„Ich darf sein Wort verkünden“

„Ich darf sein Wort verkünden“
Katharina Staritz – eine der ersten Frauen im Pfarramt
30.04.2017 - 08:35
30.04.2017
Pfarrerin Angelika Obert

Heute hätte sie sicher Karriere an einer Theologischen Fakultät gemacht. Sie  liebte die wissenschaftliche Arbeit. Der Hörsaal war für sie das Paradies. Doch zu ihrer Zeit blieb Katharina Staritz eine Randfigur, von Vielen als Blaustrumpf belächelt. Sie galt als nützlich, weil sie in ihrer Kirche die Arbeit tat, die den Amtsbrüdern eher lästig war und wurde sogleich fallen gelassen, als die Gestapo in ihr eine „Judenfreundin“ ausmachte. Nachträglich gehört sie zu den Wenigen, die im Nationalsozialismus die Ehre der Kirche retteten. Dabei hat sich selbst für einen ängstlichen Menschen gehalten, sie mochte das Kämpferische nicht. Und hat sich auch nie beschwert, dass sie als Theologin in Breslau immer nur eine Art Hilfsarbeiterin blieb:

 

„Ich darf sein Wort verkünden und seiner Gnade Ruf,

wie, ihm uns zu verbünden, er neue Schöpfung schuf.

Ich darf die Hände heben zu ihm für alle Not,

aus ihm und für ihn leben, geborgen selbst im Tod.“ (S. 38)

 

So fromm hat sie es in einem ihrer gelegentlichen Gedichte für sich notiert – unter der Überschrift „Lied der ehelosen Frau“. Denn es war klar: Für eine Frau im Verkündigungsdienst war die Heirat damals unmöglich. Aber nicht die Benachteiligung beschäftigte sie, sondern das Dürfen – schließlich gehörte sie zu den ersten Frauen, die es überhaupt wagen konnten, als Theologin in der Kirche zu arbeiten. Gewünscht hatte sie sich das schon nach dem Abitur 1922. Ihr Vater, ein Mathematiklehrer, stand den Studienwünschen seiner Tochter offen gegenüber – nur Theologie, diese für eine Frau brotlose Wissenschaft, das wollte er denn doch nicht. Darum begann Katharina Staritz ein Lehramtsstudium, lernte aber schon gleich Hebräisch und Griechisch und fand in Hans von Soden einen Lehrer, der ihr Theologiestudium befürwortete und auch den Vater Staritz zu überzeugen verstand: Früher oder später werde die Kirche die Theologinnen schon brauchen. Als Hans von Soden nach Marburg berufen wurde, folgte ihm Katharina Staritz,  legte dort ihr Examen ab und promovierte über Augustin. Nur zu gern hätte sie so weiter gemacht, aber eine Habilitation – das konnte sich auch Hans von Soden für eine Frau nicht vorstellen.

Nun gab es inzwischen tatsächlich einen Berufszweig für Theologinnen in der evangelischen  Kirche – die sogenannte Vikarin, die vor allem für die Frauen- und Kinderarbeit zuständig sein sollte. Sie wurde nicht ordiniert, sondern nur eingesegnet, durfte keine Gemeindegottesdienste halten, nicht taufen, nicht das Abendmahl austeilen. Und natürlich bekam sie nur 75% eines regulären Pfarrergehalts. Katharina Staritz ging nach Breslau zurück, um dort Stadtvikarin zu werden. Zur Ausbildung wurde sie zunächst aufs Land geschickt, wo sie eigentümliche Erfahrungen mit ihrem Mentor machte:

 

„Sein Studierzimmer war geheiligter Boden, den mein Fuß nur dann zu betreten wagte, wenn ich etwa einmal in Vertretung der Frau Superintendent ihm nach dem Abendbrot den Tee hineintrug. Amtliche oder theologische Gespräche mit mir hat er geflissentlich vermieden. … (S. 123)

 

Das erzählt sie in einem Brief an Hans von Soden. Es entging ihr nicht, dass Viele ihrer männlichen Kollegen nicht annähernd so leidenschaftlich studiert hatten wie sie selbst. Trotzdem neigte sie dazu, eher an ihren eigenen Fähigkeiten zu zweifeln.

