Ich bin vergnügt, erlöst, befreit

Sonnenblumenfeld

Gemeinfrei via unsplash.com (Derek Thomson)

Ich bin vergnügt, erlöst, befreit
Erinnerung an Hanns Dieter Hüsch
10.06.2018 - 08:35
25.01.2018
Günter Ruddat
Über die Sendung:

„Ich bin vergnügt, erlöst, befreit“. Mit diesen Worten beginnt Hanns Dieter Hüsch (1925-2005), in einer Person der „stille Prophet“ und „das schwarze Schaf vom Niederrhein“, die Übertragung seines Lebenspsalms, von Psalm 126. Die Evangelische Kirche im Rheinland hatte diese Worte 2017 zum Motto des Reformationsjubiläums gewählt. Günter Ruddat geht diesen Worten nach und erinnert an Begegnungen mit diesem „Poeten unter den Kabarettisten“, wie ihn Johannes Rau am 16.12.2000 in seiner Rede zum Bühnenabschied von H. D. Hüsch gekennzeichnet hat.

"Am Sonntagmorgen" um 08.35 Uhr im Deutschlandfunk

 
Sendung nachhören

 

Sendung nachlesen:

Eine himmelblaue Postkarte am Kühlschrank erinnert mich daran: Da lösen sich aus einem dicken Buch mit leeren Seiten weiße Blätter, wirbeln durch die Luft, entfalten und verwandeln sich in weiße Tauben, die in das Blau des Himmels fliegen. (1)

 

Ich bin vergnügt

erlöst

befreit

Gott nahm in seine Hände

Meine Zeit

Mein Fühlen Denken

Hören Sagen

Mein Triumphieren

Und Verzagen

Das Elend

Und die Zärtlichkeit.

 

So beginnt dieser Psalm, den Hanns Dieter Hüsch gedichtet hat, der Kabarettist und Liedermacher, der Poet und Prediger vom Niederrhein, 1925 in Moers als Sohn evangelischer Eltern geboren und geprägt vom Milieu der „kleinen Leute“.

 

Lebensworte aus Psalm 126 wird Hanns Dieter Hüsch hier vor Augen gehabt haben:

 

„Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird,

so werden wir sein wie die Träumenden.

Dann wird unser Mund voll Lachens

und unsere Zunge voll Rühmens sein….

Der Herr hat Großes an uns getan;

Des sind wir fröhlich.“                                           

(Luther 2017: Ps. 126,1-2a.3)

 

Hüsch fasst seine Sehnsucht in neue Sprache, was ihn „vergnügt, erlöst, befreit“, bündelt zugleich seine Lebenserfahrung, seine Frömmigkeit. Und er setzt immer wieder bei sich selbst ein, übt sich ein: „Ich zu sagen“, das lädt zum Nachsprechen ein. Wer ich sagt, nimmt sich selbst wahr, legt sich fest, bezieht Stellung, gleichzeitig öffnet er sich und macht sich verletzlich, ergreift Chancen, erlebt aber auch Zurückweisungen.

 

Hanns Dieter Hüsch konnte Menschen begeistern, mit seinen oft so skurrilen, abgründig tiefen Texten über die kleinen Dinge überraschend Farbe in den Alltag bringen. Da ist seine Nähe zu den Menschen zu spüren. Er kennt das Leben in all seiner Zwiespältigkeit, kann die Welt plastisch vor Augen führen und den eigenen Horizont weiten. Da ist immer wieder neu „das Schwere leicht gesagt“ und, wie er es ausdrückt: „Du kommst auch drin vor“. Worte der Bibel verbinden sich mit dem eigenen Leben.

