Das Geschenk des Lebens

Morgenandacht
Das Geschenk des Lebens
25.02.2017 - 06:35
23.02.2017
Pfarrer Eberhard Hadem

„Ich war ja nicht immer arm“, sagt die Frau. Und während sie erzählt, wandern zwei Geldstücke immer wieder von ihrer einen Hand in die andere. „Mir ging es auch eine lange Zeit gut“, sagt sie. „Und ich erinnere mich, als es mir noch gut ging, wie die Angst in mir nagte, womöglich arm zu werden. Die Vorstellung, dass diese Angst bereits in meiner Seele sitzt, sozusagen eine arme Frau in mir, hat mir noch mehr Angst gemacht. Von dieser armen Frau in meiner Seele wollte ich nichts wissen. Die habe ich mit allen Mitteln verdrängt und verleugnet in mir. Ich habe nicht gemerkt, wie ich innerlich fast erstarrt bin. Und wie armselig ich darüber geworden bin, obwohl ich gar nicht arm war.

Heute“, sagt die Frau, „verstehe ich diejenigen reichen Menschen viel besser, die in ihrer Haltung, immer nur greifen und nehmen zu wollen, erstarrt sind und darüber armselige Menschen werden. Weil sie glauben, dass ihr Heil und ihr Glück von den Dingen kommt, die sie besitzen. Oder ganz bestimmt von den Dingen herkommt, die sie noch nicht haben, aber unbedingt auch noch haben wollen. Nicht alle Reichen sind so. Aber ich war früher so. Geld hat mir das Gefühl gegeben, die Kontrolle zu behalten, Herrin meines Lebens zu sein. Geld war für mich Energie, mit der ich alles bewegen konnte, was ich wollte.

In dieser Zeit in meinem Leben“, sagt die Frau, „war ich der festen Überzeugung, dass das Ziel meines Lebens sein müsste, vollkommen unabhängig von anderen zu sein und niemandem etwas schuldig zu bleiben. Und Geld ist eine phantastische Energie, alles um mich herum so zu bewegen, damit ich die Angst nicht mehr spüre. Die Angst, ich könnte eines Tages noch einmal so abhängig werden wie ein Kind, oder auf Hilfe angewiesen sein.

Erst viel später, fast zu spät, begann ich zu begreifen, dass das Aufeinander-angewiesen-sein nie aufhört. Und nie aufhören darf. Dass es wechselt, weil auch ich helfen kann, anderen nahe kommen darf, sie unterstützen kann. So dass ich anderen zurückgeben kann, was mir selbst geschenkt wird an Freundlichkeit, an Güte.

Ich nehme heute mehr als früher wahr“, sagt die Frau, „dass mein Leben seine Fülle auch darin hat, dass andere mich begleiten, ermutigen, unterstützen, ermahnen. Dass ihre Treue mir mehr bedeutet als Sicherheit. Diese Beständigkeit empfinde ich als eine besondere Güte in meinem Leben. Lebensqualität ist mehr als das, was ich im Leben erreicht habe. Es bereichert mein Leben, dass andere mich an die Hand nehmen, nicht herablassend, sondern liebevoll, und sie mir etwas zeigen, was ich vorher nicht habe sehen können; oder nicht habe sehen wollen.

Ich bin ein bedürftiger Mensch“, sagt die Frau. „Ich bin auf andere angewiesen. Ich brauche den Schutz der anderen. Ich bin nicht weniger wert, weil ich andere in meinem Leben brauche. Es ist meine Würde, zu entdecken, dass ich ein Geschenk Gottes bin – sicher nicht für die ganze Welt, vielleicht aber für einige Menschen. Auf jeden Fall aber für mich selbst.

Die Energie, die mich dabei bewegt, ist stärker als alles Geld dieser Welt. Geld ist gewiss auch eine Energie. Eine schöne und gefährliche. Deshalb auch so faszinierend. Es wäre fatal, würde ich das leugnen. Aber die Geld-Energie schneidet mich oft ab von mir selbst. Sie kann mich sogar armselig machen.

Mich“, sagt die Frau, „bewegt eine andere Energie mehr: der Reichtum und die Fülle, die mit dem Geschenk Gottes verbunden sind, das ich selber bin: Ein Mensch. Mit vielen anderen auf Erden.“

Die Frau nickt. Dann steht sie auf, verschenkt die beiden einzigen Geldstücke, die sie besitzt, und geht davon. Da sagt Jesus zu seinen Jüngern: Diese arme Witwe hat mit ihren zwei Scherflein mehr als alle anderen in den Gotteskasten gelegt. (Lk. 21, 3)

23.02.2017
Pfarrer Eberhard Hadem