Fürbitten

Morgenandacht
Fürbitten
29.07.2017 - 06:35
26.07.2017
Pfarrerin Silke Niemeyer

Pause auf der sonnigen Caféterrasse, vor mir eine Tasse Kaffee, – da wird es lebhaft am Nebentisch. Vier junge Männer, sympathische Typen, nehmen beim Aperol Spritz die wichtigen Themen des Lebens durch. Man nimmt Gott und die Welt auf die Schippe. Und dann fällt dieses Wort. Dieses Wort, das den Klang einer Strafe hat. Oder einer Mutprobe. Dieses Wort, das eine unmögliche Aufgabe beschreibt, etwa wie „Maden essen“. Nur dass dieses Ungenießbare nicht in den Mund hineingesteckt wird, sondern aus dem Mund herausgebracht werden muss. Der eine der vier muss es gleich herausbringen. Er hat es schon einmal tun müssen; er möchte gar nicht dran denken. Und jetzt wieder bei Sabrinas Hochzeit. Die anderen bedauern ihn und empfehlen noch einen Aperol Spritz, um sich Mut anzutrinken für... und jetzt kommt es: für die Fürbitte! Ja, das ist es nämlich, was der Mann vor sich hat. Bei Sabrinas Hochzeit muss der Ärmste, nun ja, er muss eine Fürbitte sprechen.

 

Fürbitte – das Wort fliegt jetzt über den Gläsern hin und her. Man nimmt es genussvoll in den Mund, so wie Kinder ausprobieren, wie es sich anfühlt unanständige Wörter bei Tisch zu sagen. Als der Fürbittensprecher schließlich aufbricht, wird er verabschiedet, als bräche er ins Dschungelcamp auf.

 

Was denkt man als Pfarrerin, wenn so schwungvoll die Verkleidung der Pietät weggezogen wird? Was fragt man sich, wenn man auf den nackten Unmut derer schaut, die bei Sabrinas Hochzeit die Fürbitten lesen?

 

Ich sorge mich, ob wir da in der Kirche eigentlich nur Andersens Märchen von des Kaisers Kleidern nachspielen. In dem beauftragt der Kaiser zwei Männer, ihm neue Gewänder zu weben. Diese Betrüger weben aber Luftgespinste. Sie behaupten, nur Personen, die klug und ihres Amtes würdig seien, könnten sie sehen. Der Kaiser führt diese wunderbaren Textilien in der Öffentlichkeit aus, und alle heucheln Begeisterung, bis ein Kind ruft: der Kaiser ist ja nackt!

 

Ich denke an all die Bekenntnisse, die Jaworte, die Fürbitten, die ich gehört habe, und frage mich: sind diese Worte nur Lufttextilien? Nur heiße Luft vor feierlichen Mienen? Und wenn es so ist – wer sind die Betrüger und wer sind die Betrogenen?

Warum sagt jemand „ich muss eine Fürbitte lesen“? Jeder kann doch nein sagen. Warum schämt sich jemand dafür, wenn er es tut? Warum hält er es nur aus, wenn er sich selbst verspottet?

 

Vielleicht spiegelt so ein Verhalten die gemischten Gefühle, die Menschen beschleichen, wenn sie sagen sollen, wie sie es mit der Religion halten. Sich öffentlich mit einer religiösen Geste zu zeigen, davor sträubt man sich wie vorm Madenessen im Dschungelcamp. Es ist irgendwie obszön, und peinlich. Zugleich will man es aber. Es ist ja gar kein Müssen, es ist ein Wollen, das einen ja sagen lässt, wenn die Sabrina einen um eine Fürbitte bittet. Einfach weil man sie gernhat und weil es im Prinzip auch schön ist, Worte zu finden, in denen man seine Wünsche für sie laut sagen kann.

 

Nichts Anderes ist ja eine Fürbitte. Sie ist der laut ausgesprochene Wunsch, dass der andere glücklich werden möge. Fürbitten sind nicht Gott zuliebe, sondern dem Anderen zuliebe. Sie erfüllen kein Bedürfnis Gottes, sondern ein urmenschliches Bedürfnis. Das überkommt einen an so großen Tagen wie einer Trauung. Weil Menschen gerade dann merken, dass sie sich nicht alle Wünsche selbst erfüllen können, brauchen sie eine Adresse, an die sie die Wünsche richten. In der Kirche ist diese Adresse Gott, als die Quelle des Vertrauens, der Hoffnung und der Liebe. Die sprudeln genauso wenig aus dem eigenen Ego.

 

Lieber netter Tischnachbar, wenn Sie noch einmal um eine Fürbitte gebeten werden, machen Sie doch einfach, was Ihr Herz Ihnen sagt: Wenn sie nur Luftgespinst für Sie ist, ziehen Sie sich das nicht an; sagen Sie nein. Wenn das, worum gebeten wird, aber Ihr Herzenswunsch ist, seien Sie so frei sie auszusprechen, auch wenn Sie an Gott zweifeln. Worum wir uns nur nicht betrügen sollten beim Beten ist die Aufrichtigkeit, mit der wir wünschen, was wir bitten.

26.07.2017
Pfarrerin Silke Niemeyer