Christliches Europa

Morgenandacht
Christliches Europa
10.09.2015 - 06:35
17.06.2015
Pfarrer Wolf-Dieter Steinmann

Ich wünsche mir, dass Europa christlich bleibt. Ich weiß, „christliches Europa“ ist ein schwieriger Begriff. Manche Leute sagen das und meinen „wir machen Europa zu, bauen Zäune, gegen alles Fremde“. So meine ich das ganz bestimmt nicht.

 

Wie dann? Eine kleine Episode aus der Bibel hat mir klarer gemacht, was ich mir wünsche mit: „Europa möge christlich bleiben.“

Die Episode erzählt vom Anfang des Christentums in Europa. Ein Mann und eine Frau markieren ihn: Paulus und Lydia. Und ich spüre darin die Seele dessen, was ein christliches Europa sein könnte.

Was passiert? Der Apostel Paulus setzt über mit dem Schiff von der Türkei nach Griechenland. Vor der Stadt Philippi trifft er eine Gruppe Frauen, die dort beten. Man kommt ins Gespräch über Religion und er erzählt von seinem Gott. Eine von den Frauen ist berührt davon und lässt sich taufen.

 

Ein erster Gedanke: Das christliche Europa fängt klein an. Zwischenmenschlich. Ich weiß, später hat es sich mit Macht und Gewalt ausgebreitet. Und dabei auch seine Seele befleckt.

Ein zweiter Gedanke: Der Jude Paulus ist nicht als Flüchtling nach Europa gekommen. Er fühlt sich gerufen. „Paulus, komm zu uns, Europa braucht Deine Hilfe“, hat er im Traum gehört.

Europa braucht Hilfe. Einen neuen Geist. Der über den bisherigen hinaus hilft. Es hatte die Vernunft der Griechen, ihre Naturwissenschaft, Philosophie. Es hatte die politische Intelligenz der Römer. Effiziente Verwaltung. Fortschrittliche Technik, mächtiges Militär.

Aber Vernunft für die Gebildeten und ein mächtiges Staatswesen reichen nicht für ein Europa mit Seele. Wenn dabei so viele normale und schwächere Menschen unter die Räder kommen.

 

Paulus bringt ein neues Bild. Im Mittelpunkt steht Jesus, ein gebrochener Mensch. Und ein Gott, der solidarisch ist mit jedem, der leidet und angeblich scheitert. Paulus Bild vom Leben ist neu. Leben nicht als Kampf: Götter gegen Götter, Volk gegen Volk, Mensch gegen Mensch. Wo es immer Gewinner und Verlierer gibt. Paulus hilft Europa, indem er die Liebesgeschichte Gottes erzählt, die in Palästina angefangen hat. Er erzählt von Gott, der will, dass allen Menschen geholfen wird. Diese Botschaft hat Europa nicht selbst erfunden, die ist aus Asien gekommen.

 

Aber sie ist in Europa angekommen, ist mein dritter Gedanke. Bei Lydia. Sie ist die zweite Hauptperson in der kleinen Geschichte vom Anfang des Christentums in Europa.

Lydia: Der erste Christ in Europa ist eine Frau. Lydia ist kein echter Vorname. Die Leute haben sie so gerufen: „Die aus Lydien“. So wie man einen ‚Anatol‘ rufen könnte, der aus Anatolien kommt.

Die erste Christin stammt aus der Türkei. Ist nach Griechenland eingewandert. Der Arbeit wegen. Europa ist immer schon ein Migrationskontinent gewesen. Anscheinend ist das sein Wesen. Es ist nicht christlich, wenn Menschen, die auf der Suche nach Arbeit und Glück eine neue Heimat suchen, verunglimpft werden.

 

Ein letzter Gedanke zum christlichen Europa: Was hat Lydia wohl das Herz geöffnet? Ich stelle mir vor, sie hat gespürt, dieser Glaube gibt Heimat, auch für eine Fremde wie mich. Er ist nicht an Orte gebunden. Man muss keine bestimmte Sprache können, um Gott zu verstehen. Er übersetzt sich selbst in jedes Leben. Vor Gott gibt es auch keine fundamentalen Unterschiede zwischen Männern und Frauen, zwischen oben und unten. Jesus Christus vereint Menschen über Stämme und Völker hinweg. Seine Kirche ist aber auch kein kultureller Einheitsbrei. Lydia muss nicht Römerin werden, um Christin zu sein.

 

Darum muss bei uns auch niemand Deutsch können, um als christlicher Flüchtling hier zur Kirche zu gehören. Zur Kirche gehört, wer getauft ist. Und weiß: Gott geht mit durch Höhen und Tiefen, auch durch den Tod zu neuem Leben. Und er will, dass allen Menschen geholfen wird.

Europa bleibt christlich; nicht wenn Kirchen Macht haben, sondern wenn Menschen sich öffnen für diesen christlichen Geist. Damit Europa christlich bleibt, müssen längst nicht alle Christen sein. Nicht einmal die Mehrheit. Aber bei denen, die sich Christen nennen, muss dieser Geist lebendig sein.

17.06.2015
Pfarrer Wolf-Dieter Steinmann