Alt-Katholischer Gottesdienst aus der Schlosskirche zu Mannheim

Schlosskirche zu Mannheim
Alt-Katholischer Gottesdienst aus der Schlosskirche zu Mannheim
19.04.2015 - 10:05
03.04.2015
Dekan Johannes Theil

Die älteste Christusdarstellung

Wer in Rom auch die berühmten Katakomben besichtigt, kann dort die ältesten Darstellungen Jesu finden. Für uns heute ist das Symbol Jesu Christi das Kreuz. Jesus am Kreuz ist jedoch in den Katakomben nicht zu finden. Die alten Römer hätten Jesus nie am Kreuz dargestellt. Das Kreuz war im Altertum die schändlichste Hinrichtungsart. In einer Rede Ciceros lesen wir:

„Alles, was Kreuz heißt,
muss fernbleiben,
nicht nur dem Leib der Bürger Roms,
sondern auch ihrer Wahrnehmung,
ihren Augen und Ohren.“[1]

 

Christen wehrten sich lange, Jesus als Crucifixus darzustellen. Hinzu kam noch eine theologische Schwierigkeit: In der Bibel im Buch Deuteronomium lesen wir:

„… wer [am Pfahl] hängt, ist von Gott verflucht.“ (Dtn 21,23)

 

Jesus, der am Kreuz Aufgehängte, also ein von Gott Verfluchter?! In den Katakomben sehen wir Jesus öfters als jungen Römer mit einem Lamm über den Schultern.

 

 

Besonders in Zeiten der Verfolgung schauten Christen auf Jesus als „Guten Hirten“, der seine Herde verteidigt gegen die „Wölfe“ – d.h. gegen alle Drangsalierungen. Kraft und Mut zum Durchhalten gab die Überzeugung, einen Hirten zu haben, der letztlich stärker ist als die „Wölfe“ und der sich „bis zum Äußersten“[2] einsetzt für seine Herde.

 

Heute weckt das Bild von Hirt und Herde durchaus gemischte Gefühle. – denn: Wer will schon gerne ein „Schaf“ sein?! Als emanzipierte Menschen wehren uns spontan gegen den Vergleich mit diesem Herdentier.

 

„Um ein tadelloses Mitglied einer Schafherde sein zu können, muß man vor allem ein Schaf sein.“[3]

kritisierte schon Albert Einstein.

 

Den Erfahrungen, die der alttestamentliche Beter in die Worte des 23. Psalms kleidet, stehen durchaus auch andere entgegen.

 

Psalm 23 – Text – Antitext

„Hinterfragt“ – nach Jürgen Rennert [Psalm 23 nach: Bibel in gerechter Sprache (hg. von Ulrike Bail et al., Gütersloher Verlagshaus 2006) und der Übersetzung von Buber-Rosenzweig]

 

Gott ist mein Hirt,

                Ich Schaf!

mir fehlt es an nichts.

                Mir fehlt nicht nur etwas!

Auf grüner Wiese lässt Gott mich lagern,

                Ich sitze auf dem Trockenen!

zu Wassern der Ruhe leitet Gott mich sanft.

                Das Wasser steht mir bis zum Hals!

Meine Lebendigkeit kehrt zurück.

                Ich bin kaputt und ausgebrannt!

Gott führt mich auf gerechten Spuren,

                Wohin geht die Reise bloß?!,

so liegt es im Namen Gottes.

                Mein Gott, wer kennt den überhaupt noch?!

Wenn Finsternis tief meinen Weg umgibt,

                Irgendwie müsste es ja mal aufwärts gehen!

Böses fürchte ich nicht.

                Am Ende holt's jeden!

dein Stab und deine Stütze – sie lassen mich aufatmen.

                Helfen kann einem da keiner!

Du bereitest einen Tisch vor mir,

                Mich übersieht man total!

direkt vor denen, die mich bedrängen.

                Man schneidet und mobbt mich.

Mit Öl salbst du mein Haupt.

                Wer nimmt mich schon ernst?!

Mein Becher fließt über.

                Ich komme immer zu kurz!

Nur Gutes und Freundlichkeit folgen mir alle Tage meines Lebens,

                Nichts als Ärger!

Ich kehre zurück zu Deinem Haus

für die Länge der Tage.

                Wenn ich nur wüsste, wohin ich gehöre!

 

 

„Guten Morgen, Herr Pastōr!“

– mit der Betonung auf der zweiten Silbe – begrüßt man im Rheinland einen katholischen Geistlichen.

 

In anderen Regionen meint „Herr Pástor“ – mit der Betonung auf der ersten Silbe – einen evangelischen Pfarrer. „Pāstor, ōris m“ heißt auf Latein „Hirt“. „Pāstoren“ – also: „Hirten“ gibt es in allen Kirchen.

 

Es soll sogar „Ober-Hirten“ geben. Oberhirten in der Kirche Jesu? – Nicht nur ich frage: Wie passt das zusammen: Es gibt nur einen Guten Hirten.

Wenn es nun aber neben dem Guten Hirten noch weitere gibt … Was für Hirten sind dann diese anderen? – Das Bild von dem einen Guten Hirten mit seiner Herde sagt doch: Auch diejenigen, die wir manchmal als „Hirten“ oder Ober-Hirten titulieren, auch diese sind Schafe! – Allenfalls größere – und diejenigen ganz oben in der „Hierarchie“ – das sind die größten!