 

 

 

Hanns Dieter Hüsch, dieser „Poet unter den Kabarettisten“, wie ihn Johannes Rau beschrieben hat, bringt Menschen zum Nachdenken, entlockt ihnen ein Lachen – vergnügt, erlöst, befreit. Da spiegelt sich zwischen den Extremen der Lebenserfahrungen ein Lebensgefühl, das sich im Glauben gründet:

 

Gott kommt mir nah, unnachahmlich wie „der liebe Gott in Dinslaken“, mit dem er sich ab und an dort trifft, rein privat, versteht sich - mir vertraut und verbunden, ihm bin ich unter allen Umständen wichtig, das lässt unbeschwert, vergnügt leben, „fröhlich“ durch das Leben ziehen, da ist genug Raum, das rechte Maß für mein Leben zu finden und auch meine Grenzen mit Humor anzunehmen. Gott sei Dank! Gott wird Mensch unter Menschen.

 

Da geht einer wie Jesus, sein Christus, mit – den Weg durch das Leben, kennt alle Abgründe und Tiefen, löst mich aus meinem Kreisen um mich selbst. Da kann ich andere lassen, loslassen, ihnen erlöst begegnen, Versöhnung ausstrahlen – und unermüdlich angehen gegen Hass, Gewalt und Krieg.

 

So kommt ein guter Geist in meinen Sinn, befreit mich von Angst und Ansprüchen, die mich unter Druck setzen. Dieser Geist erinnert mich: Ich bin angenommen, so wie ich bin, Gott sieht mich mit den Augen der Liebe und lehrt mich die Welt aufrecht mit seinen Augen anzuschauen, zu staunen und zu gestalten.

 

 

Was macht daß ich so fröhlich bin

In meinem kleinen Reich

Ich sing und tanze her und hin

Vom Kindbett bis zur Leich

 

Das kann auch ganz anders aussehen: Auf der Burg Waldeck Pfingsten 1968 das legendäre Festival „Chanson Folklore International“. Da bin ich Hanns Dieter Hüsch zum ersten Mal begegnet. Ich erlebe, wie dieser „Kabarettist auf eigene Faust“ nach zwei Liedern ausgepfiffen wird und gnadenlos ausgebuht. Er soll sich rechtfertigen, warum er nicht radikaler für die Revolution eintrete. Das Konzert wird abgebrochen. Ich spüre: Seine Texte wollen auf eine andere, „leise“ Weise bewegen, nicht plakativ politisieren oder undifferenziert provozieren. Hüsch zieht sich tief verletzt und verbittert in die Schweiz zurück, erst später lebt er wieder in Mainz. Seitdem haben mich Biographie und Poesie dieses Mannes begleitet und mir ist immer deutlicher geworden, was es für ihn heißt, „das Leben als eine Parodie auf sich selbst zu begreifen“. So, wie er sich auch selbst beschreibt in seinem „Psychogramm“ (2).

 

 

… Spitzfuß …

Clown Narr…

In der Schule Spitzname Spinner

Kein Soldat

Fußleiden wird zum Rettungsring…

Von SS-Studenten wegen zu langer Haare

aus dem Hörsaal entfernt…

sieben Katzen

und immer wieder Expeditionen

auf den höchsten Berg

oder ins tiefste Innere…

 

1975 sehe ich ihn wieder auf der Bühne eines Bonner Gymnasiums, hinter der kleinen Philicorda-Orgel, die sein musikalisches Markenzeichen wird – „fröhlich“ sich auf seine Weise bewegend und singend, swingend wie bei einem Tänzchen, „das schwarze Schaf vom Niederrhein“, wie er sich selber nennt und von Begegnungen mit Gott und den Menschen erzählt.

 

Was macht daß ich so furchtlos bin

An vielen dunklen Tagen

Es kommt ein Geist in meinen Sinn

Will mich durchs Leben tragen

 

„Ich meine, mich in die zweite Reihe stellen zu müssen, weil ich einfach spüre,

daß mir sehr oft jemand über die Schulter sieht und mit mir schreibt.

Es gibt Textmomente, da weiß ich ganz genau, das ist nicht von dir,

das hast du nicht geschrieben, da hat der liebe Gott nachgeholfen.

Gewiß, viele Aufgeklärte halten das für einen Rückfall ins Kindische. Sollen sie.

