Der Wert der Stille

Morgenandacht
Der Wert der Stille
01.12.2015 - 06:35
18.06.2015
Pastor Matthias Viertel

Die vorweihnachtliche Zeit im Advent gehört nicht gerade zu den leisen Tagen. In den Kaufhäusern pausenlos Weihnachtsmusik, lärmende Menschenmengen auf den Weihnachtsmärkten, an den Bratwurstbuden und Glühweinständen, Glocken und Hupen der Karussells, die Chöre und Orchester mit ihren Auftritten draußen und drinnen... Das trägt dazu bei, dass alle Ohren auch mitbekommen: Es geht nun wieder auf Weihnachten zu! Hochsaison für Straßenmusiker, die in diesen Tagen von weit her in unsere Städte kommen. Und dann sind da auch noch die Kinder, die in den Einkaufstraßen stehen und mit der Geige oder der Flöte ihre ersten Erfolge aus dem Instrumentalunterricht unter Beweis stellen.

 

Insgesamt empfinde ich diese dauernde Geräuschkulisse gar nicht mal als unangenehmen. Vielleicht ist es manchmal etwas zu viel, aber im Grunde genommen mag ich das sogar ganz gerne. Dadurch fühlt man sich nicht so alleine; und das ist in den düsteren Tagen des Dezembers besonders wichtig, weil so viele Menschen sich in der Dunkelheit ja oft so verlassen fühlen. Selbst die Vögel zwitschern deshalb so viel, damit sie sich gegenseitig hören und dadurch zu verstehen geben, dass sie sich im Schwarm geborgen fühlen können.

 

Und doch ist es wichtig, sich in Erinnerung zu rufen: Die Adventszeit ist gedacht als eine Zeit der Stille. Wir Menschen brauchen die Stille unbedingt, weil sonst gar nichts mehr funktioniert, auch die Kommunikation nicht. Ein Mensch wird gar nicht so sehr durch das charakterisiert, worüber er redet, also vielmehr dadurch, worüber er schweigt – und vor allem wie er schweigt. Jede Rede ist auf Schweigen angelegt, denn immer wenn ich spreche, erwarte ich ja, dass ein anderer still ist, um mir zuhören zu können. Wer dauernd nur redet, wird seine Mitmenschen schnell ermüden. Auch zuhören muss bekanntlich gelernt werden und die Übung dazu nennt man: Stille.

 

Stille ist eine Handlungsweise, die auch dann zum Tragen kommt, wenn Sprache ungenügend erscheint. Wo ich keine Worte mehr finde, wo ich nicht mehr weiß, wie ich etwas adäquat ausdrücken soll, wähle ich die Stille. Ehrfurcht ist so ein Gefühl, bei dem ich automatisch ganz still werde, weil alles Gerede es nur kaputt machen würde. Oder die Liebe, auch sie lässt miteinander schweigen, weil das Gefühl des Wohlseins, ja der Erfüllung alle lauten Worte überflüssig macht oder sogar verbietet.

 

Und so ist es auch beim Advent. Um zu merken, dass die Adventszeit in der Tat etwas mit Ehrfurcht und Liebe zu tun hat, ist es wichtig, sich gerade in diesen turbulenten Wochen ein bisschen von der Stille zu retten.

 

Die Erfahrung von Sprachlosigkeit gilt als eine Grunderfahrung des Religiösen. Nur wer diese besondere Atmosphäre von Stille erfährt, in der niemand laut zu sein wagt, kann seine Gedanken sammeln. Wer diesen Zauber erlebt, der davon ausgeht, dass auch ganz viele Menschen gemeinsam Schweigen können, öffnet sein Herz. Stille hilft dabei, über das eigene Leben hinauszudenken, Ehrfurcht vor dem Schöpfer zu empfinden. Und auch die Liebe verweigert sich bekanntlich den lauten Worten, gedeiht eher in der Ruhe, wenn der Lärm von draußen nicht mehr die eigenen Empfindungen übertönt.

 

Deshalb ist die Stille eine Voraussetzung dafür, Weihnachten als religiöses Erlebnis zu erfahren. Kleine Inseln der Stille lassen sich überall finden. Gerade jetzt in der Adventszeit wollen sie entdeckt werden. Dazu bieten sich Museen an, aber besonders Kirchen. Zum Glück finden sich Kirchen auch mitten in den turbulenten Einkaufsstraßen. Es ist also ganz leicht für einen Moment dorthin zu flüchten, wo einen laute Musik und lärmende Menschenmengen nicht mehr erreichen. Einen kurzen Moment nur, vielleicht mit dem Blick auf eine frisch angezündete Kerze oder bei dem Betrachten der geheimnisvollen Kirchenfenster. So ein Moment der Ruhe kann weitreichende Folgen haben. Vielleicht lässt er sogar Weihnachten erahnen. Bewusst gewählte Stille vermag mehr als alle Worte dieser Welt.

18.06.2015
Pastor Matthias Viertel