 

Immer wenn ein „Hirte“ sich zwischen den einzigen Guten Hirten (= Jesus Christus) und seine Herde (= die Gläubigen) schiebt, gilt es, wachsam zu sein.

Ja, solchen Hirten gilt der Wehe-Ruf des Propheten Ezechiel (im 34. Kap, V 2 Þ 1. Lesung):

„Weh den Hirten [...], die nur sich selber weiden.“ Auch der Autor des Ersten Petrusbriefs kennt offenbar „schlechte Hirten“, denn sonst müsste er die Gemeinde-Ältesten nicht ermahnen:

„Sorgt als Hirten für die euch anvertraute Herde Gottes […] – nicht aus Gewinnsucht, sondern aus Neigung;

seid nicht Beherrscher eurer Gemeinden, sondern Vorbilder für die Herde!“ (1 Petr 5,2-3 Þ 2. Lesung)

 

Einer sagte mal skeptisch:

„Es gibt zwei Arten von Hirten: die einen interessieren sich für die Wolle, die anderen für das Fleisch. Für die Schafe selbst interessiert sich keiner!“

Die negativen Erfahrungen mit „Hirten“, die Eigen-Interessen verfolgen, haben Menschen misstrauisch werden lassen.

 

Anderseits sehnen wir uns alle nach einem Helfer, wenn wir in Not geraten. Wie froh sind wir dann, jemanden an unserer Seite zu wissen, der es wirklich gut mit uns meint. Im Religions-Unterricht der Grundschule zeige ich Kindern verschiedene Bilder von Jesus, die ihn als „Guten Hirten“ darstellen:

 

  • Hirten, welche der Herde vorangehen;
  • Hirten inmitten der Schafe;
  • Hirten, die Lämmer tragen;
  • oder auch eine Zeichnung, auf der zu sehen ist, wie der Hirt einen Wolf vertreibt.

 

Am Schluss dann die Frage: Welche Aufgabe die wichtigste für einen „guten“ Hirten sei. Man staune! Die meisten Kinder werden sagen: „Den bösen Wolf verjagen!“

Der „Wolf“ ist eine Metapher für alles, was uns bedroht oder gefährlich werden könnte.

Der „Gute Hirt“ ist eine Metapher für gute Begleitung, nach der wir uns alle – auch die Erwachsenen – so sehr sehnen!

 

Wie der gute Hirt (vgl. Ez 34,11-16)

  • sich um die Schafe kümmert,
  • sie vor Gefahren schützt,
  • Wunden verbindet,
  • und saftige Weideplätze sucht,

 

so wünschen auch wir uns behutsame, aufmerksame Begleitung. Wir sehnen uns nach achtsamen Menschen, die in der Nachfolge des Guten Hirten selbst Hirten-Qualitäten zu entwickeln. Menschen, die beim „Guten Hirten“ in die Lehre gehen, fragen sich:

  • Was bin ich fähig und bereit, für andere zu geben?
  • Kenne und verstehe ich die Menschen, die mir anvertraut sind?
  • Weiß ich als Manager oder Betriebsleiter um die Sorgen eines Fließbandarbeiters, als Arzt um die Angst meiner Patienten oder als Lehrer um die Mühen des Lernens?
  • Habe ich als Mutter oder Vater vergessen, dass ich selbst auch Tochter und Sohn war und bin?

 

Wir wünschen uns Menschen in unserer Nähe,

die spüren, wie es uns ums Herz ist;

Menschen, die unaufdringlich ein echtes Interesse an uns zeigen, weil sie uns mögen;

die Zeit haben und zuhören können,

aufmerksam auch feine Zwischentöne vernehmen,

die ein wohltuendes, tröstendes Wort sprechen,

die uns aufmuntern,

die einfach da sind, wenn Unglück, Trauer oder Krankheit über einen hereinbrechen,

wenn die Last zu schwer wird;

Menschen, die Geduld mit uns haben

Menschen, die uns nicht das Fell über die Ohren ziehen, sondern uns zu neuen Lebens-Chancen verhelfen.

Menschen, die gastfreundlich sind;

die Freude und Sorge teilen –

so wie wir gleich Brot und Wein teilen – hier an diesem Tisch.

 

Eine Gemeinschaft, in der einer für den anderen sorgt – das wäre das Leitbild

  • einer geschwisterlichen Kirche
  • einer Kirche, in der die Einzelnen nicht vorwurfsvoll fragen:

 

„Bin ich denn der Hüter meines Bruders?“ (Gen 4,9),

sondern sich für den anderen verantwortlich fühlen.

Schwestern und Brüder!

 

Uns allen wünsche ich, dass wir in der „Herde“ des „Guten Hirten“ den Platz finden, an den wir unsere Charismen am besten entfalten können – zum Wohl der ganzen „Herde“.

 

Und: ich wünsche uns allen in der Spur des Guten Hirten eine echte Schafsgeduld.

 

[1] in: Pro C. Rabirio perduellionis reo 5,16 (aus dem Jahre 63 v. Chr.)

[2] Vgl. Joh 13,1: Da er die Seinen, die in der Welt waren, liebte, erwies er ihnen seine Liebe bis zur Vollendung.

[3] Unter „Aphorismen für Leo Baeck“ in: Albert Einstein, Mein Weltbild. Herausgegeben von Carl Seelig, Ullstein Bücher 65, West-Berlin 1970, S. 105.

03.04.2015
Dekan Johannes Theil