Ich jedenfalls fühle mich nicht allein, Gott läßt mich nicht im Stich,

ich habe großes Vertrauen zu ihm, er allein erlöst mich,

wird mich in seine Armen nehmen und dorthin führen, wo ich erwartet werde.“ (3)

 

Dunkle Tage, die hat Hanns Dieter Hüsch immer wieder erlebt, 1985 stirbt seine erste Frau. Er zieht nach 40 Jahren von Mainz nach Köln. Dort begegnet ihm seine zweite Frau, Christiane Rasche, mit Augenzwinkern „die Chrise“ – ein Glücksfall. 1991 heiraten sie. In diesen Jahren findet er auch seinen Freund Uwe Seidel (1937-2007), evangelischer Pfarrer in Klettenberg. Im Gespräch mit ihm weiten sich die Worte seiner „Psalmen für Alletage“ (4), Seidel lädt ihn als Prediger ein, nicht nur die Bühne wird zur Kanzel der anderen Art. Auf Kirchentagen sammeln sich bis zu 20.000 Menschen, um seine Predigten zu hören. Da wird er zum „stillen Propheten“, der geistesgegenwärtig die eigene Zeit bedenkt. Er übt die leisen Töne der Zärtlichkeit ein, es darf gelacht werden, und mit Humor entlarvt er die vertrauten, allzu menschlichen Unzulänglichkeiten auf dem Weg hin zu „Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung“. Da ertappt sich dann unversehens theologischer Hochmut und kann sich an die eigene Nase fassen. Da schließen sich Herzen auf für Tränen, die Verbitterungen fortschwemmen.

 

Hüsch gelingt es, seine Zeitansage aus protestantischer Schwermut zu lösen. Seine auf den ersten Blick beiläufigen Segensworte spiegeln das, sie setzen immer wieder mit den Worten ein: „Im übrigen meine ich…“. Und dann legt er einem Momente der Versöhnung ans Herz, von Gott her, und führt mit einem Quentchen Heiterkeit zu neuem Lachen.

 

Ich habe die „Religiöse Nachricht“ (5) noch in den Ohren, die er mit Ironie und Satire verkündet auf dem Kirchentag in Berlin 1989.                    

 

 

Hanns Dieter Hüsch:

„Wir, die Kirche, haben Gott, dem Herrn,

in aller Freundschaft nahegelegt,

doch das Weite aufzusuchen,

aus der Kirche auszutreten und gleich alles

mitzunehmen, was die Kirche immer schon gestört hat.

Nämlich seine wolkenlose Musikalität,

seine Leichtigkeit und vor allem

Liebe, Hoffnung und Geduld.

Seine alte Krankheit, alle Menschen gleich zu lieben,

seine Nachsicht, seine fassungslose Milde,

seine gottverdammte Art und Weise, alles zu verzeihen

und zu helfen –

sogar denen, die ihn stets verspottet;

seine Heiterkeit, sein utopisches Gehabe,

seine Vorliebe für die, die gar nicht an ihn glauben,

seine Virtuosität des Geistes überall und allenthalben,

auch sein Harmoniekonzept bis zur Meinungslosigkeit,

seine unberechenbare Größe und vor allem,

seine Anarchie des Herzens – usw. …

Darum haben wir, die Kirche, ihn und seine große Güte

unter Hausarrest gestellt.

äußerst weit entlegen, dass er keinen Unsinn macht

und fast kaum zu finden ist.


 

Hanns Dieter Hüsch hat vielen aus dem Herzen gesprochen, die sich auf den Weg gemacht haben, Gott zu suchen, gemeinsam mit anderen, auf den Weg zu einer anderen Kirche, einer Kirche mit anderen, nach den Menschen zu fragen, einen neuen Himmel und eine neue Erde vor Augen, wo Zeit ist zum Lachen und zum Weinen.

