"Aus der Asche wird ein Schwan entstehen"

Feiertag 12. 07.

Jan Hus auf dem Scheiterhaufen - Spiezer Chronik 1485

"Aus der Asche wird ein Schwan entstehen"
Zur Verbrennung von Jan Hus als Ketzer vor 600 Jahren
12.07.2015 - 07:05
26.06.2015
Pfarrer Burkhard Müller

Heute werden Sie die denkwürdige Geschichte hören von der Gans, die gebraten wurde, und aus der Asche wurde ein schöner Schwan. Dazu gehen wir rund 600 Jahre zurück, zum 6. Juli 1415.

 

Es ist sehr früh am Morgen. In Konstanz läuten die Glocken des großen Münsters. Die Kirche ist bereits gut besetzt. Die Menschen sind gekommen als Verantwortliche, als juristische Berater, als Richter. Oder einfach aus Neugier. Wird heute ein Todesurteil gesprochen?

 

Nicht einmal 8000 Leute leben in Konstanz. Als dort um 1414 zu einem Konzil geladen wird, strömen sie zu Tausenden herbei: Kardinäle, Patriarchen, Bischöfe, Äbte, Professoren. Dazu ihre Begleiter und alle, die ihnen zu Diensten sein wollen.

 

Die Stadt ist fromm geworden. Und sündig zugleich. Mehr als 700 sogenannte "Hübschlerinnen", also Prostituierte, arbeiten während des Konzils in Konstanz, natürlich auch für kirchliche Würdenträger.

 

Die kleine Stadt platzt aus allen Nähten. Wein, Weib und Gesang spielen eine große Rolle. Kurz: Das Konzil ist auch ein großes, lautes Fest.

 

Das Konzil spiegelt die wüsten Missstände der Kirche. Es gibt zwei, auch schon mal drei Päpste, die sich gegenseitig verdammen. Diese Kirchenspaltung muss auf dem Konzil überwunden werden.

 

Heute allerdings, am 6. Juli 1415, soll eine weniger wichtige Sache erledigt werden, eher ein Lappalie: Heute geht es nur um einen Ketzer. Damit werden sie wohl schon fertig werden.

 

Das große Münster ist gut besetzt. Kaiser Sigismund sitzt auf einem Thron, viele Herrschaften tragen ihre Bedeutsamkeit mit farbiger Amtskleidung zur Schau. Gemeines Volk finden wir nicht, aber doch eine ganze Reihe von Bürgern mit den nötigen Beziehungen zur kirchlichen Prominenz.

 

Viele stehen notgedrungen draußen vor der Kirche. Auch der eine, um den es heute geht: Im schlichten schwarzen Gewand wartet er inmitten seiner Bewacher. Er darf nicht hinein. Er ist unwürdig, die Messe zu empfangen. Er ist Ketzer.

 

Draußen vor der Stadt wird eine Feuerstelle für ihn hergerichtet, Holz wird zusammengetragen und Stroh. Und ein Pfahl ist aufgestellt, an den man ihn binden wird. „Heute brät man eine Gans!“ werden die Leute sagen, die das tschechische Wortspiel verstehen: denn „Gans“ heißt tschechisch Husa, und Jan Hus ist der Name des Ketzers, für den das Feuer vorbereitet wird.

 

Jan Hus ist in Südböhmen in einfachen Verhältnissen aufgewachsen.

 

Gott gab mir Hände zur Arbeit und Arme zum Holztragen wie meinem Vater.

 

Aber er will etwas gelten unter den Leuten, darum strebt er das Priesteramt an.

 

Als Schüler hatte ich vor, bald Priester zu werden, um eine gute Kleidung und Wohnung zu haben und von den Menschen geschätzt zu werden.

 

Später schämt er sich für solche Gedanken. Dieses Denken hält er für einen Grundschaden der Kirche.

 

In Prag studiert er Theologie, die lebenslang seine Leidenschaft bleiben wird. Aber es kommt zu einer Doppelkarriere: er ist ein begabter Redner, der „wie eine Tuba dröhnt“, wie es anerkennend heißt.

 

Er wird Prediger der Bethlehemskirche in Prag. Die große Hallenkirche fasst 3000 Leute. Aus allen Bevölkerungsschichten kommen sie, ihn zu hören. Die Leute verstehen ihn und fühlen sich verstanden. Er nimmt sich das Recht heraus, frei und in der Muttersprache seines Volkes zu predigen, also auf Tschechisch.