 

Es ist eigentlich sonderbar, nun plötzlich so in der Öffentlichkeit zu stehen, zu reden und Artikel zu schreiben. Es geht besser als ich gedacht hätte, der Kater hinterher bleibt freilich nicht aus, wenn ich Zeit zum Nachdenken habe.“ (S. 115)

 

1933 wurde Katharina Staritz 30 Jahre alt und endlich fest in Breslau eingestellt – zuständig für Kindergottesdienst und Frauenhilfe, Krankenhausseelsorge und Hausbesuche, Religionsunterricht für Mädchen und auch für den sogenannten Übertrittsunterricht, also die Vorbereitung jüdischer oder auch katholischer Kinder und Frauen, die in die evangelische Kirche eintreten wollten. Dankbar für das Erreichte schrieb sie damals:

 

„Viele haben mir gesagt, dass sie sich über meine Anstellung freuen, weil nun manche Arbeit getan werden kann, die sonst ungetan bliebe, und so bin ich froh, dass ich nützlich sein darf, ohne einem Mann die Existenzmöglichkeit wegzunehmen, und wünsche nur, dass ich diese Arbeit auch weiter tun darf.“ (S. 40)

 

Für den Nationalsozialismus hat die frisch gebackene Stadtvikarin Katharina Staritz keinerlei Sympathien. Die Vereinigung der Deutschen Christen hält sie „für einen absoluten Irrweg“. So versteht es sich von selbst, dass sie sich der Bekennenden Kirche anschießt, zunächst dem gemäßigten Flügel, denn den lauten Streit mag sie ja nicht. Über den Unrechtscharakter des nationalsozialistischen Staats täuscht sie sich allerdings nicht – schon in einer ihrer ersten Andachten schreibt sie:

 

„Ein Grauen überfällt uns angesichts der finsteren Gewalten von Lüge und Verleumdung, Machtgier und Gewalt, Treulosigkeit und Verrat, Ungerechtigkeit, Selbstsucht und Wahnsinn, die überall am Werke sind und keines Menschen Herz zur Ruhe kommen lassen...“ (Andacht 1934 S. 60)

 

In Breslau gehört sie zu den Wenigen, die den Mut haben, sich der Not ihrer nun sogenannten ‚nicht-arischen‘ Mitmenschen auszusetzen. Sie hat jüdische Freunde, an deren Schicksal sie bestürzt Anteil nimmt. Und sie ist zuständig für den Taufunterricht der Übertrittswilligen – da geht es jetzt oft vielmehr um Trost und praktische Hilfe als um die christliche Lehre. Arbeit ist zu beschaffen für diejenigen, die als Beamte entlassen sind, Unterkunft für diejenigen, die ihre Wohnung verlieren. Die kirchlichen Einrichtungen kommen ihr dabei wenig entgegen – nur Pastor Braune in Lobetal tut, was er kann, um zu helfen. An ihren Lehrer Hans von Soden schreibt Katharina Staritz:

 

„Durch meinen Taufunterricht habe ich viele Bekannte (...), die in großer Not sind. Meine Gemeinde wächst zusehends und nimmt fast meine ganze Zeit in Anspruch. Es ist ein Jammer und unverantwortlich, dass die offizielle Kirche hier nichts tut. Manchmal kommt es mir vor, als ob ich in Breslau hier allein einen Sysiphusstein wälzen müsste. (S. 49f.)

 

So ergibt es sich fast von selbst, dass Katharina Staritz im Herbst 1938 mit Heinrich Grüber in Kontakt kommt, der zu dieser Zeit eine Hilfsstelle einrichtet für die getauften Jüdinnen und Juden, die auswandern müssen. Sie brauchen die christliche Anlaufstelle, denn von den jüdischen Verbänden werden sie als Abtrünnige nicht ernst genommen. Katharina Staritz übernimmt die Leitung der schlesischen Vertrauensstelle des Büros Grüber. Sie muss nun auch mit staatlichen Stellen verhandeln, um Auswanderungsgehmigungen zu erreichen, vor allem aber weiterhin Unterbringungsmöglichkeiten finden für diejenigen, die noch nicht auswandern dürfen.

Als Heinrich Grüber  im Dezember 1940 verhaftet wird, macht sie zusammen mit den andern Vertrauensleuten illegal weiter. Auswanderung ist kaum noch möglich. Es kann nur noch darum gehen, Verstecke für die Bedrohten zu finden. Es heißt, dass Katharina Staritz immerhin fast hundert Menschen helfen konnte. Viele aber werden dann doch deportiert. Die Vergeblichkeit ihrer Bemühungen lastet schwer auf ihr:

 

„Es ist, als ob durch das viele Leid, das man mitansehen muss, ohne helfen zu können, etwas zersprungen und aus den Fugen gegangen wäre, und bei allem, was man unternimmt, hat man das Gefühl des Vorläufigen und Nichtigen, das der große Krater doch bald hinabschlingen wird. (S. 168)

 

 

Morgen darf ich zum ersten Mal taufen, eine 72jährige alte Dame am Krankenbett (...) und am Nachmittag die junge Frau des Rechtsanwalts, die ich auch unterrichtet habe. So sehr ich mich freue, dies nun endlich tun zu dürfen, (….) so traurig bin ich über meine Amtsbrüder, die mit ihrer Ängstlichkeit ein unwürdiges Schauspiel geben!“ (S. 174)

