Besorgt bin ich auch

Besorgt bin ich auch
Besorgt bin ich auch
09.09.2016 - 06:35
08.09.2016
Pfarrerin Angelika Obert

Ich gehöre nicht zu denen, die in den Kommentaren der letzten Tage die „besorgten Bürger“ genannt wurden.  Ich werde die AfD nicht wählen. Als Christin bin ich für geregelte Willkommenskultur. Aber das heißt nicht, dass ich die Sorgen Andersdenkender nicht verstehen könnte. Gern erinnere ich mich an ein Telefongespräch nach dieser Sendung mit einem Lastwagenfahrer, der mir erklärte, warum er der Pegida-Bewegung nahe steht. Ein freundlicher, ehrlicher Mann. Er erzählte, wie nervös ihn das macht, wenn er auf dem Bock sitzt und Deutschlandfunk hört – all die verschiedenen Meinungen und Behauptungen und nie würde irgendetwas zu Ende besprochen. Er erzählte von seinem Leben in einem sächsischen Dorf, von gemeinsamen Festen und harter Arbeit. Ich konnte verstehen: Dass er nicht vorkommt im öffentlichen Stimmengewirr und dass er das nicht gerecht findet. Dass er sich mit seiner Lebensleistung nicht ernst genommen fühlt. Es ist ja auch wahr: Im Radio werden mehr Geschichten über Geflüchtete erzählt als über Lastwagenfahrer oder das Leben auf dem Dorf. Es ist wahr: Es gibt eine Menge Menschen, die unsichtbar sind in der großen politischen Debatte und – stimmt auch: Man kann schon wütend werden, wenn man sich abgehängt fühlt. Es ist wichtig, darüber nachzudenken, wie die demokratische Teilhabe bis in die Dörfer hinein verbessert werden kann. Ich bin dem Lastwagenfahrer dankbar, weil er mir von sich erzählt hat, ohne zu schimpfen. Klar kann man miteinander reden, wenn es freundlich und ehrlich geschieht.
So nun begegnen mir die besorgten Bürger, die sich an die AfD halten, allerdings nicht. Für sie gehöre ich zu denen, die sie als „verseuchte und versiffte Alt-68er“ oder auch „Linksfaschisten“ bezeichnen. Wenn mir blanker Hass entgegenschlägt, was gibt es da zu verstehen? Und wie soll ich es verstehen, wenn Leute allen Ernstes behaupten, die Kanzlerin sei eine Diktatorin – als ob wir nicht wüssten, wie es in den wirklichen Diktaturen dieser Welt aussieht? Und nein, ich kann es auch nicht verstehen, wenn jemand behauptet, nicht die geflohenen Syrer hätten ihre Heimat verloren, sondern die Deutschen. Es macht mir Angst, wenn eine politische Partei die Dinge so schamlos auf den Kopf stellen kann.. Und da bin ich nun doch eine besorgte Bürgerin. Besorgt, dass Rassismus und Diskriminierung in unserm Land politisch wieder eine Chance haben könnten, dass Hass und Vorurteil an Macht gewinnen. Ich bin als Christin besorgt, auch um meine Religionsfreiheit: Ein Recht auf  Barmherzigkeit, auf Hilfsbereitschaft, ein Recht darauf, meine Werte zu vertreten und zu beherzigen, will ich haben, ohne dafür verspottet und verteufelt zu werden. Und dann möchte ich als besorgte Bürgerin von den Vertretern der AfD auch Antwort bekommen auf meine Fragen an ihr Programm: Welchen Sinn es haben kann, Muslime, die ja schon lange in Deutschland leben, mit ausgrenzenden Verboten zu strafen – wenn es doch gerade das Ziel der militanten Islamisten ist, einen unversöhnlichen Keil zwischen dem Islam und der westlichen Welt zu schaffen? Wollen sie ihnen in die Hände arbeiten? Ich möchte gerne wissen, ob sie ernstlich glauben, die gigantischen Herausforderungen von Migration und Flucht im 21. Jahrhundert ließen sich dadurch lösen, dass man sich einfach abschottet?

Ich will nicht Gleiches mit Gleichem vergelten. Nicht hassen und nicht höhnen. Aber da die AfD ja nun ein Fünftel der Stimmen in demokratischer Wahl erreicht hat, darf ich  wohl erwarten, dass sie sich an die demokratischen Spielregeln hält, zu denen der Respekt vor den Andersdenkenden gehört, Gesprächsbereitschaft, Hörbereitschaft. Mindesttugenden im christlich geprägten Abendland. Mag sein, dass auch die andern Parteien da noch besser werden könnten, aber keine ist so weit davon entfernt wie die AfD.
Gesprächsbereit bin ich für Sie, liebe Hörerin, lieber Hörer,  bis 8 Uhr erreichbar unter der Telefonnummer 030/325 321 344 – ich wiederhole: 030/325321 344. Oder Sie diskutieren mit auf Facebook unter deutschlandradio.evangelisch.

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08.09.2016
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