Arbeit und Muße

Morgenandacht
Arbeit und Muße
09.09.2015 - 06:35
17.06.2015
Pfarrer Wolf-Dieter Steinmann

Manchmal werde ich zum Tier, zum Arbeitstier.

 

Aber ist das nicht eine Perversion? Arbeit pervertiert, wenn sie mich zum Arbeitstier macht oder zur Arbeitsmaschine. Dabei liegt in der Arbeit liegt doch eine große Verheißung.

 

Wenn ich arbeite, bin ich Mitschöpfer in Gottes Schöpfung. Die Schöpfung steht nicht still, sie geht weiter, und wenn es gut geht, arbeiten wir da mit Gott Hand in Hand. Und manchmal hält Arbeit die Welt nicht nur am Laufen: Sie kann sie sogar kreativ nach vorn springen lassen. Vielleicht ist der digitale Wandel ja so ein kreativer Sprung.

 

Unsere Arbeit hat die Verheißung, dass wir schöpferisch sind, mit Gott zusammen. Dass wir die Welt verbessern, sogar erneuern. Wenn man zum Arbeitstier wird, wird diese Verheißung verraten:

Denn Arbeit pervertiert, wenn Menschen arbeiten oder arbeiten müssen wie Tiere oder wie Maschinen. Nicht mehr schöpferisch sondern nur noch als Mittel zum Zweck. Um geldwerten Output auszustoßen.

 

Arbeit pervertiert, wenn Menschen arbeiten müssen, in Doppelschichten, in unwürdigen, krankmachenden Arbeitsverhältnissen, wenn sie sich selbst ausbeuten müssen über ihre Kräfte.

Und ich weiß von mir, auch wenn ich nicht in unwürdigen Verhältnissen arbeiten muss, ich kann mich selbst zum „Arbeitstier“ machen. Wenn ich „auf Arbeit“ bin, ohne Pause, ohne Sonntag, ohne Muße.

 

So gesehen leben viele Menschen in pervertierter Arbeit. Hierzulande und in vielen Ländern der Erde. Gut, wenn diese Perversionen nicht hingenommen werden. Von Gewerkschaften, von verantwortlichen Firmen und guter Politik. Und von Ihnen und mir. Manchmal hat man ja Spielraum, raus aus der Perversion, damit Arbeit wieder schöpferisch wird. Ein kleines, altes Beispiel wie das gehen kann:

 

Das Neue Testament erzählt von einer Frau, die zum „Arbeitstier“ neigt. Martha. Sie lebt mit ihrer Schwester in einem Dorf nahe Jerusalem. Heute liegt der Ort im palästinensischen Westjordanland. Martha und ihre Schwester sind Freundinnen Jesu.

Er kommt überraschend zu Besuch. Martha, ganz Gastgeberin, stürzt sich in die Arbeit. Sie wirkt in der Küche, trägt auf. Ihre Schwester setzt sich Jesus zu Füßen und ist ganz Ohr. Ob sie ahnt, dass Jesus nicht mehr lange zu leben hat? Irgendwann geht Martha dieses Ungleichgewicht auf die Nerven.

Und ihre Lösung: „Jesus, sag meiner Schwester doch, dass sie mir helfen soll.“ Wenn das Arbeitstier sie schon im Griff hat, dann soll es sie zumindest nicht alleine fesseln.

Die Chance jedenfalls, das Arbeitstier los zu lassen für eine entscheidende Zeit, die kann Martha nicht ergreifen. Noch nicht. Und Jesus? „Martha, Du hast viel Mühe. Aber Maria hat das Gute erwählt. Das kann ihr keiner nehmen.“

 

Ich verstehe das so: Lass Dich nicht zum Arbeitstier pervertieren. Arbeit muss man unterbrechen, damit wir menschlich bleiben. In unserer Arbeitswelt müssen Unterbrechungen immer wieder auch politisch erkämpft werden. Und ich muss diese Möglichkeit auch wahrnehmen. Die Macht des Arbeitstiers zähmen.

 

Man darf übrigens hoffen, dass Martha diese Möglichkeit in sich noch entdeckt hat. Dass die Saat Jesu in ihr aufgegangen ist. Es gibt von Martha nämlich eine späte, außerbiblische Legende. Da hat sie sich verändert:

Lange nach dem Tod Jesu – so die Legende – sei Martha nach Südfrankreich gekommen. Ins Rhonetal. Ein Drache habe dort die Menschen fürchterlich drangsaliert. Alle Versuche, das Untier zu besiegen, waren gescheitert. Bis Martha kommt. Sie geht dem Drachen entgegen, formt ihre Hände zu einem Kreuz und singt. Und der Drache wird sanft. Und gezähmt.

Ist das nicht eine wunderbare Pointe: Das „Arbeitstier“ Martha hat die Musik entdeckt. Eine der schönsten Unterbrechungen, mit denen ich wieder Mensch werde. So menschlich wie der Glaube, dass wir Menschen keine Arbeitsmaschinen sind, sondern Söhne und Töchter Gottes. Spirituelle Wesen. Keine Arbeitsmaschinen. Schon der große Grieche Aristoteles hat geschrieben:

 

„Wir arbeiten, um Muße zu haben.“ Nicht umgekehrt. Die Muße: Biblisch gesehen ist sie Anfang und Ziel der Arbeit.

17.06.2015
Pfarrer Wolf-Dieter Steinmann