 

Es ist eine Zeit des politischen und kirchlichen Niedergangs. Die Themen liegen in der Luft. Hus greift sie auf. Er mahnt Reformen an. Wie viele Gleichgesinnte. Er ist nicht ihr Anführer, er ist nicht der Radikalste, aber der Verständlichste und als Prediger in der Bethlehems-Kirche so etwas wie das Sprachrohr der Bewegung.

 

Hus nennt die Übel beim Namen: z.B. die Geldgier der Priester, die für alles kassieren: für Taufen, Trauungen, Beerdigungen. Die sich hemmungslos kirchliche Ämter als Pfründen zuschachern. Empört ruft er bei einer Beerdigung eines Priesters:

 

Um die ganze Welt möchte ich nicht mit so viel Pfründen belastet sterben.

 

Er beklagt den Sittenverfall in allen Bereichen, wie ungebildet die Priester sind, wie gewissenlos. Er beklagt die Einsamkeit der Priester, die sich dagegen mit Alkohol behelfen bis zur Trunkenheit. Oder mit ihren Köchinnen die Einsamkeit vertreiben, bis hin zu reicher Kinderzahl. Er beklagt die vielen sextollen Priester, „die ohne Rüge und Strafe wie ungezähmte Stiere und Zuchthengste umhergehen.“

 

Bei den einen ist Hus sehr populär. Andere hassen ihn. Manche Kollegen fühlen sich beschimpft, obwohl Hus nicht nur schlecht von ihnen redet:

 

Ich kenne viele Pfarrer, deren Füße ich wegen ihres heiligen Lebenswandels küssen möchte.

 

Seine Gegner schicken Spione in seine Gottesdienste. Spöttisch stachelt er sie an:

 

Schreibt alles fein auf und dann gebt es weiter an die, die mich verurteilen wollen.

 

Die Spione berichten Schlimmes: Dass man Päpste nach der Heiligen Schrift beurteilen müsse, sagt Hus, und dass auch Päpste irren können.

 

Es gibt kein Haupt dieser Kirche außer Christus.

 

Der Gehorsam gegenüber dem Staat wird relativiert:

 

„Nur in guten Befehlen sollt ihr der Obrigkeit gehorchen, bei schlechten aber kühn euch widersetzen!“

 

Bei der Messe wird nicht nur Brot, sondern auch der Kelch an die Gemeinde gegeben. Das ist von der Bibel geboten, meint Hus.

 

Die Gegner gehen zum Papst, und verklagen Hus. Sie bringen viel, viel Geld mit. Das korrupte System funktioniert reibungslos: 1412 wird Hus von der Kirche verurteilt. Seine Bücher müssen verbrannt werden. Aber die Anhänger von Hus singen darüber Spottlieder:

 

„Der Bischof, der Bischof hat Bücher verbrannt, konnt nicht mal lesen, was drinnen stand!“

 

Hus wird von einem Freund unter einem Tarnnamen auf einer Burg versteckt, wie 100 Jahre später Luther. Luther übersetzt dort die Bibel und wird zu einem Vater der Deutschen Sprache. Hus schreibt im Versteck theologische Bücher auf Tschechisch. Er übersetzt die Bibel ins Tschechische und prägt die tschechische Schriftsprache.

 

Wie Luther empört er sich gegen Ablassbriefe, die der Papst diesmal zur Finanzierung eines Krieges verkaufen lässt. Wieder diese Geldgier der Kirche! Vorneweg kämpft Hus, der sein Versteck verlassen hat, gegen das unbiblische Ablasswesen. Er bekommt viel Unterstützung. Das Volk auf den Straßen singt Spottlieder:

 

 „Es zog der Trommler durch das Land,

den Ablasshandel er verstand:

für eine Ziege, für ein Schaf,

ließ er gleich nach die Höllenstraf.

Und bracht ihm einer eine Kuh,

das Fegefeuer noch dazu.“

 

Hus wird zum Konzil vorgeladen. Der König hat ihm freies Geleit und sichere Rückkehr garantiert. So geht Hus trotz vieler Warnungen hin und rechnet nicht damit, dass der König seine Garantie hinterher aus politischen Gründen nicht aufrecht halten kann und will.

Hus hofft, in einem fairen Prozess seinen Standpunkt rechtfertigen zu können. Er hält den Ketzervorwurf und die Verurteilung aus dem Vatikan schlicht für einen Irrtum.

