ErlebnisRaum Taufe

Stiftskirche St. Marien Obernkirchen

Stiftskirche St. Marien Obernkirchen

ErlebnisRaum Taufe
Rundfunkgottesdienst aus der Stiftskirche St. Marien Obernkirchen
28.06.2020 - 10:05
15.05.2020
Margot Käßmann
Über die Sendung

Was die Taufe ist und was es im Lauf eines Lebens bedeuten kann, getauft zu sein, darum geht es in der sogenannten Tauferinnerung. Sie steht im Zentrum dieses Gottesdienstes.

 

Die Predigt hält die Theologin Dr. Margot Käßmann, ehemalige Landesbischöfin der Hannoverschen Landeskirche und Ratsvorsitzende der EKD.

Regina Ackmann, Orgel, Irene und Silvan Buzalkovsky, Harfen, Ulrike Köhler, Oboe und Beate Josten, Gesang gestalten den Gottesdienst musikalisch.

Er wird geleitet von Pastorin Dr. Heike Köhler, die auch die Projektleitung für den „ErlebnisRaum Taufe“ innehat.

 

Der „ErlebnisRaum Taufe“ war der Beitrag der Ev.-luth. Landeskirche Hannover für die Weltausstellung Reformation in Wittenberg 2017. Seit Anfang des Monats ist er in Obernkirchen zu erleben. Dort befindet er sich an einem historischen Ort: Die ältesten Teile von St. Marien stammen aus dem frühen 13. Jahrhundert. Ein alter Kirchenraum beherbergt einen neuen Erlebnisraum.

 

 

Gottesdienst nachhören

 

Den Gottesdienstmitschnitt finden Sie auch direkt unter http://www.deutschlandradio.de/audio-archiv.260.de.html?drau:broadcast_id=122

Predigt zum Nachlesen

Liebe Gemeinde,

letztes Jahr war ich an der Stelle, an der vor rund 2000 Jahren Johannes Jesus getauft haben soll. Da war ein riesiger touristischer Rummel! Menschen aus aller Welt stiegen mit weißen Gewändern ins Wasser. Sie kamen aus den USA, Kenia, Argentinien – vor Coronazeiten versteht sich. Touristen wird sowohl die Flussseite im Westjordanland als auch die östliche Seite in Jordanien als Original-Taufstelle vorgestellt. Historisch ist das umstritten, wahrscheinlicher ist die jordanische Seite. Auf jeden Fall wurde alles Mögliche verkauft. Auch solche Plastikfläschchen mit Jordanwasser für rund 2,50 Euro. Seufz, dachte ich, was würden wohl Jesus und Johannes zu solchem Kommerz sagen ...

 

Den beiden Männern war es sehr ernst mit ihrem Reden und Tun. Johannes rief die Menschen auf, ihr Leben zu ändern und zu Gott umzukehren. Jesus erzählte von Gott und wie seine Liebe uns verändern kann. Sie kannten sich im wahrsten Sinne des Wortes von Mutterleibe an. Maria, die Mutter von Jesus, hatte Elisabeth, die Mutter von Johannes während beider Schwangerschaft besucht. Elisabeth hatte das Gefühl, ihr Kind hüpfe bei der Begegnung geradezu in ihrem Bauch. Als ob Johannes Jesus schon vorgeburtlich freudig begrüßen wollte. Drei ganze Monate blieb Maria bei Elisabeth. Da entstand in dieser so besonderen Zeit eine ganz besondere Nähe zwischen den werdenden Müttern – und wohl auch zwischen den Söhnen, die bald zur Welt kamen. Ob sie sich als Kinder getroffen haben oder als Jugendliche? Wir wissen es nicht, die Bibel erzählt nichts davon. Aber die Mütter werden davon gesprochen haben, wie das war damals, als sie beide schwanger waren. Nähe entsteht ja auch durch Erzählung. Und die wird in der Kindheit und Jugend von Johannes und Jesus entstanden sein, ganz gleich ob sie sich leiblich begegnet sind in jenen Jahren oder nicht.

 

Als Jesus und Johannes sich am Jordan begegnen, ist Johannes schon ein berühmter Mann. Er stammt aus einer altehrwürdigen Priesterfamilie. Doch er hat ein einfaches Leben gelebt, und andere dazu aufgefordert, es ihm gleich zu tun. Ich stelle mir das vor wie Reden zum alternativen Lebensstil heute: Ganz anders könnten wir leben. Einfacher. Solidarischer. Weniger konsumorientiert und dadurch auch glücklicher. Viele sind von Johannes begeistert. Sie schließen sich ihm an. Und zu seinem Markenzeichen wird, dass er die Menschen symbolisch reinigt. So sollen sie zeigen, wie entschlossen sie sind, ihr Leben zu ändern. Es geht um ein Untertauchen, griechisch baptizein.

