Das ist nicht Gott

Morgenandacht
Das ist nicht Gott
23.04.2015 - 06:35
03.04.2015
Pfarrerin Sandra Zeidler

Als Postkarte kenne ich das Bild schon lange, letztes Jahr habe ich dann endlich das Original gesehen: René Magrittes Bild von einer Pfeife, eine Pfeife wie man sie in jedem Tabakladen kaufen kann und wie sie mein Vater auch geraucht hat. Eine sehr realistisch ausgearbeitete braune Pfeife mit schwarzem Mundstück. Und darunter steht in Schreibschrift: „Ceci n’est pas une pipe.“ Dies ist keine Pfeife. Ich finde das herrlich verschmitzt. Ich sehe etwas und drunter steht, dass das, was ich sehe, nicht das ist, was ich sehe. Magritte hat dieses Gemälde „Der Verrat der Bilder“ genannt. Das Bild, so realistisch es auch sein mag, ist nicht eine tatsächliche Pfeife, die man stopfen und rauchen kann. Und die Sprachwissenschaftler fügen hinzu, das sei so wie mit dem Wort „Hund“, das ja auch nicht bellen kann. Für Magritte ist das ein Verrat: Bilder geben vor, die Wirklichkeit zu sein und können es nicht. Sie versprechen, was sie nicht halten können.

 

Vielleicht tragen Sie eine Fotografie eines geliebten Menschen in der Brieftasche oder auf dem Smartphone. Von dem, den man liebt, kann man ja nie genug Bilder haben. Aber ist er oder sie noch dieselbe Person wie damals, als das Bild aufgenommen wurde? Und wie ist es innen drin? Ist die Geliebte so, wie ich sie mir vorstelle, wie mein Bild von ihr? Ist sie das? Das äußere Bild verändert sich, genauso wie die inneren Bilder. Das kann wehtun. „Du bist nicht, wofür ich dich gehalten habe“ schreibt Max Frisch in sein Tagebuch. Und weiter: „Und wofür hat man sich denn gehalten? Für ein Geheimnis, das der Mensch ja immerhin ist, ein erregendes Rätsel, das auszuhalten wir müde geworden sind. Man macht sich ein Bildnis. Das ist das Lieblose, der Verrat.“

 

Ein Bild machen. Das ist menschlich, wird aber zum Verrat, wenn ich mein Gegenüber in ein Bild zwängen will. Wenn meine Vorstellung vom anderen ihn ganz überlagert: Du sollst aber immer lustig sein! Du sollst aber für mich da sein! Wenn ich so denke, presse ich mein Gegenüber in einen starren Rahmen.

Das Bild, das ich von einem Menschen habe, ist nicht der Mensch. Klingt einfach, ist aber kompliziert. Weil es mich herausfordert. Ich kann mich nicht verlassen auf das, was ich mir einbilde. Der Andere ist anders. Und ich muss lernen, diese Unbestimmtheit auszuhalten.

 

Als Kind habe ich an einen Gott geglaubt, der auf seinem Thron in den Wolken sitzt, der berühmte alte Mann mit weißem Bart, der die Erde und die Menschen beobachtet wie heute die NSA, dem ich alles beichten muss, vor dem ich ganz klein bin, der dann aber schon auch gnädig ist. Ein Bild. Ein Bild von Gott, das ihn einzwängt und festlegt. Nicht wenige lernen als Kinder: Gott ist ein alter Mann im Himmel. Und legen dann im Erwachsenenalter ihren Glauben ab wie einen zu klein gewordenen Mantel. Weil ihre Lebenserfahrung nicht mehr zu diesem Bild passt. Ein kindliches Bild von Gott als Mann mit weißem Bart hilft einem Kind: da ist einer, der weiß wo es langgeht. Auf den kannst du dich verlassen. Aber mit der Lebenserfahrung kommt die Erfahrung, dass Gott auch stumm ist und dunkel, dass er abwesend sein kann, ein Nicht-Gott.

 

Deshalb finden sich in der Bibel auch unzählige Gottesbilder: Gott ist die Mutter, die ihr Kind in den Arm nimmt, Gott ist eine Quelle, ein Richter, eine Burg, ein Windhauch, ein Arzt. Gott ist nicht in ein Bild zu pressen, Gott kann man nicht fotografieren, Gott kann man nicht festhalten. Das Bild, das ich von Gott habe, ist nicht Gott. Eigentlich müsste es unter jeder einzelnen Aussage über Gott, unter jedem Bild von Gott stehen: Ceci n’est pas dieu – das ist nicht Gott.

 

Die Sprache der Liebe legt den Geliebten nicht auf ein Bild fest, sondern besingt ihn in tausend Farben. Die Sprache der Liebe macht meine Gottesbilder vielfältig – und lässt mich meine Lebenserfahrungen als Gotteserfahrungen machen. Eine davon ist: Gott bleibt unvergleichlich anders.

03.04.2015
Pfarrerin Sandra Zeidler