 

So schreibt Katharina Staritz im Dezember 1940 an Hans von Soden. Weil ihre männlichen Kollegen es nicht mehr wagen, Menschen jüdischer Herkunft  zu taufen, wird ihr jetzt das Taufen erlaubt. Offenkundig steht sie in Breslau allein mit ihrer Sorge um die evangelischen Christen jüdischer Herkunft. Darum ist sie höchst beunruhigt, als im September 1941 die „Kennzeichnungspflicht für Juden gemäß dem Rassegesetz“ verordnet wird – der sogenannte Judenstern. Wie werden die Gemeinden darauf reagieren? Werden sie den Gekennzeichneten etwa den Gottesdienstbesuch verweigern? Katharina Staritz geht zu ihrem Vorgesetzten und erbittet die Genehmigung zu einem Rundbrief an ihre Breslauer Kollegen, die sie auch bekommt. Sie schreibt:

 

„Es ist Christenpflicht der Gemeinde, niemanden etwa wegen der Kennzeichnung vom Gottesdienst auszuschließen. Sie haben das gleiche Heimatrecht in der Kirche wie die andern Gemeindeglieder und bedürfen des Trostes aus Gottes Wort besonders.“ (S. 393)

 

Der Rundbrief wird vermutlich von Deutschen Christen an die Gestapo übergeben. Denn die beschwert sich schon 2 Tage später beim Reichskirchenministerium: Staritz sei „judenfreundlich“, also eine Vaterlandsverräterin. Die schlesische Kirchenleitung wird alarmiert, die sofort höchst ängstlich reagiert: Man habe von dem Staritz-Schreiben nichts gewusst und billige seinen Inhalt nicht. Gleichzeitig wird Katharina Staritz bis auf weiteres von ihren Aufgaben entbunden. Traurig reist sie in ihr geliebtes Marburg, um wieder bei Hans von Soden zu studieren. Genießen kann sie das jetzt nicht mehr. An ihren Studienfreund Jochen Klepper schreibt sie:

 

Zu wissen, dass es soviel Leid und Tränen gibt, und nicht helfen – ach, das habe ich ja nie gekonnt – aber nicht einmal mehr trösten zu dürfen, das ist doch schwer, und die selige Insel, auf die ich augenblicklich versetzt bin, hat etwas schuldhaft Unwirkliches. (S. 183)

 

Es sind ihr auch nur wenige Monate in Marburg vergönnt. Da die Gestapo nun weiß, dass die Evangelische Kirche sich von Katharina Staritz distanziert hat, zögert sie nicht, noch härter durchzugreifen. Im März 1942 wird sie in Marburg verhaftet, zunächst in ein Arbeitserziehungslager verbracht und dann – ohne Prozess und Verurteilung - als Politische Gefangene in das Konzentrationslager Ravensbrück. Erst 14 Monate später wird sie wieder entlassen, nachdem ihre Schwester Charlotte sich unermüdlich um ihre Freilassung bemüht hat. In Breslau darf sie danach nur noch ein wenig Büroarbeit tun, zwei Mal in der Woche muss sie sich bei der Polizei melden. Die vergangenen Jahre haben Spuren hinterlassen. Sie leidet an Hautausschlägen, starken Rückenschmerzen und immer wieder ist sie auch sehr niedergeschlagen.

Vor der anrückenden roten Armee flieht sie mit ihrer Mutter nach Marburg und kämpft nach dem Krieg um ihre Anerkennung als Vikarin in Hessen. Schließlich wird sie 1950 als erste weibliche Pfarrerin in Frankfurt am Main eingeführt – wiederum in erster Linie für Frauenarbeit, aber sie bekommt auch einen Predigtauftrag. Nur drei Jahre sind ihr in dem neuen Amt vergönnt – sie stirbt  mit nur 49 Jahren an einer Krebserkrankung. Es dauerte lange, bis man sich ihrer erinnerte und ihre Haltung als Christin im Widerstand  zu würdigen begann. Der späte Ruhm wäre ihr selbst wahrscheinlich verdächtig erschienen. Hatte sie nicht nur getan, was eine engagierte Christin und Seelsorgerin zu tun hatte? „Sie hat getan, was ich bei andern Pastoren vermisst habe“, schrieb Jochen Klepper in sein Tagebuch.

 

Literatur:

Hannelore Erhart, Ilse Meseburg-Haubold, Dietgard Meyer, Katharina Staritz 1903 – 1953, Dokumentation Band 1 1903 – 1942, Neukirchener, Neukirchen – Vluyn, 2. Aufl. 2002

30.04.2017
Pfarrerin Angelika Obert