Albaner und Indianer

Gedanken zur Woche
Albaner und Indianer
31.07.2015 - 06:35
18.06.2015
Pfarrerin Angelika Obert

Es ist ihr letzter Tag im Flüchtlingsheim. Morgen wird sie mit ihren Kindern abgeschoben – zurück nach Albanien. Heute nimmt sie Abschied. Zum Glück ist die deutsche Frau gerade da, die immer mittwochs die Wolle ins Heim gebracht hat. Ihr legt die Albanerin an diesem heißen Sommertag einen hellblauen Wollschal um den Hals – ihr Abschiedsgeschenk. Danke lässt sie denen sagen, die mit ihr gestrickt haben, die mit ihren Kindern gespielt haben, die ihr Deutsch beigebracht haben. Sie nennt sie alle beim Namen. Sie wird die Menschen nicht vergessen, die ihr in der Erstaufnahmeeinrichtung das Leben leichter gemacht haben.

 

Die beschenkte deutsche Frau, eine Potsdamerin, geht beklommen nach Hause. Berührt natürlich von der Dankbarkeit, die sie erlebt hat. Aber auch traurig. Was mag denn nun werden aus der Mutter, die mit ihren Kindern in Albanien irgendwie aufs Neue überleben muss? Wie mag ihr jetzt zumute sein, wo sie weiß, dass die Hoffnung auf eine bessere Zukunft für ihre Kinder zerplatzt ist? Welche Anstrengung mag es sie gekostet haben, den Aufbruch nach Deutschland zu wagen? Und wieviel Kraft bleibt übrig, nachdem das alles doch nur ein Irrweg war? Solche Gedanken gehen der Potsdamerin durch den Kopf. Sie fühlt sich nicht gut, eher ein wenig beschämt. Ein paar Minuten steht sie wie fremd in den eigenen vier Wänden. Wie wohlgeordnet hier alles ist! Wie unglaublich sicher sie lebt! „Mein Herz knackte!“ schreibt sie dann in einer Email an die andern Ehrenamtlichen in der Erstaufnahme.

 

Diese Email hat auch mich erreicht, obwohl ich zu dem Kreis nicht gehöre. Und fast zugleich bekam ich eine andere Email, in der es auch um das Flüchtlingsthema ging. Jemand erinnerte mich daran, dass es gefährlich ist, massenhaft Einwanderer ins Land zu lassen und sie auch noch mit einer „Willkommenskultur“ zu begrüßen. Ich solle doch nur mal an das Schicksal der Indianer auf dem amerikanischen Kontinent denken.

 

Und das hat mich nun wirklich verblüfft: Wie himmelweit der Unterschied doch sein kann – je nachdem, ob ich von weiter Ferne auf ein Problem blicke oder gerade ganz nah dran bin.

Aus weiter Ferne ist es wohl möglich, in dem gegenwärtigen Flüchtlingsstrom eine Bedrohung zu wittern, weil Eindringlinge doch noch immer gefährlich waren. Und, es ist richtig, die europäischen Welteroberer sind dafür ein abschreckendes Beispiel.

Nur, aus der Nähe betrachtet ist die potentielle Conquistadora eine albanische Mutter, deren Asylantrag ordnungsgemäß abgelehnt wird. Es ist ja nicht so, als ob die deutschen Behörden nicht funktionierten. Da muss man sich gar keine großen Sorgen machen: das Asylrecht greift bei Verfolgung, nicht bei Armut. Und selbst ein Einwanderungsgesetz, wie es jetzt zur Debatte steht, wird einer strickenden Albanerin kaum Chancen geben, in Deutschland heimisch zu werden.

 

Was von fern wie Bedrohung aussieht, ist aus der Nähe ein trauriges Schicksal. Und da möchte man dann gleich wieder über Lösungen nachdenken. Aber das will ich gerade nicht tun. Mir geht es darum, das Ungelöste und vielleicht auch Unlösbare auszuhalten. Ich glaube, wir sind alle immer viel zu schnell in Versuchung, Probleme von fern zu betrachten und uns im Kopf einen Reim darauf zu machen, eine Theorie zu haben, Bescheid zu wissen. Viele denken ja, auch die Religion sei nichts Anderes als eine Weltanschauung aus der Ferne. Aber das ist ein Irrtum. Soweit ich sehe, ist jede Religion eine Einladung, die Allwissenheit Gott zu überlassen und selbst einfach nur genau hinzugucken und das Naheliegende zu tun: die Begegnung mit dem Schwierigen nicht zu meiden, sondern zu suchen.

 

Es ist das Gegenteil von Gutmenschlichkeit. Denn als „guter“ Mensch konnte sich die Potsdamerin ja nun gerade nicht fühlen nach dem Abschied von der Albanerin. Den Knacks im Herzen hat sie mitgenommen, eine Ahnung vom realen Elend in der Welt. Und einen Dank dafür, dass sie nicht weggeschaut hat.

 

Vielleicht kennen Sie solche Erfahrungen. Sie können mit mir darüber sprechen: Ich bin bis 8 Uhr erreichbar unter der Telefonnummer 030/32 53 21 344 – ich wiederhole 030 für Berlin und dann 32 53 21 344. Oder Sie diskutieren mit auf Facebook unter deutschlandradio.evangelisch.

Weitere Infos

18.06.2015
Pfarrerin Angelika Obert