Gedanken zur Woche

Gedanken zur Woche
Gedanken zur Woche
23.09.2016 - 06:35
23.09.2016
Pfarrer Jost Mazuch

Diese Woche ist der Friede wieder in weite Ferne gerückt. Die Waffen in Syrien ruhen nicht mehr. Nach sieben Tagen einer brüchigen Feuerpause ist wieder Krieg. Ich sehe in den Nachrichten die Bilder des zerbombten Hilfskonvois der Vereinten Nationen und des Roten Kreuzes: die ausgebrannten LKWs, die zerstreuten und zerfetzten Hilfsgüter, die den vom Krieg gepeinigten Menschen zugutekommen sollten. Ich sehe Eltern und Kinder, die durch die zerstörten Straßen von Aleppo rennen, um sich vor den Einschlägen der Geschosse in Sicherheit zu bringen, Angst und Entsetzen in den Augen. Sobald es ihnen möglich ist, werden auch sie aus ihrer Heimat fliehen, nur weg aus Syrien, irgendwohin, wo kein Krieg ist.

So wie Ahmad (Name geändert), der seit einem Jahr in Deutschland lebt. Wie so viele andere kam er über die damals noch offene Balkanroute. Ich habe Ahmad bei einem Gemeindefest in unserer Kirche kennengelernt. Nach Köln war er auf abenteuerlichen Umwegen gelangt – über Asien, die Türkei, den Balkan. Seine Frau und die vier Kinder blieben getrennt von ihm in Indonesien – immer bedroht von Haft und Abschiebung.

In dieser Woche kam Ahmads Familie nach Deutschland. Am Dienstag konnte er seine Frau und seine vier Kinder am Flughafen endlich wieder in die Arme nehmen. Der Weg bis zu dieser Familienzusammenführung war lang. Mit Beharrlichkeit und viel Glück bekamen sie die nötigen Genehmigungen und Visa zusammen. Selbst im letzten Moment fehlte noch ein Stempel. Sie durften nicht in das wartende Flugzeug steigen. Mussten noch einmal zwei Wochen warten. Dann endlich der langersehnte Flug. Und das Wiedersehen jetzt. In Deutschland, in einem Land des Friedens.

In dieser Woche wurde auch in unserem Land wieder viel diskutiert über Flüchtlingspolitik. Aber nur wenig über die Fluchtursachen: Warum fliehen Menschen aus ihrer Heimat? Warum hat keine der vielen Kriegsparteien in Syrien ein Interesse, die Kämpfe zu beenden? Wenn es dort keinen Frieden gibt, werden die Menschen weiter flüchten, und sie werden auch weiter Wege nach Europa und Deutschland finden. Es wurde auch nicht darüber gesprochen, was es für Menschen wie Ahmad und seine Familie bedeutet, jahrelang unterwegs, heimatlos und getrennt voneinander zu sein. Stattdessen diskutieren wir über das Wahlergebnis von Berlin, und wieweit es von der Flüchtlingspolitik bestimmt wurde. Über das Abschneiden der AFD mit ihren ausländerfeindlichen Parolen, die aus berechtigten Sorgen politischen Profit schlagen. Über Obergrenzen für Asyl und Ängste vor den Geflüchteten. Und der Generalsekretär der CSU stellt fest, das „Schlimmste sei ein fußballspielender, ministrierender Senegalese“, weil man den nicht mehr abschieben könne. Solche Debatten empfinde ich als zynisch angesichts dessen, was in der Welt vor sich geht. Wie klein sind unsere Sorgen gegenüber dem, was Menschen anderswo erleiden!

In der Bibel finde ich ein schönes Bild dafür, was Frieden bedeutet: „Jeder sitzt unter seinem Weinstock und unter seinem Feigenbaum, und niemand schreckt ihn auf.“ (Micha 4,4). Es ist nicht viel, was ein Mensch zu einem friedlichen Leben braucht: Essen und Trinken, einen geschützten Ort, Ruhe und Respekt, und eine Perspektive für die Zukunft. Ich weiß nicht, ob Ahmad und seine Familie ihren Feigenbaum in Deutschland finden werden. Aber dass sie hier Frieden finden, dass sie nicht mehr angefeindet werden, dass sie wieder aufatmen dürfen – das wünsche ich ihnen und allen, die hierhergekommen sind.  Und dafür sehe ich mich und unsere Gesellschaft in der Verantwortung. Als Christ glaube ich, dass der Friede ein großes Gut ist, das Gott uns Menschen anvertraut, damit wir ihn bewahren und weitergeben.  Und das fängt hier bei uns damit an, wie wir mit den Schwachen umgehen. Und in welchem Ton wir die politischen Debatten darüber führen.

Wenn Sie mit mir sprechen wollen,  können Sie mich bis acht Uhr anrufen unter der Telefonnummer 030 325 321 344. Ich wiederhole: 030 325 321 344. Oder diskutieren Sie mit auf Facebook unter „deutschlandradio.evangelisch“.

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23.09.2016
Pfarrer Jost Mazuch