Vertrauen!

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Bild: DEKT/Stephan Schütze

Vertrauen!
Gedanken zur Woche mit Pfarrer Jörg Machel
14.06.2019 - 06:35
14.06.2019
Jörg Machel
Über die Sendung

Nicht allen erscheint es als ein Ausdruck guten Selbstvertrauens, wenn der Kirchentag beschließt Repräsentanten der AfD von den Podien und Diskussionen auszuschließen. Die Gedanken zur Woche von Jörg Machel fordern Begegnung mit mehr Mut, auch auf eigene Schwächen zu stoßen. Denn am Fundament des Glaubens, an christlicher Menschenliebe gibt es keinen Grund zu zweifeln.

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„Was für ein Vertrauen?“ – das ist die Losung des evangelischen Kirchentages in der nächsten Woche. „Wie aber steht es um euer Selbstvertrauen?“ – das ist meine Rückfrage an die Kirchentagsveranwortlichen. Mir erscheint es nicht als ein Ausdruck guten Selbstvertrauens, wenn der Kirchentag beschließt, die Repräsentantinnen und Repräsentanten der AfD von den Podien und Diskussionsveranstaltungen auszuschließen (1). Die zusammenfassende Begründung für diese Entscheidung: „Keine Toleranz für Intoleranz.“ Doch so einfach ist das leider nicht mit der AfD und ihren Protagonisten.

Ein Mann, den ich durch meine Gemeinde gut zu kennen meinte, hat sich zu einem Vordenker der AfD und der neuen Rechten entwickelt. Als er in die Gemeinde kam, galt er vielen als links. Ich habe ihn als klug, sensibel und in schwierigen Situationen als mitfühlend handelnden Menschen erlebt. Auf Nachfrage hätte ich gesagt, dass ich mich ihm freundschaftlich verbunden fühle. Politisch kontrovers haben wir selten diskutiert und wenn, dann im gegenseitigen Respekt.

Über ein paar Jahre hatte ich ihn aus den Augen verloren. Dann kam unsere Tochter mit ein paar Hassartikeln, die sie im Schulunterricht analysiert hatten, und sagte: „Den Autor kennen wir doch.“ Ich war ratlos. Wie konnte er sich so radikalisieren, warum dieser scharfe Ton, woher diese Härte, diese Feindbilder? Dann meldete sich eine Journalistin bei mir. Ihr hatte der Mann in einem Interview erzählt, wie wohl er sich in unserer Gemeinde gefühlt habe. Noch einmal war ich irritiert. Wie passt das alles zusammen?

Daraufhin habe ich ihm geschrieben und ein Treffen vorgeschlagen. Bisher hat er nicht geantwortet. Natürlich ist mir mulmig bei dem Gedanken, dass wir uns gegenübersitzen. Ich habe die Befürchtung, wir werden uns zunächst als Fremde begegnen. In vielen Fragen, die wir ansprechen müssen, ist er beschlagener als ich, darauf muss ich mich einstellen.

Er wird mir Fakten präsentieren, die ich nicht kenne. Ich werde in die Defensive geraten. Plattheiten, die ich von ihm gelesen habe, wird er im Gespräch mit mir vermeiden.

Gegenseitig werden wir versuchen uns zu überzeugen. Gelingen wird das keinem von uns. Und doch habe ich die Hoffnung, dass ich eine Brücke schlagen kann – von unseren zahlreichen gemeinsamen Gottesdiensten hin zu dem, was die Jesusbotschaft an Konsequenzen von uns fordert oder auch verbietet. In jedem Fall bin ich davon überzeugt, dass wir uns diesen Streit schuldig sind.

Zurück zum Kirchentag. Auf den Podien und Tribünen liegt das Heft des Handelns in den Händen der Veranstalter. Sie bestimmen die Regeln. Menschenverachtende, gewaltverherrlichende Reden können sie unterbinden, Tabubrüche kenntlich machen, Widersprüche können sie aufdecken, Lügen entlarven, notfalls können sie sogar von ihrem Hausrecht Gebrauch machen und einen Platzverweis aussprechen. Warum also die vorauseilende Ausladung an die AfD-Repräsentanten? Dem Kirchentag geht es doch darum, dem Auditorium, der Öffentlichkeit deutlich zu machen, was der Glaube fordert, gerade wenn die Nächstenliebe zur Disposition gestellt wird.

Warum, so frage ich, traut sich der Kirchentag so wenig zu? Warum so ängstlich gegenüber denen, die mit Angst und Ausgrenzung auf Stimmenfang gehen? Wo ist das Vertrauen, dass Nächstenliebe und Wahrheit stärker sind als Panikmache und Lüge? Die Sorge, stellenweise in die Defensive zu geraten, kann ich gut verstehen. Gerade deshalb wünsche ich mir mehr Mut, auch Mut auf eigene Schwächen zu stoßen. Am Fundament des Glaubens, am christlichen Gebot der Menschenliebe gibt es keinen Grund zu zweifeln.

 

Über die Chancen eines offenen Dialogs mit allen Teilen der Gesellschaft, können Sie mitdiskutieren. Auf Facebook unter: „Evangelisch im Deutschlandradio“.

 

  1. https://www.kirchentag.de/service/meldungen/dortmund/september_2018/kirchentag_setzt_ein_zeichen/

 

Es gilt das gesprochene Wort.

Weitere Infos

14.06.2019
Jörg Machel