 

Als ich einmal mit dem Rabbiner Walter Homolka über das christliche Verständnis der Taufe sprach, meinte er, das sei wahrscheinlich doch schlicht ein Reinigungsritual in jüdischer Tradition gewesen. Und ja, so ist es im hebräischen Teil der Bibel überliefert, etwa wenn der Prophet Elischa einen Aussätzigen sieben Mal im Jordan untertaucht, um seine Krankheit zu heilen. Oder wenn Psalm 51 das innere Reinigen unserer Seele und das körperliche Waschen verbindet! Denn das Waschen, um sich rituell zu reinigen, kennt die jüdische Tradition sehr wohl.

 

Mit der Erzählung des Markusevangeliums beginnt nun aber eine neue, andere Tradition: Die christliche Taufe. Sie findet nur einmal im Leben statt. Und ich kann mich nicht selbst taufen, sondern vertraue mich einem anderen Menschen an: Ich werde getauft. Für unsere Glaubenstradition ist die Taufe der Eintritt in die Gemeinschaft. Dabei gefällt mir besonders der ökumenische Charakter der Taufe: Ganz gleich welcher Konfession wir angehören, fast alle, Orthodoxe, Reformierte, römische Katholiken, Lutheraner, Methodisten erkennen diese Taufe gegenseitig an. Wir werden mit der Taufe Teil der Familie der Kinder Gottes.

 

Doch zurück zur Begegnung am Jordan: Jesus ist anders als Johannes gerade erst dabei, sich über den eigenen Auftrag im Klaren zu werden. Was ist mein Weg? Er spürt eine Berufung, weiß aber nicht, wohin sie ihn führt. Johannes dagegen sieht bereits, wie besonders der Weg Jesu sein wird. Er hat die tiefe Überzeugung, dass Jesus einen noch bedeutenderen Weg vor sich hat im Auftrag Gottes. Interessant, dass Johannes gar nicht hadert: Der ist größer als ich, besser als ich, wichtiger. Nein, er sieht das und ist zutiefst überzeugt: Die entscheidende Botschaft liegt bei Jesus. Ich selbst bin sein Wegbereiter. Das ist bewegend, finde ich. Es gibt Menschen, die können klar sagen: Die erste Reihe ist nicht mein Platz. Da will ich gar nicht stehen.

 

Zur Taufstelle am Jordan ist es ein weiter Weg durch die Wüste. Erst kurz vor dem Fluss zeigt sich die grüne Oase. Johannes kannte Wüstenzeiten. Er hatte sie bewusst gesucht, um Klarheit zu finden für sein Leben. Jesus wird nach der Taufe in die Wüste gehen, auch er suchte Klarheit. Wüste, sie steht für Kargheit. In Wüstenzeiten unseres Lebens sind wir ganz auf uns selbst gewiesen. Selten suchen wir uns solche Zeiten aus. Aber in der Regel kommen wir im Leben nicht um sie herum.

 

Mir sagt das Bild sehr zu, dass die Taufe wie eine Oase in unserem Leben ist. Sie kann zur Kraftquelle werden, wenn wir uns auf sie besinnen. Der Reformator Martin Luther soll sich in den schweren Zeiten seines Lebens immer wieder gesagt haben: Baptizatus sum, ich bin getauft! Das heißt, ich bin getragen und gehalten von Gottes Segen und von der Gemeinschaft der Kirche, zu der ich gehöre.

 

Als der Erlebnisraum Taufe im Reformationsjubiläumsjahr in Wittenberg entstand, habe ich viele Menschen erlebt, die von diesem Gedanken sehr bewegt waren. Sie haben sich dort an ihre Taufe erinnert. Diese Zusage: Ich bin gesegnet, sie hat sie berührt.

 

In der Regel taufen wir in unserer Tradition Säuglinge. Ich finde das sehr schön. Denn so wird deutlich: Gott sagt Ja zu uns, bevor wir irgendetwas leisten oder verstehen können. Wir müssen nicht erst „richtig“ glauben, nein, Gott sieht uns auch so. Mit all unseren Fehlern und Mängeln werden wir von Gott angenommen, umhüllt uns die Liebe Gottes. Glaube ist auch keine intellektuelle Leistung, es geht um Vertrauen. Eltern vertrauen Gott ihre Kinder an und Kinder vertrauen auf Gott. Auf ihre ganz eigene Weise.

