Es gibt nichts Gutes

Morgenandacht
Es gibt nichts Gutes
28.11.2017 - 06:35
23.11.2017
Pfarrer Matthias Viertel
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„Es gibt nichts Gutes, außer man tut es!“ – Das Motto wird gerne für Wohltätigkeitsveranstaltungen genutzt, von Menschen, die es sich auf die Fahnen geschrieben haben, der Gesellschaft durch ihr eigenes Engagement zu nutzen. In diesem Sinne ist das Motto gar nicht schlecht gedacht. Es bringt zum Ausdruck, wie leicht sich doch gute Vorsätze in Worte kleiden lassen, und wie schwer es demgegenüber ist, diese Worte auch einzulösen. Denn Versprechungen alleine genügen nicht, weder im familiären Umfeld, noch in der Politik. Und vielleicht macht sich auch gerade deshalb ein latentes Unbehagen breit, weil wir es im Alltag viel zu oft erlebt haben, dass den schönen Worten eben keine guten Taten gefolgt sind.

 

Der Satz „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es“ – mag aus dieser Frustration heraus entstanden sein. Erich Kästner, der populäre Autor von Kinderbüchern, hat diese Worte geschrieben, sie stammen aus einem Gedicht mit dem Titel „Moral“. Und tatsächlich wollte er dieses Motto als eine Art Quintessenz seiner moralphilosophischen Überlegungen verstanden wissen, denn der Autor solcher Geschichten wie Emil und die Detektive oder Das fliegende Klassenzimmer sah sich selbst auch als ein kritischer Mahner, der mit erstaunlicher Ausdauer immer wieder auf Unrecht in der Gesellschaft hingewiesen hat.

 

Mit einem Seitenblick auf den Urheber Erich Kästner könnte man dem Spruch „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es“ dann auch wohlmeinend zustimmen und ihn als eine Art Plädoyer für Zivilcourage verstehen. Und doch ist die Aussage Kästners als moralischer Leitfaden durchaus problematisch.

 

Wenn es tatsächlich nichts Gutes geben sollte, außer dem, was wir tun, dann sähe unsere Bilanz doch recht schlecht aus. Aber die These, dass alles das, was wir nicht tun, folglich nur schlecht sei, stimmt eben nicht. Es gibt sehr viele Dinge, die gerade dann und nur dann gut sind, wenn wir sie nicht tun, nämlich Kriege führen, Menschen quälen, Kinder schlagen. Man kann sogar den Eindruck bekommen, dass es die meisten Dinge sind, die nur dann gut sind, wenn wir sie nicht tun, und zwar nicht nur im Großen, sondern auch im Kleinen: zum Beispiel über andere Menschen schlecht reden, Lügen und Betrügen, Stehlen und Beneiden.

 

Schon bei dieser Auflistung ist leicht zu bemerken, dass auch die christliche Ethik im erheblichen Maße auf das hinweist, was dadurch gut wird, dass wir es besser unterlassen. Die Zehn Gebote aus dem Alten Testament sind als eine Art Fundament auch in der christlichen Tradition verankert. In ihnen kommt zum überwiegenden Teil gerade das zur Sprache, was die Menschen besser nicht tun sollen, um ein gutes Zusammenleben mit Gott und Menschen zu ermöglichen.

Aus dieser Sicht sehe ich Kästners Satz „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es“ eher als eine Teilwahrheit und beurteile sie durchaus kritisch. Er stimmt eben nur zum Teil, und zwar erstens, weil die Beweggründe, die Gedanken und Gefühle, mindestens genauso wichtig sind wie die daraus folgenden Taten. Und zweitens, weil manche Tat, die nach außen so beeindruckend wirkt, bei näherem Hinsehen doch auf zweifelhafte Motive zurückgeht und dann gar nicht mehr so nachahmenswert ist.

 

„Es gibt nichts Gutes, außer du tust es“ – ich persönlich will dem entgegnen: Doch, es gibt viel, das gut wird, weil wir es nicht tun! Es ist eine feste christliche Überzeugung, dass Menschen eben nicht durch das gerecht werden, was sie tun, sondern durch das, was sie fühlen und denken, was sie im Herzen antreibt. Martin Luther hat genau das vor 500 Jahren neu im Römerbrief in der Bibel erkannt – es ist der Glauben, aus dem der Gerechte leben wird, sagte er. Gute Taten sind dabei ausdrücklich eingeschlossen.

 

23.11.2017
Pfarrer Matthias Viertel