Anker werfen – Anker lichten

Pfarrkirche St. Theresia auf Nordstrand
Anker werfen – Anker lichten
Rundfunkgottesdienst aus der alt-katholischen Pfarrkirche St. Theresia auf Nordstrand
11.08.2019 - 10:05
18.07.2019
Pfarrer Jens Schmidt
Über die Sendung

„Anker werfen – Anker lichten“

So lautet der Titel des Rundfunkgottesdienstes, den der Deutschlandfunk am Sonntag, 11. August 2019, aus der alt-katholischen Pfarrkirche St. Theresia auf Nordstrand überträgt.

Die Halbinsel im nordfriesischen Wattenmeer hat im Lauf der Jahrhunderte durch schwere Sturmfluten ihr Gesicht mehrmals verändert. Leidvolle Erfahrungen und hoffnungsvolle Aufbrüche prägen sie bis heute.

Das Gebiet der alt-katholischen Gemeinde erstreckt sich über ganz Schleswig-Holstein, zu ihr gehören derzeit 334 Mitglieder. Gleichzeitig ist die Pfarrgemeinde mit der 1662 erbauten Theresienkirche auf dem Deich ein ganzjähriger Anziehungspunkt für Urlauber und Urlauberinnen. Für diese gibt es dort zahlreiche besondere Angebote im Bereich der sogenannten Tourismuspastoral.

Vor der Kirche liegt ein großer Stockanker in Form eines Kreuzes. Als starkes Symbol begleitet er die Gemeinde und ihre Gäste in diesem Sommer 2019.

So wird Pfarrer Jens Schmidt das Symbol des Ankers ins Zentrum seiner Predigt stellen und es mit Blick auf festen Halt und hoffnungsvolle Aufbrüche im Leben von Menschen zum Leuchten bringen.

Die musikalische Gestaltung und Begleitung übernimmt an Orgel und Klavier der Kirchenmusiker Helmut Neuhaus.

 

Das Hörertelefon unter der Rufnummer 04842-409 steht bis 13.00 Uhr zur Verfügung.

 

 

Gottesdienst nachhören

 

Den Gottesdienstmitschnitt finden Sie auch direkt unter http://www.deutschlandradio.de/audio-archiv.260.de.html?drau:broadcast_id=122

Predigt zum Nachlesen
 

Liebe Schwestern und Brüder hier in der Theresienkirche, verehrte Hörerinnen und Hörer am Radio!

 

Als meine Frau und ich geheiratet haben, fanden wir auf Karten und in persönlichen Zeilen öfters den Wunsch: „Alles Gute zum sicheren Einlaufen in den Hafen der Ehe.“ Ich hätte mir von den Gratulanten lieber etwas anderes gewünscht.

Z.B.: „Alles Gute beim Auslaufen in das weite, offene Meer der Ehe.“

Denn für mich bedeutet Ehe nicht in einem sicheren Hafen festzuliegen, sondern immer wieder das gemeinsame Abenteuer zu wagen, auf das weite, offene Meer des Lebens hinaus zu fahren.

 

Deswegen gefällt mir das Banner hinter dem Stockanker, das in diesem Sommer vor unserer Kirche hängt, besonders gut. Es hat eine Botschaft für die Menschen, die an unserer Kirche vorbeigehen. Auf dem Banner können sie lesen:

„Der Mensch ist wie ein Schiff:

Er braucht Ankerplätze, einen sicheren Hafen.

Aber er muss auch auf große Fahrt gehen, mit vollen Segeln unterwegs sein.“

 

Seneca, ein römischer Philosoph, der ungefähr im Jahr 65 n. Chr. gestorben ist, bringt es so auf den Punkt: „Im Hafen ist ein Schiff sicher, aber dafür ist es nicht gebaut.“

 

In der Nacht vom 11. auf den 12. Oktober 1634 wurde unsere Insel durch eine gewaltige Sturmflut zerstört, über 6000 Menschen und 21.000 Tiere starben, 21 Ortschaften gingen unter. 20 Jahre später, 1654, kamen sogenannte Deichbauern aus Flandern, dem Brabant und den Niederlanden nach hier, um unsere Insel neu einzudeichen.

