Innerlich zerrissen

Gedanken zur Woche
Innerlich zerrissen
01.07.2016 - 06:35
27.12.2015
Pfarrer Stephan Krebs

„Das Leben könnte so schön sein, wenn es nicht ausgerechnet meins wäre.“ Dieser Satz stammt von dem Karikaturisten Alois Glück. In ihm steckt jener trockene und selbstironische Humor, den wir den britischen nennen. „Das Leben könnte so schön sein, wenn es nicht ausgerechnet meins wäre.“ Dieser Satz lässt schmunzeln, obwohl er eigentlich etwas Bitteres ausspricht. Denn er beschreibt eine innere Zerrissenheit, die viele in sich spüren: Man fühlt sich nicht ganz wohl in seiner Haut. Einfach bei sich selbst nicht ganz zuhause. Etwas hat sich entfernt von dem, wie es sein soll. Manchmal weiß man genau, was es ist. Manchmal ist es nur ein diffuses Gefühl. Die Bibel beschreibt diese innere Distanz auch als Distanz zu Gott. Und sie beschreibt das Leben als immerwährenden Versuch, diese Distanz zu überwinden.

 

Auch Europa trägt diese innere Zerrissenheit in sich und erlebt sie in dieser Woche sogar besonders intensiv. Bald wird man in der EU englisch reden ohne Engländer. Viele Briten jubeln über ihren Ausstieg aus der Europäischen Union, aber so ganz wohl ist dabei doch nicht allen. Andere sind starr vor Schreck. Aber den Wunsch, die EU zu verlassen und sich nur noch um sich selbst zu kümmern, gibt es auch in anderen Ländern.

 

Innerlich zerrissen. Manche finden dafür emotionale Worte. Bundeskanzlerin Merkel etwa spricht von der „Familie Europa“, von der sich die Briten nun scheiden lassen wollten. Trauer setzt ein, mit Trotz und Tränen. Dazu zählt die Sehnsucht, das Ganze ungeschehen zu machen – Exit vom Brexit. Dazu zählt die Wut der Verschmähten ‚Resteuropäer‘, sie feiern hämisch das Ausscheiden der englischen Mannschaft bei der Fußballeuropameisterschaft.

 

Während viele noch mit ihren Gefühlen beschäftigt sind, rechnen andere bereits fleißig aus, ob sie zu den Gewinnern des Brexits gehören.

Steigt der Wert meines Reihenhäuschens im Rhein-Main-Gebiet, wenn jetzt viele Banken von London nach Frankfurt umziehen? Wird der Spanienurlaub jetzt billiger, weil ihn sich viele Briten nicht mehr leisten können?

 

Wild durcheinander gehen die Gedanken und Gefühle. Das ist normal. Das alles passiert, wenn Geschichte geschrieben wird. Und in dieser Woche wird europäische Geschichte geschrieben. Aber genau genommen passiert das eigentlich in jeder Woche. Die Welt ist stets im Wandel. Das gilt im Großen der Welt wie im Kleinen des eigenen Lebens. Perfekt ist es nie. Sicher ist es auch nie. Vielmehr ist das Leben sich selbst immer ein wenig fremd. Mit diesem Empfinden steht niemand alleine da. Darin steckt schon ein wenig Trost. Und mehr Trost wird es für die große Politik auch kaum geben, als jetzt möglichst solidarisch und möglichst vernünftig weiter nach möglichst viel Gemeinsamkeit zu streben.

 

Aber wie steht es um meine persönliche Zerrissenheit? Gibt es wenigstens für mich noch etwas mehr Trost? Ja. Die Bibel sagt: Wir sind nicht die einzigen, die sich darum mühen, zu sich selbst zu finden. Auch Gott ist aktiv – mit seiner Güte, mit seiner Liebe und mit seinen Geboten geht er auf mich zu.

 

„Das Leben könnte so schön sein, wenn es nicht ausgerechnet meins wäre.“ Der Satz des Karikaturisten Alois Glück beschreibt ein urmenschliches Lebensgefühl, aber er schaut in die falsche Richtung. Ein anderes Leben ist keine Lösung, denn es wäre auch nicht besser. Meine christliche Perspektive weist in eine andere Richtung. Sie sagt: „Das Leben kann nur schön werden, wenn ich es als meins annehme.“ Das gelingt wohl am besten, wenn ich es als Chance Gottes begreife und als Einladung, mich auf den Weg zu machen. Ein Weg, der zu Gott führt und auch zueinander. Mein Heil finde ich also nicht allein bei mir selbst.

 

Innerlich zerrissen – in Europa und mit sich selbst. Wie gehen sie damit um? Wenn Sie mit mir darüber sprechen wollen, dann können Sie mich bis 8 Uhr erreichen unter: 030 - 325 321 344. Oder diskutieren Sie mit, auf Facebook unter ‚deutschlandradio.evangelisch‘.

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27.12.2015
Pfarrer Stephan Krebs