Es war einmal

Morgenandacht
Es war einmal
22.04.2017 - 06:35
19.04.2017
Pfarrer Markus Karsch

Am Samstagmorgen sitze ich mit meiner Frau zusammen, genieße die zweite Tasse Kaffee und lasse den Gedanken freien Lauf.

„Sag mal, was wäre eigentlich, wenn wir damals nicht zusammengekommen wären?“ „Dann wäre ich heute glücklich verheiratet“, erwidert meine Frau mit schelmischem Grinsen.

„Sehr witzig. Oder was wäre, wenn ich statt Pfarrer Ingenieur geworden wäre oder Anwalt?“ „Dann wärst Du heute vermutlich arbeitslos“, antwortet meine Frau und lächelt mich freundlich an.

Sicher hat sie recht, ich und Anwalt... Ist schon gut, dass es so gekommen ist, wie es ist.

 

Aber später, als ich am Schreibtisch an der Osterpredigt sitze, kommt mir ein anderes „was wäre, wenn…“ in den Sinn: was wäre, wenn es damals anders gelaufen wäre? Mit Maria und Josef. Und vor allen Dingen mit Jesus, ihrem Kind!

Ich denke an die Flüchtlingsarbeit in meiner Gemeinde. Waren nicht auch Maria und Josef Flüchtlinge?

 

Mir fällt auf, dass die Parallelen zwischen damals und heute verblüffend groß sind:

 

Ein junges Paar, das zum Spielball der Mächtigen seiner Zeit wurde. Eigentlich waren sie voller Hoffnung – sie war schwanger. Aber dann mussten sie fort, wie so viele. Nicht freiwillig, sondern weil die Großen es so wollten, sie hin- und herschoben, wie Figuren in einem Spiel.

 

Auch die beiden fanden sich plötzlich als Fremde auf der Suche nach einer Herberge wieder. Beispielhaft für viele, die bis heute unterwegs sind, auf der Suche nach einer Zuflucht.

Schon damals hieß es fast ausnahmslos: Alles belegt! Kein Zimmer frei für Fremde. Nur ein Stall.

 

Nicht irgendeiner. Für Christinnen & Christen heute DER Stall. Und zugleich ein Symbol für all die elenden Unterkünfte, die Menschen zugemutet werden, damals wie heute.

In diesem Stall kam die Hoffnung zur Welt, in einem Kind.

 

Aber was wäre heute, wenn damals Maria, Josef und das Jesuskind nicht hätten fliehen können? Wenn man damals die Grenzen geschlossen hätte?

 

Es war doch fast genauso, wie heute: ein skrupelloser Herrscher fürchtet um seine Macht. Und tötet die eigene Bevölkerung – sogar Kinder!

Wer würde da nicht sein Kind nehmen und fliehen? Auch ohne Engel, der den Eltern zur Flucht rät.

 

Auch damals wird es Misstrauen Flüchtlingen gegenüber gegeben haben. Schon aus der Geschichte heraus: der Auszug von Gottes Volk aus der Sklaverei im Ägyptenland. Damals schon eine alte Legende. Aber sie verursachte bestimmt noch immer Unbehagen vor umherziehenden Menschen, stelle ich mir vor.

 

Und dann die Angst vor einer fremden Religion! Noch dazu vor Menschen, die sich für auserwählt halten von ihrem Gott. Fanatiker wollte man auch damals kaum im eigenen Land haben.

 

Also, was wäre, wenn man damals die Grenze geschlossen hätte? Wenn Maria und Josef mit ihrem Kind wieder zurückgeschickt worden wären in ihr Herkunftsland?

 

Dann wäre der Heiland der Christen – zusammen mit hunderten anderer Kinder – der Gewalt des Herodes zum Opfer gefallen. Niemand hätte Erfahrungen machen können mit Jesus, es hätte nie eine Bergpredigt gegeben. Niemand hätte berichten können von dem Reich Gottes, das Jesus nahe gebracht hat.

 

Es hätte auch keine Kreuzigung und keine Auferstehung gegeben. Und heute würde niemand das Osterfest feiern, wird mir mit Schrecken klar – weil es dann gar keine Christen geben würde, die es feiern. Ich würde nicht an meiner Osterpredigt sitzen. Dann wäre ich vielleicht wirklich Rechtsanwalt geworden, statt Pfarrer.

 

An einem sonnenhellen Samstagmorgen kurz vor Ostern wird mir klar, dass es gut so ist, wie es ist: Dass wir Ostern feiern können, die Auferstehung, die Überwindung der Grenze zwischen Tod und Leben, statt ewig neuer Grenzen zwischen Menschen.

Ostern, Frühling – Leben, jedes Jahr aufs Neue. Gott sei Dank!

 

Es hätte anders kommen können, wenn… Ist es aber nicht!

 

Ich schaue in die Frühlingssonne und schiebe die dunklen Gedanken meiner Grübelei beiseite. Und ich denke daran, was Jesus selbst gesagt hat: „Ich bin die Auferstehung und das Leben.“

 

Jetzt muss ich selbst fröhlich lächeln, an diesem wunderschönen österlichen Morgen, der gut so ist, wie er ist.

19.04.2017
Pfarrer Markus Karsch