Die Sehnsucht wachhalten

Morgenandacht
Die Sehnsucht wachhalten
23.03.2015 - 06:35
11.03.2015
Pfarrer Stephan Krebs

 

Wie würde sich dieser Moment – jetzt – anfühlen, wenn er richtig gut wäre. Ja, am besten sogar perfekt! Das ist gar nicht so leicht, so früh am Morgen, und dazu noch an einem Montag.

 

Man dürfte nicht von einem Wecker geweckt worden sein. Nein, man müsste aufgewacht sein, ganz von alleine, weil man genug geschlafen hat. Körper und Seele sind erholt. Sie freuen sich auf diesen neuen Tag. Man schlägt die Augen auf, streckt sich und räkelt sich. Dann sagt man zu sich: „Los geht’s. Mal sehen, was dieser Tag alles bereithält.“ Man steht auf und der Körper fühlt sich geschmeidig an. Durchflossen von Kraft. Beim Blick in den Spiegel entdeckt man schon am frühen Morgen ein Lächeln. Das frische Wasser im Gesicht tut gut.

 

Auch die Gedanken im Kopf sind frisch. Man freut sich auf das, was heute auf einen wartet. Es sind Aufgaben, die sinnvoll erscheinen. Es sind Menschen, die man gerne sieht. Nicht zu viele davon, aber auch nicht zu wenig. Die Aufgaben nicht zu schwer, aber auch nicht zu leicht. Gerade so, dass man sie gut bewältigt.

Was müsste noch sein, damit dieser Moment jetzt richtig gut ist?

 

Da sind noch die Sorgen um die Welt. Die müssten weg sein, zumindest deutlich kleiner. Im Radio müssten andere Nachrichten kommen.

 

Sie berichten, dass die Menschen gelernt haben, einander zu achten. Sie schaffen es, ihre Bedürfnisse miteinander auszubalancieren und ihre Konflikte friedlich zu lösen. Sie brauchen keine List mehr, um möglichst viel für sich herauszuschlagen. Sie brauchen auch keine Gewalt mehr um sich durchzusetzen.

 

Das wäre großartig, wenn es so wäre. Das würde man dann auch selbst erleben können, heute: in der Familie, auf der Straße und am Arbeitsplatz – wo auch immer.

 

So oder so ähnlich müsste er sein, dieser perfekte Moment. Und er wäre ja nicht nur ein Moment, sondern er wäre Teil eines ganz anderen Lebens.

 

Dieses andere Leben gibt es – nicht nur als Traum. Sondern als Verheißung. Es wird kommen, verheißt die Bibel. Sie beschreibt dieses andere Leben mit wunderschönen, poetischen Worten. In einem Psalm heißt es: „Da werden Frieden und Gerechtigkeit einander küssen“.[1] Und der Prophet Jesaja schwärmt: „Wolf und Schaf sollen beieinander friedlich weiden. Der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind.“[2]

 

Das sind schöne Worte voller Sehnsucht nach einem anderen Leben! Die Bibel hütet diese Sehnsucht. Gleichzeitig ist sie ganz realistisch und beschreibt, wie es derzeit auf der Welt ist. Sie beschreibt Kriege, Not und den Kampf ums Überleben. Zur Realität des Alltags gehört auch, dass viele achtlos aneinander vorbei leben. Dazu gehört auch der frühe Morgen, an dem sich viele mühen müssen, rechtzeitig aus dem Bett zu kommen. Gerade am Montag.

 

Die Bibel sieht beides: Das Leben, wie es ist. Und das Leben, wie es sein könnte. Und wie es in den Träumen vieler bereits ist. An diesem Unterschied arbeitet sie herum. Sie fragt danach: Wie kann dieser Unterschied kleiner werden? Ihre Antwort: Durch Gottes Tun und der Menschen Antwort. Gott entfacht ständig Liebe. Daran kann man sich wärmen und diese Wärme dann ausstrahlen, so dass andere sich auch daran wärmen können. Es geschieht! Wenn man sich aufmerksam umschaut, kann man spüren: Viele arbeiten daran mit, dass die Verheißungen der Bibel wahr werden: dass sich Friede und Gerechtigkeit unter den Menschen küssen.

 

Das geschieht auch heute. Solche Momente muss man vielleicht suchen, weil sie sich nicht aufdrängen. Sie mögen sich nur in einem aufmerksamen Blick zeigen. Oder in einem Lächeln. Oder sie liegen in der Freude, die man selbst durch etwas auslöst. Oder indem man neu entdeckt: Das, was ich tagtäglich tue, ist nicht nur Kleinklein. Nein, es steht in einer großen Perspektive, es hält die Sehnsucht der Bibel nach einem anderen Leben wach.

 

Vielleicht sind es nur Momente an diesem Tag. Aber immerhin: Die kann man entdecken und intensiv erleben. Und selber schaffen. Sie tun gut wie frisches Wasser im Gesicht.

 

Ich finde: Dafür lohnt sich die Mühe des Aufstehens.

 

[1] Psalm 85,10f

[2] Jesaja 65,25

11.03.2015
Pfarrer Stephan Krebs