Ich weiß nicht, ob die Deichbauern damals Senecas Lebensweisheit kannten: „Im Hafen ist ein Schiff sicher, aber dafür ist es nicht gebaut.“ Aber unabhängig davon haben sie genau danach gehandelt. Sie sind aus ihren sicheren Häfen aufgebrochen in eine ungewisse Zukunft, in ein fremdes Land, in eine andere Region Europas. Sie haben ihren Anker in der Heimat gelichtet, um ihn hier auf Nordstrand neu zu werfen. In ihrem Gepäck hatten sie nicht viel. Wahrscheinlich nur das Allernötigste.

Allerdings trugen sie in ihrem Gepäck das Versprechen, dass das neu eingedeichte, gewonnene Land ihnen gehören würde; und die Zusage, ihren Glauben, ihren christlichen Glauben in katholischer Tradition hier frei leben zu dürfen.

Denn damals, 1654, gehörte Nordstrand ja noch zum Königreich Dänemark, dass durch die Reformation evangelisch-lutherisch geworden war. Mit Blick auf den christlichen Glauben in katholischer Tradition, gewährte der dänische König nun auch den neuen Nordstrandern das Privileg der freien Religionsausübung.

Von da an gab es in der dänischen Region von Schleswig drei Orte an denen Menschen ihren alten, katholischen Glauben frei leben durften. Hier auf Nordstrand, in Friedrichstadt und Glücksstadt.

Mit ihrem Glauben, in ihrem Glauben hatten sie sich auf den Weg in eine neue Zukunft gemacht - auf zu neuen Ufern, auf zu neuen Lebensmöglichkeiten und –chancen.

 

Im Grunde wie Abraham und Sara, von denen wir gerade in der Lesung gehört haben. Dort heißt es:

„Er brach auf in das Land, das er als Erbbesitz bekommen sollte, und verließ seine Heimat, ohne zu wissen, wohin er kommen würde.“

Abraham und Sara brachen auf, mit ihrem Glauben im Gepäck. In der Bibelübersetzung, die wir für den heutigen Gottesdienst ausgesucht haben, wird Glauben mit Vertrauen gleichgesetzt.

„Glauben heißt Vertrauen, und im Vertrauen bezeugt sich die Wirklichkeit dessen, worauf wir hoffen.“

Das heißt für mich, dass Abraham und Sara, genauso wie die Deichbauer von 1654, nicht nur mit ihrem Glauben aufgebrochen sind, sondern vor allen Dingen mit einem großen Vertrauen, in großem Vertrauen.

Dass Glauben Vertrauen ist, zieht sich wie ein roter Faden durch den Brief an die hebräischen Gemeinden, aus dem der Text stammt. Ein Brief, von dem nicht wirklich klar ist, wer ihn verfasst hat, der aber an die Mitglieder von Gemeinden geschrieben ist, die im Glauben müde und unsicher geworden sind, denen das Vertrauen abhandengekommen ist.

Der Briefschreiber möchte den Empfängerinnen und Empfängern Mut machen, im Laufe ihres Lebens immer wieder neu zu lernen, sich auf Gott zu verlassen; möchte ermutigen, gewohnte Gleise zu verlassen und Neues, Unbekanntes zu wagen. Dabei zu zweifeln und zu fragen – und dennoch zu lernen, die Hoffnung nicht aufzugeben.

Der Brief möchte denen, die ihn lesen, deutlich machen: Glauben, Vertrauen, kann ich nur gewinnen, wenn ich mich wie Abraham und Sara bei Gott verankere und mich trotzdem immer wieder auf den Weg mache, Fragen und Zweifel durchlebe und dann erfahre, spüre: Gott trägt und hält mich.

