Faire Verhandlungen

Gedanken zur Woche
Faire Verhandlungen
06.05.2016 - 06:35
27.12.2015
Pfarrerin Cornelia Coenen-Marx

Einmal kommt alles ans Licht. Edward Snowden belegte das Ausmaß der NSA-Spionage. Schweizer Banker lieferten deutschen Steuerbehörden CDs mit den Namen der Steuerflüchtigen. Und seit kurzem liegen die Panama-Papers in Buchhandlungen aus – auch Briefkastenfirmen bleiben auf Dauer nicht anonym.

 

Einmal kommt alles an die Öffentlichkeit. Das Internet und die weltweiten Netze investigativer Journalisten beschleunigen die Prozesse. Was mit Wikileaks begann, hat in dieser Woche mit den internen Protokollen der TTIP- Verhandlungen einen neuen Höhepunkt gefunden. Und viele finden: es war höchste Zeit. Es weckt nun einmal Misstrauen, wenn Wirtschaftsabkommen, die uns alle angehen, hinter verschlossenen Türen verhandelt werden. Fairer Handel braucht auch faire Verhandlungen.

 

Der Verhandlungsstand bestätigt, was viele fürchten: Dass unter dem Motto „Kotflügel gegen Chlorhähnchen und Genmais“ Verbraucherrechte eingeschränkt werden. Die europäischen Agrarstandards stehen amerikanischen Exportinteressen im Weg. Das kann niemanden erstaunen, der harte Geschäftsverhandlungen kennt. Und wer mit der deutschen Exportwirtschaft vertraut ist, der weiß auch, dass der Freihandel bislang Garant unseres Wohlstands war. Wenn es allerdings um Lebensmittelsicherheit geht, dann fragen sich viele doch, was der Wohlstand kosten darf.

 

Diese Debatte muss öffentlich geführt werden. Wo Wirtschaft und Finanzgebaren sich der politischen Kontrolle entziehen, da werden wir zu Recht unruhig. Schließlich ist die demokratische Kontrolle lange erkämpft worden – die der Geheimdienste und auch die der Wirtschaft. In der globalen Wirtschaft wird das aber immer schwieriger. Schließlich sind manche der transnationalen Firmen finanzstärker und mächtiger als Staaten. Auch Lebensmittelkonzerne gehören dazu. Deshalb stört mich an dem derzeitigen Verhandlungsstand von TTIP noch etwas anderes. Nämlich der Vorschlag, spezielle internationale Schiedsgerichte mit Streitigkeiten über Wettbewerbsnachteile für Investoren zu betrauen. Vertreter der Kirchen, Gewerkschaften und Umweltverbände, aber auch die europäischen Verhandlungspartner sehen das seit langem kritisch, wenn Richter nicht öffentlich ernannt werden und europäischen Gerichten die letzte Kompetenz nicht erhalten bleibt.

 

Es geht um die Bedeutung Europas als Wirtschaftsraum und um die Zukunft westlicher Standards in der globalen Wirtschaft. Deshalb ist es gut, dass der Streit nun in der Öffentlichkeit angekommen ist. Um Chlorhühnchen und Kotflügel, und auch um die Schiedsgerichte. Denn es ist ja nicht nur der Wohlstand, der unser Land lebenswert macht, sondern auch und vielleicht viel mehr der Rechtsstaat.

 

Was das bedeutet, habe ich erst begriffen, als ich dienstlich im Nahen Osten unterwegs war. Dass hierzulande niemand verschwindet. Dass jeder vor Gericht einen Pflichtverteidiger bekommt und die Richter unabhängig sind; dass man gegen Urteile in Revision gehen kann – was für Errungenschaften. Und dazu gehören auch öffentliche Debatten und die freie Presse.

 

Nichts bleibt auf Dauer im Verborgenen. Ich weiß, das wünscht man sich nicht, wenn es um die unangenehmen Seiten im eigenen Leben geht – und das sind ja nicht nur dunkle Geschäfte, sondern vielleicht auch Krankheiten oder andere schmerzhafte Erfahrungen. Niemand möchte, dass so etwas ans Licht gezerrt wird – und niemand steht gern vor Gericht. Aber wenn es passiert, dann kommt es darauf an, dass wir gute Anwälte haben. Der christliche Glaube macht mir in dieser Hinsicht Mut: wann immer wir bedrängt werden, wenn die Gerechtigkeit leidet – dann können wir uns darauf verlassen, dass Jesus selbst unser Fürsprecher ist. Beim jüngsten, dem letzten Gericht , wenn alles ans Licht kommt, und auch schon jetzt. Er hat die Geschichte der Völker im Blick – und er sieht sie nicht nur von oben, sondern auch von unten, aus der Sicht der Opfer. Das haben wir gestern gefeiert – am Himmelfahrtstag.

 

Wenn Sie mit mir über irdische und himmlische Gerechtigkeit sprechen wollen – Sie erreichen mich bis 8 Uhr unter der Telefonnummer 030 – 325 321 344. Oder diskutieren Sie mit auf Facebook unter ‚deutschlandradio.evangelisch‘.

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27.12.2015
Pfarrerin Cornelia Coenen-Marx