Man lässt keine Menschen ertrinken.

Gedanken zur Woche

Bildquelle: United4Rescue

Man lässt keine Menschen ertrinken.
Gedanken zur Woche mit Pastor Matthias Viertel
22.02.2020 - 06:35
03.01.2020
Matthias Viertel
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Die Gedanken zur Woche im DLF.

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In der griechischen Mythologie galt Poseidon als Gott der Meere. Mächtig war er, Bruder von Zeus, mit Blitz und Dreizack ausgerüstet. Damit konnte er – so die Mythologie – Erdbeben, Überschwemmungen und Unwetter hervorrufen. Klar, dass Seeleute der Antike gehörigen Respekt vor diesem übellaunigen Gott hatten und versuchten, ihn gnädig zu stimmen.

 

Poseidon ist auch der Name eines Schiffes. Das Geomar-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel hatte den griechischen Gott als Namensgeber für ihr Forschungsschiff gewählt. 1976 wurde es in Dienst gestellt, seitdem konnten Wissenschaftler auf ihm die Weltmeere erforschen.

 

Seit Donnerstag hat die Poseidon einen neuen Auftrag. Die Meeresforscher haben das in die Jahre gekommene Schiff in Rente geschickt, Forschungsruhestand nennen sie es behutsam, denn ohne Aufgabe wird es auch zukünftig nicht sein. Den Zuschlag im Bieterverfahren für das Schiff bekam das Bündnis United4Rescue. Zu diesem zivilgesellschaftlichen Bündnis gehören neben Privatpersonen rund 300 Partner, darunter die Evangelische Kirche in Deutschland. Schon im April soll das Schiff für die Seenotrettung im Mittelmeer eingesetzt werden, finanziert aus Spenden.

 

Dass die Kirche dabei hilft, ein Schiff für die Seenotrettung im Mittelmeer zu ersteigern, hat eine Geschichte. Sie geht auf eine Resolution des Evangelischen Kirchentags letzten Juni in Dortmund zurück, 40.000 Besucher forderten die Entsendung eines Rettungsschiffes. Im Schlussgottesdienst betonte Pastorin Sandra Bils: Lebenretten ist kein Verbrechen, sondern Christenpflicht. „Man lässt keine Menschen ertrinken, Punkt“. (1) Das blieben keine leeren Worte, daraus ging das Aktionsbündnis United4Rescue hervor. Und nun ein Schiff, nicht nur als christliches Symbol für die Gemeinde, sondern bald im Einsatz um Menschen aus Not zu retten. So ein Bekenntnis zur Mitmenschlichkeit aus der Mitte der Gesellschaft, das ist wirklich eine schöne Geschichte, die wir gerade heute angesichts so vieler unsinniger Opfer brauchen.

 

Aber es gibt noch die andere Seite. Denn die Schiffstaufe des Rettungsschiffs kommt zeitgleich zu einem neuen europäischen Engagement im Mittelmeer. Erst im letzten Jahr war die Operation „Sophia“ gescheitert, weil die Marine nicht zur Sicherung der Grenzen auftreten konnte, ohne zugleich Schiffbrüchigen helfen zu müssen. Nun sollen Militär und Marine das Waffenembargo gegen Libyen kontrollieren, aber rein als militärische, nicht als humanitäre Mission, die bei ‚falschen Entwicklungen‘ abgebrochen werden soll. (2)

 

Da kommt das Schiff der Kirche wie gerufen, die humanitäre Mission ist gewissermaßen ausgelagert. An Stelle des Staates ist es die Zivilgesellschaft, die Flüchtlinge vor dem Ertrinken rettet. Ein Deal, der europäische Bedenkenträger austricksen kann. Aber eine im wahren Sinne doppelte Moral verrät.

 

Dafür gibt es kein Segenswort der Kirche. Das sprach Heinrich Bedford-Strohm, der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, stattdessen bei der Schiffstaufe in Kiel. Einen neuen Namen aus christlicher Tradition hat die Poseidon aber nicht erhalten. Kein Schriftzug wie etwa Jona schmückt den Bug des Schiffes, stattdessen liest man den sachlichen Namen „Sea-Watch 4“, so, wie die Organisation heißt, die das Schiff betreiben wird. Im Auftrag von United4Rescue, auch das steht auf dem Schiff.

 

Schade, dass die Sea-Watch 4 nicht auf den Namen Jona getauft worden ist. Die Geschichte von dem Propheten Jona, der von einem großen Fisch verschluckt und sicher durch das Meer gebracht wurde, hätte diesem außerordentlichen Schiff auch noch eine biblische Geschichte mitgeben können. An deren Ende predigt Jona der Stadt Ninive den Untergang wegen ihrer Bosheit. Da glaubten die Leute bis hin zum König an Gott, taten Buße und änderten sich.

 

Aber egal ob Poseidon, Jona oder Sea-Watch 4. Auch über Flucht und Migration kann und muss man reden – aber man lässt keine Menschen ertrinken. Ausrufezeichen!

 

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(1) https://static.kirchentag.de/production/htdocs/fileadmin/dateien/Resolutionen/V.LOG-002_Schicken_wir_ein_Schiff.pdf

(2) www.pro-medienmagazin.de/kultur/veranstaltungen/2019/06/23/pastorin-bils-lebenretten-kein-verbrechen-sondern-christenpflicht/

https://www.tagesschau.de/ausland/eu-libyen-sophia-105.html

https://www.spiegel.de/politik/deutschland/eu-waffenembargo-gegen-libyen-eine-militaerische-keine-humanitaere-mission-a-81977f85-34b3-4971-8751-3f14fb0be032

 

Es gilt das gesprochene Wort.

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03.01.2020
Matthias Viertel