Es wurden alle satt …

Frankfurter Tafel

epd-bild/Heike Lyding

Es wurden alle satt …
Zum Konflikt um die Essener Tafel
09.03.2018 - 06:35
10.01.2018
Pfarrerin Heidrun Dörken
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Es gibt dieses Wunder. Manchmal sogar täglich. Ich hab‘s schon als Kind erlebt, beim Picknick auf dem Ausflug. Jeder hatte nur ein bisschen was mitgebracht. Und ein paar hatten ihr Essen sogar vergessen. Und dann haben wir, was wir hatten, auf die Decke gelegt. Am Schluss waren alle satt. Es ist sogar was übrig geblieben.

 

Aus wenig wird mehr. Manchmal sogar ganz viel, wenn man es teilt. Das merke ich nicht nur beim Essen. Wenn ich jemand meine Zeit widme oder mein Wissen weitergebe. Oder wenn ich mal ein richtig großes Geschenk gemacht habe, einfach so. Hinterher bin ich selbst ganz erfüllt davon. Und umgekehrt: Wenn ich selbst denke, mir fällt gar nichts ein, werde ich inspiriert von den Ideen anderer und bekomme Trost und Wärme, die ich nötig habe.

 

Diese wunderbare Erfahrung hat eine lange Tradition: Gebt, was ihr habt – ihr werdet etwas zurückbekommen. Das Neue Testament berichtet (1), dass die Jünger Jesu nur fünf Brote und zwei Fische auf den Boden legen konnten für sehr viele hungrige Leute. Am Ende heißt es: Alle aßen und wurden satt. Diese Speisung der Fünftausend haben die Evangelisten aufgeschrieben als ein Wunder Jesu. Das heißt für mich: Diese Erfahrung, dass keiner leer ausgeht, hat mit Gott zu tun. Zu teilen, was man hat, ist wunderbar. Diese Haltung hat Gott auf ihrer Seite.

 

Seit Wochen wird in Deutschland darüber gestritten, wie genau die Helfer bei den Tafeln die Lebensmittel an wen verteilen. Doch es wäre schlimm, wenn es nur darum ginge. Es geht um viel mehr. Die vorläufige Entscheidung der Essener Tafel, wegen schlechten Verhaltens und wegen zu großem Andrang einen Aufnahmestopp für Menschen mit ausländischem Pass zu verhängen, hat das Thema Armut in Deutschland wieder auf die Tagesordnung gebracht.

 

Ich habe mich umgehört bei Ehrenamtlichen von drei Tafeln in meiner Nähe (2). Diese Frauen und Männer haben mir gesagt: Ihr Engagement ist eine Art Linderung. Die ist enorm wichtig. Es ist ein Unterschied für ein Geburtstagskind von fünf Jahren, ob seine alleinerziehende Mutter von den Sachen der Tafel einen großen Kuchen backen kann oder nicht. Oder ob ein Rentner von dem durch die Tafel Gesparten seinem Enkel mal einen Schein in die Hand drücken kann.

 

Ich habe die engagierten Leute von den Tafeln gefragt, wie sie die Schlagzeilen der letzten Wochen gehört haben. Sie beklagen den Ton und dass sie auch für fremdenfeindliche Ansichten vereinnahmt wurden. Aber sie sagen auch: Gut, dass das Thema Armut auf dem Tisch ist, so oder so. Ihrer Erfahrung nach geht das Gefühl, zu kurz zu kommen, quer durch die Nationalitäten, wenn man arm ist. Auf der anderen Seite sagen sie deutlich: Aggressivität und Respektlosigkeit muss man unterbinden, egal bei wem. Die drei Tafeln haben Verfahren entwickelt, wie das meistens funktioniert. Die einen haben spezielle Tage für bestimmte Gruppen. Andere ziehen Eltern mit Kindern und behinderte Menschen prinzipiell vor. Oder sie vermeiden langes Anstehen durch Terminvergabe. Am Schluss sagt mir ein ehrenamtlicher Helfer: Für mich bleibt’s dabei: Was ich da tue, ist kein Opfer, und wenn es 15 Stunden pro Woche sind. Das macht mein Leben reich.

 

Wenn das kein Wunder ist! Ich glaube, das muss nicht eine Erfahrung von einzelnen bleiben. Weil Armut in Deutschland bei allem nötigen Engagement Einzelner in die Verantwortung von Politik und Gesellschaft gehört. Es wird auf Dauer allen besser gehen, wenn das Thema Armut endlich angepackt wird. Sie darf nicht vererbt werden von Eltern auf Kinder. Menschen muss geholfen werden, sich selbst zu helfen und für sich zu sorgen. Das Geld, das dafür nötig ist, verlieren wir nicht. Denn auf längere Sicht gewinnen alle.

 

Sie können mitreden zum Thema, auf Facebook unter „deutschlandradio.evangelisch“.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

 

Literaturhinweise:

  1. Markus 6. 30-44 par
  2. Schwalbach, Frankfurt-Bahnhofsviertel, Gießen. Mehr Informationen hier:

http://www.ekhn.de/aktuell/detailmagazin/news/wie-tafeln-den-ansturm-bewaeltigen.html

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10.01.2018
Pfarrerin Heidrun Dörken