 

 „Ich wende mich an den schlecht unterrichteten Papst, der besser zu unterrichten ist.“

 

Aber er wird bald verhaftet. Im feuchten Kerker wird er schwer krank. Hus möchte mit seinen Richtern über Inhalte diskutieren, aber sie fordern nur Gehorsam. Er soll abschwören. Jetzt, am 6. Juli 1415, geht es im Münster in die juristische Schlussrunde.

 

Der Prediger dieses Gottesdienstes operiert geschickt mit einem Pauluswort: „auf dass der sündige Leib zerstört werde“. Eine Steilvorlage für die Mahnung an die anwesenden Richter, die Ketzerei auszurotten und des Ketzers „sündigen Leib zu zerstören“!

 

Als ob man Gedanken, die in der Luft liegen, ausrotten könnte, indem man den verbrennt, der sie äußert. Es geht nicht um Recht und Wahrheit, sondern um Geld und kirchliche Macht.

 

In der Mitte der Kirche ist ein Podest für den Ketzer aufgebaut, alle sollen ihn beobachten können. Er wird hereingeholt. Er fällt nieder und betet mit erhobenen Augen.

 

Die Anklage wird verlesen. Die Anklagepunkte sind keine Zitate von Hus, sondern Aussprüche des vor gut 40 Jahren verstorbenen englischen Theologen Wyclif.

 

Wyclif galt damals als der gefährlichste Ketzer. Er wollte die Kirche als sichtbare Organisation abschaffen, da sie in unchristlicher Weise irdische Macht, Reichtümer und Sonderrechte anhäufte. Wyclif wollte nur Gemeinden in der Armut der Urkirche haben. Er war gegen Heiligenverehrung und gegen das Zölibat. Er war beliebt beim Kirchenvolk. Das rettete ihn vor den wütenden kirchlichen Amtsträgern.

Den weltlichen Herren aber, dem König und Adel, gefiel, dass sie durch Wyclif die Chance bekommen sollten, die reiche Kirche zu beerben. Und so kam es, dass Wyclif trotz seiner revolutionären Thesen in ziemlichem Frieden leben konnte, bis er – so heißt es – mitten in einer Messe an einem Schlaganfall verstarb.

 

In Prag wurde Wyclif begeistert gelesen, auch von Hus. Aber Hus ging mit diesen Thesen kritisch um. Wyclif hat Hus angeregt. Aber man kann Hus nicht verurteilen, indem man ihm Aussprüche von Wyclif unterschiebt.

 

Immer wieder ruft Hus in die Kirche hinein:

„Das habe ich nicht gelehrt! Das habe ich nicht gesagt! Das ist nicht meine Meinung!“

 

Man überhört ihn oder schreit ihn nieder.

 

„Erlaubt mir, dass ich mich vor den Menschen hier rechtfertige und ihnen zeige, dass ich das nie gesagt habe.“

 

Doch, er habe Wyclifs Lehre in seinen Büchern übernommen!

 

„Nein, nein, das stimmt nicht. Und ihr habt meine Bücher nicht gelesen, ihr könnt sie gar nicht gelesen haben, denn sie sind auf Tschechisch geschrieben.“

 

Fassungslos vernimmt Hus den grotesken Vorwurf der Anklage, er habe sich als vierte Person der Trinität ausgegeben. Immer wieder fällt er auf die Knie um zu beten. Und man hört:

 

„Vergib ihnen.“

 

Hus widerruft nicht. Für Kläger und Richter der Beweis, dass Hus nicht nur ein einfacher Ketzer, sondern ein hartnäckiger Ketzer ist.

 

„Nein das bin ich nicht, ihr sollt mich nur aus der Schrift widerlegen.“

 

Das Urteil wird gefällt. Zuerst sollen seine Schriften verbrannt werden, und dann er selbst.

 

Zuerst muss er als Priester degradiert werden. Auf dem Podest zieht man ihm seine Priesterkleidung an, um sie ihm unter Verfluchungen Stück für Stück wieder auszuziehen, bis er nackt dasteht und man seine Blöße mit einem Hemd bekleidet.

Er bekommt eine Ketzermütze aufgesetzt. Teufel sind darauf gemalt. Und die Worte: Ich bin ein Erzketzer.

 

Ihm wird angekündigt: Wir übergeben deine Seele dem Teufel. Hus korrigiert:

 

„Ich übergebe meine Seele dem Herrn und seiner Gnade.“

 

Es ist inzwischen zehn Uhr. Der Ketzer wird der weltlichen Obrigkeit zur Hinrichtung übergeben.

 

Das Konzil aber zieht sich zu den nächsten Beratungen zurück. Man hat eine Ketzerei erledigt. Fertig. Hus und seine Lehre sind jetzt aus der Welt.

