen Jochen Klepper, seine Frau Johanna und seine erwachsene Stieftochter gemeinsam in den Tod.

Am nächsten Morgen findet die Haushaltshilfe an der Hintertür des Hauses einen Zettel „Achtung Gas“ und innen an der Küchentür einen zweiten Zettel: „Kein Licht anmachen – Gas!“

Dort in der Küche liegen die drei Toten auf Decken nebeneinander. Am 16. Dezember werden sie zusammen beerdigt.

 

Fünf Jahre zuvor, 1937. Eine dunkle Zeit in Deutschland.

Jochen Klepper sitzt am Vorabend des 1. Advent an seinem Schreibtisch.

Er liest die Losung für diesen Tag, Zeilen aus dem Römerbrief (2).

 

„Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern…“ (3).

 

Dieses biblische Bild begleitet ihn, er hält es in seinem Tagebuch fest. Es begleitet ihn durch die Zeit des Advents und inspiriert ihn zu seinem „zweiten Weihnachtslied“ (4). Er schreibt es am 18. Dezember 1937, am Nachmittag vor dem 4. Advent. Die Zeilen aus dem Römerbrief stellt er voran.

 

Das Jahr 1937 ist für Jochen Klepper ein Jahr voller Kontraste. Sein großes Werk erscheint: „Der Vater. Roman eines Soldatenkönigs.“ Es wird ein ungeahnter Erfolg, ein Bestseller – auch von den Nazis geschätzt. Auf der anderen Seite: Die Reichsschrifttumskammer schließt ihn aus – wegen der „Mischehe“ mit seiner jüdischen Frau. Das bedeutet Publikationsverbot. Vor allem Freunde und Bekannte erwirken eine Sondergenehmigung. Jetzt muss Klepper jedes Manuskript einzeln dieser Behörde vorlegen, bevor er es veröffentlichen darf. So auch „Die Nacht ist vorgedrungen“.

 

Sein wohl bekanntestes Kirchenlied nimmt mit auf den Weg durch das Dunkel. In diesem Lied verbindet der Dichter Bilder und Worte der Bibel mit Erfahrungen einer Biographie in dunkler Zeit, die über Nacht und Finsternis hinausweisen – voll Vertrauen auf einen neuen Morgen.

 

Angesichts der diskriminierenden Behinderung seiner Publikationen notiert er am 7. Dezember (1937) in seinem Tagebuch:

 

„Ich glaube nicht an Aktionen. Gott will im Dunkel wohnen,

und das Dunkel kann nur durchstoßen werden durchs Gebet“.

 

So wird dieses Weihnachtslied zum Gebet, das auch seinen ganz persönlichen Zugang zu der Bibelstelle aus dem Alten Testament deutlich macht:

„Gott will im Dunkel wohnen“ (5).

Auch wenn Gott im Dunkel bleibt, verborgen, auch wenn er sein Geheimnis wahrt, ist er doch ansprechbar im Gebet, lässt er „doch“ den „Stern der Gotteshuld“, sein Angesicht leuchten.

 

Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern.

So sei nun Lob gesungen dem hellen Morgenstern!

Auch wer zur Nacht geweinet, der stimme froh mit ein.

Der Morgenstern bescheinet auch deine Angst und Pein.

 

Das biblische Bild von der bedrohlichen Nacht, die dem Licht weichen muss, „der helle Morgenstern“, der aufscheint im Dunkel der Zeit, dieses Gleichnis zieht sich durch das ganze Lied.

Klepper versteht die Nacht der Geburt Christi als seine Nacht – und das Licht der Weihnacht als ein Licht, das auch sein Leben erhellt. Dichten als ganz persönlicher Trost.

 

Klepper führt damit Menschen in Trauer und Traurigkeit auf einen Weg des Trostes, der sich Strophe für Strophe entfaltet und weiterführt. Immer wieder erinnert er daran, was „nun“ angesagt ist, was die Stunde geschlagen hat.

 

Der am Horizont aufgehende „helle Morgenstern“ erzählt vom Ende des Zwielichts in der Dämmerung zwischen Nacht und Tag, erinnert an die Hoffnung auf den nicht nur buchstäblich zu verstehenden Tag, an den Morgenstern in der nicht enden wollenden Nacht - dieses biblische Symbol, das für Christus steht, auf Christus weist.

