Wer darf heiraten?

Gedanken zur Woche
Wer darf heiraten?
30.06.2017 - 06:35
29.06.2017
Pfarrer Stephan Krebs

Wer darf heiraten? Darum geht es in dieser Woche beim großen Strategiespiel genannt Politik. Anfang der Woche lässt Bundeskanzlerin Merkel in einer Talk-Show eine Bemerkung fallen: Sie sieht in der sogenannten „Ehe für alle“ eine sehr persönliche Angelegenheit, eine Frage des Gewissens. Und schon läuft die politische Maschinerie an: den Wahlkampf vor Augen, schlechte Prognosen im Nacken und eine Regierung am Ende ihrer Zeit. Da spielt jeder politische Akteur sein eigenes Spiel.

 

Doch es betrifft konkrete Menschen und ihr Leben. Das darf man nicht vergessen.

Vor ein paar Wochen habe ich ein Paar getroffen, zwei Männer, die sich fest füreinander entschieden haben. Sie lieben einander – schon etliche Jahre, sie sorgen füreinander und das wollen sie so lange tun, bis der Tod sie scheidet. Das haben sie auf dem Standesamt unterschrieben. Dafür wollen sie als überzeugte evangelische Christen auch um den Segen Gottes bitten. Das ist nicht in allen evangelischen Landeskirchen möglich. Doch hier im Rhein-Main-Gebiet schon. Vor einigen Jahren hat die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau die Trauung für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet – kirchliche Trauung für alle. Doch die beiden Männer hörten bei ihrer Kirchengemeinde zunächst etwas anderes: „Das ist ein Problem, das haben wir hier noch nie gemacht. Das müssen wir erst einmal diskutieren.“ Die beiden winkten ab: „Ein Problem wollen wir nicht sein. Wir sind einfach nur verliebt.“

 

Zwei Männer oder zwei Frauen vor dem Traualtar – für viele ist das inzwischen ganz normal, andere tun sich damit nach wie vor schwer. Sie hängen an den traditionellen Bildern, an den alten Ordnungen. Kein Wunder, geben sie dem komplizierten Leben doch eine überschaubare Struktur und Stabilität. Da gibt es Mann und Frau – und sonst nichts. Die sollen einander lieben, Kinder kriegen und füreinander sorgen. Und zwar nur sie.

In der Bibel heißt es: Gott schuf den Menschen als Mann und Frau, die sollen fruchtbar sein und die Erde füllen. So klar, so einfach. Scheinbar.

 

Doch es geht um konkrete Menschen, das darf man weder in der Politik noch bei aller Ordnungsliebe vergessen. Und es gibt Menschen, die passen in diese alten Ordnungen nicht hinein. Denn sie sind nicht einfach Frau oder Mann. Sie empfinden anders. Jahrhunderte lang wurden sie übergangen, verspottet, weggesperrt, gar getötet, damit sie die Ordnung nicht stören. Unsägliches Leid für die Betroffenen.

 

Aber: Sind die Ordnungen wichtiger als die Menschen? Dazu hat Jesus eine klare Botschaft hinterlassen. Am arbeitsfreien Sabbat haben er und seine Jünger Hunger. Deshalb knicken sie am Feldrand ein paar Ähren ab, obwohl das an diesem Tag gesetzlich verboten ist. Als sie dafür kritisiert werden, antwortet Jesus: „Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht, nicht der Mensch um des Sabbat willen.“ Ordnungen sollen also dem Wohl der Menschen dienen, nicht umgekehrt.

 

Meine Erfahrung ist: Über gleichgeschlechtliche Paare denkt und empfindet man anders, wenn man welche kennt. Wenn man ihr Strahlen, ihre Liebe und ihre Fürsorge vor Augen hat, bekommt die Frage „Ehe für alle?“ ein Gesicht. Da verliert sich die Sorge um die alte Ordnung, denn in diesen Menschen scheint eine andere, offenere Ordnung auf, die durch das Leben tragen kann.

 

Die Kirchengemeinde, in der das homosexuelle Paar um den Segen bat, hat ihre Entscheidung übrigens getroffen. Der Kirchenvorstand, also das gewählte Leitungsgremium der Gemeinde, sprach sich einstimmig für die Trauung aus. Segen für ein Paar, das füreinander Verantwortung übernehmen möchte, bis der Tod sie scheidet.

 

Mal sehen, wie der Bundestag heute entscheidet. Das werden die Abgeordneten mit ihrem Gewissen ausmachen. Und das ist gut so: Denn es geht dabei um eine sehr persönliche Frage. Sie berührt das Leben vieler.

 

Wenn Sie mit mir darüber sprechen wollen, dann können Sie mich und eine Mitarbeiterin bis 8 Uhr erreichen unter: 030 – 325 321 344. Oder diskutieren Sie mit, auf Facebook unter ‚deutschlandradio.evangelisch‘.

 

 

 

Bibelnachweis: 1.Mose 1,27f, Markus 2,27

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29.06.2017
Pfarrer Stephan Krebs