 

Welch ein Irrtum. Die Herren vom Konzil ahnen nicht, wie es nach der Hinrichtung weitergeht. Und dass hundert Jahre später ein anderer von sich sagen wird: Ich, Martin Luther, bin ein Hussit.

 

Hus soll verbrannt werden! Die Konstanzer machen es zu einem großen Spektakel, zu dem man mit Kind und Kegel geht.

 

Da kommt er, Hus, Festen Schrittes geht er inmitten seiner Wächter. Er singt lateinische Psalmen. Gelegentlich hält er an, redet tröstend und mahnend auf die Menschen am Straßenrand ein. An der Feuerstelle kniet er nieder und betet erneut.

Hus verabschiedet sich von seinen Bewachern, zu denen in den letzten Wochen auch freundschaftliche Beziehungen gewachsen sind:

 

„Ihr seid nicht Wächter, sondern Brüder.“

 

Dann wird er fest an die Säule angebunden, mit nassen Seilen und einer rostigen Kette um den Hals. Stroh und Holz werden aufgeschichtet bis über die Schultern. Die Henker stoßen brennende Scheite in das Stroh, das Feuer lodert auf Man hört Hus nicht schreien. Er singt:

„Herr erbarme dich, Christus erbarme dich, Herr, erbarm...“

 

...bis sich die Lippen nur noch stumm im Gebet bewegen. Dann verbrennt er.

 

 

Hus verbrennt nicht völlig. Man nimmt den verkohlten Leib, zerschlägt die Knochen und verbrennt alles, auch seine Kleidung, bis zum Letzten. Es soll keine Reliquien geben. Auf einer Schubkarre werden die Reste zum Rhein gebracht und ins Wasser geworfen.

 

Gegner haben Hus schreien hören. Und der Boden unter dem Scheiterhaufen habe sich aufgetan und der unerträgliche Verwesungsgestank eines zufällig dort vergrabenen Maultiers habe die Luft erfüllt. Ein teuflischer Höllengestank! Ein Augenzeuge des Konzils ist beruhigt: Jetzt weiß er Hus in der Hölle

 

Aber andere Augenzeugen, die Hus haben brennen sehen, betend und singend, bekennen öffentlich:

„Einer, der so stirbt, kann kein Ketzer sein.“

 

 

Was hat dieser Justizmord alles losgetreten!

 

Alle reformatorischen Bewegungen dieser Zeit, die Taboriten, Katharer, Waldenser und andere taten sich als „Hussiten“ zusammen. Um Glaubensgenossen zu befreien stürmten Hussiten das Prager Rathaus und warfen dabei zehn Gegner aus dem Fenster, ja, der erste Prager Fenstersturz!

In den folgenden Kriegen kämpften die Hussiten um ihr Recht, ihren Glauben ausleben zu dürfen.

 

Durch die Jahrhunderte hindurch ist Hus umstritten. Für die einen ist er der Revolutionär, Vorbild für andere Revolutionäre. Für andere ist er tschechischer Nationalheiliger. Der Tag seiner Verbrennung ist bis heute Nationalfeiertag der Tschechen!

 

Für Katholiken blieb er lange Zeit der Ketzer schlechthin. Heute allerdings steht Hus nicht mehr zwischen den Konfessionen. Papst Johannes Paul II. erklärte 1999:

„Heute [...] fühle ich mich verpflichtet, mein tiefes Bedauern auszusprechen für den grausamen Tod von Jan Hus und für die daraus folgende Wunde, Quelle von Konflikten und Spaltungen, die in den Geist und die Herzen des böhmischen Volkes gerissen wurde.“

 

Die Protestanten halten ihn für einen Vorläufer Luthers, der sein Werk fortsetzte und vollendete. An Hus lernen wir, dass Luther nicht wie vom Himmel gefallen ist, sondern mit vielen andern neben und auch vor ihm die Reform der Kirche vorangetrieben hat.

Reformation ist mehr als nur Luther. Auch Hus gehört dazu. Darum ist er mit Recht auf dem Reformationsdenkmal zu Worms zu sehen. An Hus liegt es vermutlich, dass der Schwan auf alten Bildern und in Kirchen ein Symbol für Luther ist. Denn, so die Legende, Hus soll vor seinem Sterben gesagt haben:

 

„Heute bratet ihr eine Gans, aber aus der Asche wird ein Schwan auferstehen“.

26.06.2015
Pfarrer Burkhard Müller