Gott ist in den kleinen Dingen

Morgenandacht
Gott ist in den kleinen Dingen
28.02.2015 - 06:35
23.02.2015
Oberkirchenrätin Cornelia Coenen-Marx

So lange ich mich erinnern kann, stand in meinem Elternhaus ein hölzerner Brotteller auf dem Tisch. Irgendwann war er mal mit einer Kerze in Berührung gekommen – eine Stelle am Rand war ganz schwarz. Aber man konnte gut lesen, was rund um den Rand ins Holz geschnitzt war: „Unser tägliches Brot gib uns heute“. Lange Zeit dachte ich, wir wären die einzige Familie mit so einem Brotteller. Heute weiß ich: gerade in den Aufbaujahren nach dem Krieg wollten sich viele auf diese Weise daran erinnern, dass ein voller Brotkorb nicht selbstverständlich ist.

 

Wenn mein Mann und ich zusammen frühstücken, steht der alte Teller mit der Vater-Unser-Bitte wieder auf dem Tisch. Wir sprechen ein Tischgebet und spüren, dass in unserem Essen und Trinken etwas Verbindendes liegt. Zwischen uns beiden, mit Gott, dem wir alles verdanken, mit den Eltern, die längst nicht mehr leben. Es ist unglaublich, was so ein einfacher Teller für Gefühle wecken kann.

 

Vielleicht ist Gott ja überhaupt viel mehr in den kleinen Dingen als in den großen Ereignissen.

 

Jedenfalls meint das der Religionswissenschaftler Andreas Feldtkeller.[1] „Es ist an der Zeit, dass wir uns von einem weit verbreiteten Missverständnis über Religion verabschieden“, schreibt er. „Von dem Missverständnis, Religion sei in unserem Leben allenfalls die Nische für das Außergewöhnliche. Genau das Gegenteil ist der Fall: Religion ist geformt aus den selbstverständlichsten unter den menschlichen Selbstverständlichkeiten.“

 

Aus Essen und Trinken also, Herzschlag und Atem, aus Aufstehen und Einschlafen, dem Mondzyklus und dem Jahreslauf. Wir sehr auch der Kalender von spirituellen Rhythmen geprägt ist, das ist jetzt wieder spürbar. Es ist Fastenzeit, für viele eine Zeit des Verzichts, Und auch Menschen, die nicht religiös sind, empfinden das als sinnvoll und wohltuend nach Gänsebraten und Christstollen in der Weihnachtszeit. Selbst die großen Feste verbinden Menschen mit kleinen Dingen – mit dem, was dem Alltag Glanzlichter aufsetzt. Mit Speisen, Düften und traditionellem Schmuck. Wenn jetzt in den Supermärkten und an den Raststätten die bunt gefärbten Eier zu kaufen sind, dann denke ich daran, dass schon das Färben am Ostersamstag ein kleines Fest für uns Kinder war: ich rieche noch einmal den Essiggeruch in der Küche und freue mich an der Schale mit Ostergras und den vielen rot gefärbten Eiern. Und bald schon werden wir die Ostersträuße mit den ausgeblasenen Eiern aus der Lausitz schmücken – keiner hat so schöne Muster wie die Sorben. Einfach nur Eier – kleine Dinge, aber zu Ostern erzählen sie die große Geschichte vom neuen Leben.

 

„Nur vom Selbstverständlichen her können wir verstehen, was wir mit Religion anfangen können“, schreibt Andreas Feldtkeller. Dass er Recht hat, das zeigen die Geschichten und Gleichnisse Jesu, der Menschen für Gott öffnen konnte wie kein anderer. Er erzählt von dem Bauern, der auf dem steinigen Acker sät, und von dem Hirten, der dem verlorenen Schaf nachgeht. Von der Frau, die ein verlorenes Geldstück sucht. Von den Ehrenplätzen am Tisch und von Flicken auf einem alten Kleid. Und von der Kerze, die unter einem Scheffel ausgeht. Wer ihm zuhört, wird entdecken, wie durchsichtig unser Alltagsgrau sein kann für den Goldgrund der Gottesnähe.

 

Gott ist in den kleinen Dingen. Oder besser: nicht in den Dingen selbst, sondern in den Erfahrungen und Erinnerungen, den Hoffnungen und Gebeten, die in sie eingeschrieben sind. Also nicht im verlorenen Groschen, sondern in der Freude am Wiederfinden. Nicht im Licht unter dem Scheffel sondern in der Erfahrung, wie dunkel es wird, wenn ein Strahlen erstickt. Nicht im Osterei, sondern in der Hoffnung auf neues Leben , ja in der Gewissheit der Auferstehung. Und auch nicht in unserem Brotteller daheim – aber in dem Gebet, das um seinen Rand steht. Ein voller Brotkorb ist alles andere als selbstverständlich – aber ich würde das leicht vergessen, wenn der alte Teller nicht wäre.

 

 


[1] Andreas Feldtkeller, Warum denn Religion, Eine Begründung, Gütersloh 2006

23.02.2015
Oberkirchenrätin Cornelia Coenen-Marx