Ersatzdrogen

Wort zum Tage
Ersatzdrogen
21.02.2015 - 06:23
05.01.2015
Ulrike Greim

Unruhig tapert er durchs Wohnzimmer. Die Arbeit ist getan, jetzt könnte auch für ihn Feierabend werden. Er hatte eben noch zum letzten Mal die Mails gecheckt, dann das Laptop zugeklappt. Normalerweise würde er sich jetzt ein Bier holen und sich vor den Fernseher setzen. Ein bisschen zappen. Bei einem Krimi hängen bleiben.

 

Aber er weiß, wie sehr er an diesem Kasten hängt. An dem Gerät, dass ihm abends die Zeit raubt. Den Nachtschlaf. Wie oft hatte er sich geärgert, den Fernseher angemacht zu haben. So viel Grütze! Was hat er nicht alles gesehen. Nur um sich abzulenken.

 

 

Jetzt klebt ein dicker Paketklebestreifen über der Fernbedienung. Außerdem hat er den ganzen Flachbildschirm zugedeckt. Mit einer Tischdecke. Er will nicht. Sich nicht fremdbestimmen lassen. Nicht Aus zweiter Hand leben. Er will selber leben. Selber denken, fühlen, tun. Leben die Fülle. Er will das Ding auslassen. Tapfer sein. Mal schauen, was passiert, wenn dieser abendliche Freund wegbleibt.

 

 

Nun geht er unruhig auf und ab. Was soll er machen. Er ist schon müde, aber zum Ins-Bett-Gehen reicht es nicht. Er will Stoff. Eine gute Geschichte. Bilder. Musik. Er hat: sein Wohnzimmer. Und es ist verdammt still. Er will angesprochen werden. Ernst genommen werden. Da stehen seine Bücher, seine CD’s, aber gerade sprechen sie nicht. Da hängen Bilder an seiner Wand und schauen ihn mit leeren Augen an.

 

 

Fernseh-Fasten. Er hatte sich für die gemäßigte Variante entschieden. Außer sonntags und wenn Freunde da sind. Heute ist Samstag. Morgen kommen zwei Kumpels zum Tatort. Immerhin. Aber die Fastenzeit fängt erst an. Wie soll er das durchhalten?

 

 

Was passiert, wenn du dein Suchtmittel weglässt. Das war die Frage, die ihn umtrieb. Nun merkt er, wie es juckt. Es sieht doch keiner.  Wozu der Aufstand. Nimm dir dein kleines Stück vom Glück. Du hast es verdient. Wem schadest du schon?! Und du brauchst es. Schalt ein.

 

Er ringt. Genau das hatte er befürchtet. Aber er muss sich disziplinieren. Er will doch klar sehen. Unabgelenkt sein. Er will endlich einmal wieder das Gefühl haben, frei zu werden. Offen zu werden für Gott.

 

 

Er fühlt sie endlich wieder: seine tiefe Sehnsucht. Sie schmerzt. Dermaßen. Das Fernsehen ist seine Ersatzdroge. Aber sie macht nicht satt. Früher hat er mal Theater gespielt. An das Leben geglaubt. Geliebt. Sie hieß Andrea. Jetzt ist er erwachsen. Alles ist dumpf. Natürlich will er Liebe. Darum geht es doch die ganze Zeit. Er hungert nach ihr. Nach der Liebe, die alles, alles umfängt. Von der alles kommt, zu der alles geht am Ende der Zeit. Von ihr will satt werden.

 

Er versucht zu beten. Ist etwas aus der Übung. Braucht eine Weile… Dann geht er schlafen.

05.01.2015
Ulrike Greim