 

Menschen, die weinen, werden mit vertrautem „Du“ angesprochen, werden aufgeweckt, auch wenn die Nacht noch nicht vorbei ist. Jetzt ist Zeit zum Loben, Zeit zum Einstimmen. Jetzt ist Zeit zum Erleben, Angst verwandelt sich.

 

Ich erinnere mich:

Die Melodie dieses Liedes habe ich am Bett eines todkranken Freundes während einer Nachtwache gesummt. Zuerst unvermittelt, dann leise gesungen. Da habe ich die dunkle Nacht, die kein Ende nehmen wollte, auf einmal ganz anders erlebt.

 

Und das ist es wohl, was Klepper in diesem Lied immer wieder verkünden und vermitteln will: Es hat sich etwas grundlegend geändert. Die Angst wird nicht beseitigt, aber sie erscheint in einem neuen Licht, im Licht des Morgensterns, Zeichen für Gottes Nähe und Zuwendung. Wir sind der Nacht nicht hilflos ausgeliefert. Gott teilt sie mit uns. Klepper hat das in seinem ganzen Leben erfahren – bis in die Nacht des Todes.

 

Nach dem zweiten Weltkrieg wird dieses so anders gestimmte Weihnachtslied als Adventslied in die evangelischen Gesangbücher aufgenommen. Es erinnert an Leid und Tränen, an Schuld und Schmerz. Da wird vertraute Weihnachtsstimmung gestört, aufgestört.

 

Das unterstreicht auch die verhaltene Vertonung von Johannes Petzold (6), sie löst die in Moll gehaltene Melodie auf. Petzold, Kirchenmusiker aus Thüringen, hat Kleppers Texte sehr geschätzt und viele Lieder von ihm vertont. Er fühlte sich wohl mit Klepper sehr verbunden in der gemeinsam erlebten und erlittenen Situation der Nazizeit, in der „bekennenden“ Glaubenshaltung, in der an religiöser Symbolik und christlichen Traditionen reichen Sprache.

 

Dem alle Engel dienen, wird nun ein Kind und Knecht.

Gott selber ist erschienen zur Sühne für sein Recht.

Wer schuldig ist auf Erden, verhüll nicht mehr sein Haupt.

Er soll errettet werden, wenn er dem Kinde glaubt.

 

Und wieder wird etwas paradox angesagt, Gott wird Mensch, ein Kind – Signal für einen neuen Anfang zwischen Himmel und Erde, zugleich ein Knecht – Zeichen für Gottes Dienst der Befreiung und Versöhnung. Da werden Menschen aufgerufen, ihr Gesicht zu zeigen, trotz aller unausweichlicher Erfahrungen von Schuld, von schuldig machen und schuldig werden.

Da wird zugemutet, all das, was belastet, diesem Kind anzuvertrauen - und gerettet, befreit aufzuatmen und sich sehen zu lassen. Da wird diese und jede andere Nacht zur Heiligen Nacht.

 

Die Nacht ist schon im Schwinden, macht euch zum Stalle auf!

Ihr sollt das Heil dort finden, das aller Zeiten Lauf

von Anfang an verkündet, seit eure Schuld geschah.

Nun hat sich euch verbündet, den Gott selbst ausersah.

 

Noch manche Nacht wird fallen auf Menschenleid und -schuld.

Doch wandert nun mit allen der Stern der Gotteshuld.

Beglänzt von seinem Lichte hält euch kein Dunkel mehr,

von Gottes Angesichte kam euch die Rettung her.

 

Das Ende der Nacht, die Weihnacht wird allmählich sichtbar. Da kündet sich eine Zeitenwende an.

Zukunft, die gilt es jetzt zu ergreifen, sich auf den Weg zu machen - in der unendlichen Geschichte der Menschheit, biblisch: zwischen Kindermord in Bethlehem und Flucht nach Ägypten, in Kleppers Zeit: zwischen Konzentrationslager und Exil, aktuell: zwischen Kriegen und Flüchtlingsströmen rund um den Globus.

 

Die Nacht kehrt immer wieder, das muss Klepper am eigenen Leib erfahren. Aber das Dunkel „hält“ nicht mehr fest, die Nacht hat keine Macht mehr. Niemand ist allein, unter keinen Umständen, alle können weitergehen „unter einem guten Stern“, Christus nachfolgen.