 

Was macht daß ich so unbeschwert

Und mich kein Trübsinn hält

Weil mich mein Gott das Lachen lehrt

Wohl über alle Welt

 

Hüsch geht es nicht um Fallenstellen, sondern um Fragenstellen. Dabei relativiert er sich immer wieder selbst, gesteht aber jedem das Recht zu, sich besonders wichtig zu nehmen. Er holt sich immer wieder selbst ein, so wie sein Leben, seine Erinnerungen ihn immer wieder einholen. Und am Ende erweist sich im scheinbar so Persönlichen: „Du kommst auch drin vor“. Ende der 90er Jahre hilft ihm seine Frau, eine Krebserkrankung durchzustehen. Kaum genesen geht er nach mehr als 50 Jahren Bühnenpraxis auf seine Abschiedstournee im Jahr 2000, die er überschreibt: „Wir sehen uns wieder“. Da erzählt er noch einmal, was alles so zwischen Himmel und Erde passiert, was wir uns selbst im Traum nicht vorstellen können.       

Da resümiert er:

 

„Was ich im Leben gemacht habe oder gemacht haben könnte, ist, glaube ich, nichts anderes als der lebenslängliche Versuch, dem Menschen auf ganz unterschiedliche Weise behutsam klar zu machen, dass er sterben muss“.(6)

 

 

Von einem Schlaganfall Ende 2001 erholt er sich nicht mehr, erlebt aber noch 2005 seinen 80. Geburtstag, ein halbes Jahr später stirbt er in Windeck im Westerwald, wo er die letzten Jahre gelebt hat, und wird in seiner Heimatstadt Moers beerdigt.

 

Zehn Jahre später erscheint das gesamte literarische Werk in acht Bänden. Der dicke Band mit den „christlichen Texten“ erscheint unter dem viel versprechenden Titel „Ich habe nichts mehr nachzutragen“…

 

Ich glaube, sein „wolkenloses“ Lächeln zu sehen und sein himmlisches Schmunzeln über seine Evangelische Kirche im Rheinland, die nun ausgerechnet aus einem seiner „Psalmen für Alletage“ das Motto für das Reformationsjubiläum (2017) wählt und als Gemeindelied seinen ganzen Psalm unter die Leute bringt. Keiner soll sagen, er hätte es nicht gehört: „Ich bin vergnügt, erlöst, befreit“. (7)

 

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Musik dieser Sendung:

  1. Was macht, dass ich so fröhlich bin, Ruhama, da berühren sich Himmel und Erde live
  2. Religiöse Nachricht, Hanns Dieter Hüsch, Hanns Dieter Hüsch: Feine Komödien – Feine Tragödien – Das Feinste vom Leben

 

Literaturangaben:

  1. Postkarte Reformationsjubiläum 2017 – blau. http://www.2017.ekir.de/logo-211.php
  2. Hanns Dieter Hüsch: Psychogramm (1975), in Auszügen zitiert nach: http://hannsdieterhuesch.de./leben.html (11.04.2018). Copyright: Chris Rasche-Hüsch
  3. Hanns Dieter Hüsch: Das Schwere leicht gesagt, Düsseldorf 3. Aufl. 1993, Einleitung, S. 9-10.
  4. Hanns Dieter Hüsch / Uwe Seidel: Ich stehe unter Gottes Schutz. Psalmen für Alletage, tvd-Verlag, Düsseldorf 1996, vgl. dazu auch die CD: Hanns Dieter Hüsch liest Psalmen. Darin auch als Psalm 126: Was macht, daß ich so fröhlich bin, S.140)
  5. Hanns Dieter Hüsch: Religiöse Nachricht. Vollständiger Text in: Hanns Dieter Hüsch: Ich habe nichts mehr nachzutragen. Die christlichen Texte. Das literarische Werk, Band 4, Edition diá, Berlin 2017, S. 54-55.
  6. So im Gespräch mit Martin Buchholz, vgl. Martin Buchholz. Was machen wir hinterher? Hanns Dieter Hüsch – Bekenntnisse eines Kabarettisten, Brendow Verlag, Moers 2000 (Tb. 2005) Vgl. auch http://hüsch.org./html/biographie3.html
  7. Vertont von Kirchenmusiker Christoph Spengler, Solingen – vgl. Noten: Gemeindelied und Chorsatz mit Klavierbegleitung, mp3-Aufnahme: http://www.2017.ekir.de/noten-mp3.php
25.01.2018
Günter Ruddat