 

Mir gefällt sehr gut, dass wir heute von Kindertheologie sprechen. Gewiss, wir lehren Kinder, erzählen ihnen die Geschichten der Bibel. Aber sie lehren uns auch, nämlich Vertrauen ohne Garantieschein. Wie sagte Jesus: Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder …

Aber wir taufen ja nicht nur Säuglinge. Anrührend ist für mich auch die Taufe von älteren Kindern und Erwachsenen. Da war vor einigen Jahren eine Studentin, die sich ganz bewusst zur Taufe entschlossen hatte. Letztes Jahr eine 18jährige. Zur Konfirmationszeit hatte sie das alles abgelehnt und wollte sich weder taufen noch konfirmieren lassen, aber jetzt war es ihr wichtig, Ja zum Glauben zu sagen. Und vorletztes Jahr habe ich zwei kleine Mädchen getauft, Schwestern, zwei und fünf Jahre alt. Die ältere brachte nach meiner Ansprache ihren Hocker zum Taufbecken. Sie war absolut aufgeregt. Nachdem ich dreimal das Wasser über ihren Kopf gegossen hatte „Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“ sagte sie zu ihrer Oma: „Margot hat mich gleich dreimal getauft!“ Ich freue mich über jede Taufe. Sie zeigt, dass wir den Glauben weitergeben an die nächste Generation. Und wenn wir uns in einem Erlebnisraum wie diesem an die eigene Taufe erinnern, sagen wir dankbar neu Ja zu unserem Glauben.

 

Dabei schützt die Taufe nicht vor allem Leid. Sie ist keine Magie. Johannes wie Jesus werden einen gewaltsamen Tod erleiden. Aber noch im Tod vertrauen sie sich Gott an.

 

In dieser Tradition steht auch die Nottaufe. Martin Luther hat erklärt, jeder getaufte Christ sei Priester, Bischof, Papst!

 

Ein Jahr vor meiner Geburt brachte meine Mutter als drittes Kind einen kleinen Jungen zur Welt. Er war eine Frühgeburt. Als Kinderkrankenschwester war ihr klar, dass seine Lebenschancen gering waren. Sie bat die diensthabende Krankenschwester, ihn zu taufen. Das tat sie und wenig später starb der Kleine. Meine Mutter sah das nicht als Magie, sie wusste, er würde sterben. Aber ihr war der Segen Gottes „Du bist mein“ wichtig. So geht mir das heute, wenn ich meine Enkel taufen darf.

 

Die Taufe beendet Hierarchie. Es gibt keinen Weihestatus, die Taufe macht uns zu Gleichen. Der Apostel Paulus schreibt: Da ist nicht Jude noch Grieche, Sklave noch Freier, Mann noch Frau. Das heißt ja auch: Die Taufe hebt allen Nationalismus, Rassismus, alle Geschlechterhierarchien auf! Gerade in diesen Tagen ist das eine Zeitansage: Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht spielen für Christen keine Rolle! Wer Menschen trotzdem danach sortiert, widerspricht unseren tiefsten Glaubensüberzeugungen.

 

Wenn erwachsene Menschen sich zur Taufe entschließen, ist das ein sehr bewusster Akt. Oft sind es auch Geflüchtete, die sich taufen lassen. Soll die Taufe da etwa zum Asylgrund werden? Das Bundesamt für Migration und Flucht fragt dann oft intensiv nach. Aber Menschen, die sich dazu entschließen, sind meist einen weiten Weg gegangen. Keine Pfarrerin, kein Priester, kein Pfarrer tauft leichtfertig. Es gibt Glaubenskurse, manchmal bedeutet die Taufe sogar ein Entzweien mit der eigenen Familie. Diejenigen, die ich kennengelernt habe, haben sich sehr bewusst für den christlichen Glauben entschieden, weil sie in ihm Freiheit sehen, zu denken, zu fragen, zu zweifeln. Auch dazu sagen wir Ja bei der Taufe. Ich denke, der Staat kann das nicht hinterfragen.

 

Landesbischof Meister hat so wunderbar formuliert: „Wir brauchen Trosträume“! Die Erinnerung an die eigene Taufe kann so ein Trostraum sein. Hier in Obernkirchen ist es ein realer Ort in der Nachfolge des Reformationsjubiläums in Wittenberg 2017. Tauferinnerung gibt Trost und Halt. „Baptizatus sum!“, das können sich Getaufte selbst sagen, zusprechen und zusagen lassen.

Ich bin getauft!

Das gibt Halt. Auch in diesen Zeiten.

Das verbindet über konfessionelle, nationale und alle anderen Grenzen hinweg.

Das ermutigt, wenn wir verzagt werden.

Wenn wir uns an unsere Taufe erinnern, kommt die Oase in unser Leben, auch wenn wir gerade durch Wüstenzeiten gehen. Denn in jeder Taufe wiederholt Gott das, was er in der Bibel immer wieder zu uns sagt: Fürchte dich nicht! Amen.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

15.05.2020
Margot Käßmann