 

Auf dem Weg nach Bethlehem und zurück in den Alltag, da zeigt sich: Gott hat ein Gesicht, Jesus Christus, die Welt wird hell – auch wenn das Dunkel „sichtbar“ bleibt und nicht verschwindet.

 

Gott will im Dunkel wohnen und hat es doch erhellt.

Als wollte er belohnen, so richtet er die Welt.

Der sich den Erdkreis baute, der lässt den Sünder nicht.

Wer hier dem Sohn vertraute, kommt dort aus dem Gericht.

 

Auf diesem Weg durch den Advent zeigt sich inmitten der vielen menschlichen Nächte: Gott will im Dunkel wohnen, dort ist sein Ort, bei den Menschen, die im Finstern wandeln. Er will allen nahe sein. Da verändern sich nicht nur die Lichtverhältnisse. Gott fragt nach uns Menschen, Gott sucht die Schuldbeladenen. Klepper sieht ihn als Richter, der aufrichtet und ausrichtet, der nicht straft, sondern belohnt. Klepper versteht Gott als Schöpfer, der die Erde bewahrt und die Menschen behütet, er entdeckt ihn als Vater, der in Jesus zeigt, was Vertrauen ausrichten kann… Die schmerzliche Verborgenheit Gottes sieht Klepper überwunden im Weihnachtswunder. In der Gestalt eines kleinen Kindes, schwach und schutzbedürftig, ohnmächtig – und so offenbar – begegnet Gott uns „allen“, im Menschen am Kreuz.

 

Genau ein Jahr später, nachdem er dieses Weihnachtslied gedichtet hat, lässt sich seine jüdische Frau Johanna am 4. Advent 1938 taufen - und die beiden lassen sich nun auch kirchlich trauen.

 

Vier Jahre später ist der Freitod von Klepper und seiner Familie die letzte Repression des nationalsozialistischen Regimes, gegen das Klepper schon fünf Jahre zuvor angeschrieben hatte – auch mit diesem Lied „Die Nacht ist vorgedrungen“.

 

Der Tag ist nicht mehr fern – für Jochen Klepper ein Zuspruch an alle, die seine Texte lesen und seine Lieder singen, die sich erinnern und nach der Zukunft greifen.

 

 

 

Anmerkungen:

  1. Jochen Klepper: Unter dem Schatten deiner Flügel. Aus den Tagebüchern der Jahre 1932 -1942. Hg. von Hildegard Klepper, Stuttgart 1956
  2. Günter Ruddat: Ohne Gott bin ich ein Fisch am Strand. Missa poetica: ein literarischer Gottesdienst zu Jochen Klepper. Luther-Verlag, Bielefeld 2003 (dort auch weitere Literatur, Materialien und Medien)

 

Musik dieser Sendung:

  1. Die Nacht ist vorgedrungen, Thomas Becker, Michael Lohmann, Die Nacht ist vorgedrungen
  2. Die Nacht ist vorgedrungen, Chor mit Solistenensemble, Jochen Klepper: Gott will im Dunkel wohnen
  3. Die Nacht ist vorgedrungen, Reiner Regel & Jan Keßler u.a, Sacre fleur blanc

 

Literaturangaben:

  1. So überschreibt Martin Wecht seine Biographie: Jochen Klepper. Ein christlicher Schriftsteller im jüdischen Schicksal. Düsseldorf/ Görlitz 1998.
  2. Römer 13,11-12 wird von Jochen Klepper in „Kyrie. Geistliche Lieder. Luther-Verlag, Bielefeld (1950) 20. unveränderte Auflage 1998, S. 26 (zuerst veröffentlicht 1938)“ so zitiert: „Und weil wir solches wissen, nämlich die Zeit, daß die Stunde da ist, aufzustehen vom Schlaf (sintemal unser Heil jetzt näher ist, denn da wir gläubig wurden; die Nacht ist vorgerückt, der Tag aber nahe herbeigekommen): so lasset uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts. Die Bibel“. Vgl. auch die Notiz im Tagebuch vom 27. November 1937.
  3. Für den Text des ganzen Liedes vgl. EG 16.
  4. Vgl. den Tagebuch-Eintrag vom 18. Dezember 1937.
  5. 1. Könige 8,12 – formuliert bei der Einweihung des von Salomo erbauten Tempels.
  6.  Petzold (1912-1985) vertont das Lied „Die Nacht ist vorgedrungen“ 1939.
16.11.2017
Günter Ruddat