 

Ich lese zwischen den Zeilen von einem großen Bemühen in einem lebenslangen Prozess, der gekennzeichnet ist durch Phasen von tiefem Vertrauen, aber auch von Zweifel und Mutlosigkeit. Fragen, Zweifel und Mutlosigkeit gehören für Abraham und Sara, diesen beiden Glaubensgestalten, ebenso dazu, wie das Vertrauen in Gottes Führung und Begleitung.

An ihrer Geschichte lässt sich für mich wunderbar erkennen, dass Krisenzeiten und Glaubenszweifel, die immer auch Vertrauenszweifel sind, fruchtbar werden und zu einer Reifung menschlichen Lebens führen können.

Sara und Abraham werden hier zu Vorbildern, zu Urbildern für einen vertrauenden Glauben - mit allen positiven und negativen Eigenschaften, die jedem und jeder von uns zu eigen sind.

Sara und Abraham zeigen mir, dass es bei vertrauendem Glauben eben nicht um ein unbewegliches Verharren in einmal Erlerntem und als richtig Erkanntem geht.

Dinge, von denen ich überzeugt bin, dass sie richtig und gut sind, können sich im Nachhinein als falsch erweisen. Glaubensüberzeugungen können sich im Laufe meines Lebens wandeln. Glaube ist nicht ein Für-wahr-halten von gültigen Glaubenslehrsätzen, sondern eine ganzheitliche Ausrichtung meines Lebens auf Gott hin.

Als Christen bezeugen wir unseren Glauben in erster Linie nicht durch formale Lippenbekenntnisse, sondern durch unser Verhalten, unsere Lebensweise, unser Tun. Darum bin ich dankbar für Menschen, die mir immer wieder zeigen, wie das geht, dieses Tun.

Es können die Deichbauern von 1654 aus Flandern, dem Brabant oder den Niederlanden sein oder Menschen von heute, im Jahr 2019:

Die Frau, die nach dem Tod ihres Mannes und ihrer Mutter ihr Leben neu wagt, einen neuen Anfang riskiert und vom Niederrhein nach hier, nach Nordstrand zieht.

Im festen Glauben, im tiefen Vertrauen, dass neues Leben möglich ist und auf sie wartet.

Das Ehepaar, das sich während eines Urlaubes vor drei Jahren in unsere Insel verliebt und im letzten Jahr den Entschluss fasst, nach hier zu ziehen. Die ihren letzten Lebensabschnitt hier auf unserer Insel an Land verbringen möchten, weil sie sich im Alter dadurch ein Stück Lebensqualität erhoffen.

Oder das andere Ehepaar, dass schnell, kurzfristig, innerhalb von wenigen Wochen ihr Haus, indem sie über 40 Jahre wohnten, verkauft, Freundinnen und Freunde, eine aktive Kirchengemeinde verlässt, um sich hier eine neue Existenz zu schaffen und aufzubauen, mit neuer Gemeinschaft.

Menschen, wie du und ich.

Menschen, die glauben, also vertrauen, und sich unterwegs wissen auf dem großen, langen und weiten Weg des Lebens.

Die immer wieder bereit sind ihre Anker zu lichten, um sie neu auszuwerfen.

 

Ich erinnere mich an einen Mann, der in einer großen, persönlichen Umbruchsituation, in einer Krisensituation, eine Reise nach Israel mitmacht.

Während dieser Israelreise gelangt er in Jerusalem in den Garten Gethsemane.

An den Ort, an dem Jesus, der Überlieferung nach, in der Nacht seiner Verhaftung gebetet und mit Gott gerungen hat. Dort liest der Mann auf einer Tafel, den Satz:

„Ich verstehe es nicht, aber ich vertraue.“

Plötzlich wird ihm klar, das ist es, was Glaube bedeutet, was Glauben ausmacht.

„Ich vertraue.“

Das trägt und hält.

Gott trägt und hält.

 

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

18.07.2019
Pfarrer Jens Schmidt