Geordnete Zeit

Morgenandacht
Geordnete Zeit
19.02.2018 - 06:35
11.01.2018
Pfarrer Titus Reinmuth
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Wenn ich morgens aufstehe, bin ich meistens gestresst: Wecker, Dusche, Frühstück, Nachrichten, alles ist getaktet. Ich brauche 45min, dann sitze ich im Auto. Christina Brudereck macht einen anderen Vorschlag. Sie lebt mit Ritualen und hat gerade ein Buch veröffentlicht über Rituale im Alltag. Ihre Idee für den Morgen:

 

Christina Brudereck: Als allerallererstes verneige ich mich vor dem offenen Fenster vor dem Himmel. Vielleicht, kleine Anregung. Und sage: meine Kraft kommt von dir. Meine Aufgabe kommt von dir. Meine Freude kommt von dir. Dieser Tag kommt von dir. Ich bin nicht alleine.

 

Dieses kleine Ritual am Morgen macht den Unterschied. So beginnt der Tag gleich ganz anders. „Für alles gibt es eine Zeit” heißt das Buch der Schriftstellerin und Theologin Christina Brudereck. Mitten in Essen lebt sie in einem großen Altbau in einer evangelischen Kommunität.

 

Christina Brudereck: Das wichtigste ist, dass die Rituale mich unterbrechen in meinem Alltag, der sonst immer so weiterläuft. Wie es sowieso passiert und wie es im Kalender steht. Und die Rituale unterbrechen. Das Kirchenjahr unterbricht das Kalenderjahr mit seinen Festen und sagt: Jetzt vielleicht feiern! Jetzt freuen! Jetzt vielleicht Fasten!

 

Gerade zum Beispiel beginnt ja die Passionszeit, letzte Woche war Aschermittwoch, und die Zeit bis Ostern gestalten manche als Fastenzeit. Christina Brudereck erinnert sich, wie es dann bei ihr zuhause zuging.

 

Christina Brudereck: Die Wochen vor Ostern, sieben Wochen vor Ostern, die waren karg bei uns. Da gab’s keine Blumen im Haus zum Beispiel. Und das war ungewöhnlich für mein Elternhaus. Und dann Karsamstag wurden die Forsythien, die schon im Heizungskeller standen, hoch geholt in die Wohnung und alles wurde mit Osterglocken und Tulpen geflutet, und das Haus sah mit einem Mal total anders aus. Das ist für mich bis heute die beste Osterpredigt, die man halten kann.

 

Es stimmt ja: Es gibt für alles eine Zeit. Das gilt schon für den Jahreslauf in der Natur. Erdbeeren haben im Februar nichts verloren. Und Tulpen? Ich mag sie sehr. Es gibt sie überall schon seit Wochen. Aber die Idee, noch darauf zu verzichten, finde ich gut.

 

Christina Brudereck: Diese Zeit im Jahr ist jetzt anders. Wir warten auf etwas. Auch etwas zu vermissen, ist ja eine Art, anwesend zu sein. Auch Blumen zu vermissen, heißt irgendwie, sie werden noch mal wichtiger. Und dann sind sie auf einmal wieder da. Und dann merkst du, das ist Ostern. Freue ich mich jetzt schon drauf. Dass es mit Ostern endlich wieder bunt wird.

 

Rituale ordnen. Sie geben dem Jahreslauf einen Rhythmus. Was im Großen geht, funktioniert auch im Kleinen, jeden Tag. Manche Eltern üben das wieder ein. Abends zum Beispiel, wenn die Kinder schlafen gehen, noch einmal auf den Tag zurückzuschauen. Was war heute schön? Oder: Worüber hast du dich geärgert?

 

Christina Brudereck: Das kann man dann alles noch mal besprechen und merkt, man geht doch mit einem anderen Frieden in die Nacht. Und manche sprechen ja auch einen Segen für ihre Kinder, oder singen vielleicht ein Lied oder sagen, ein Engel ist da. Du bist nicht alleine. Ich finde das für die Kinder schön, für Erwachsene aber auch schön.

 

Christina Brudereck, die am Morgen erst mal den Himmel begrüßt hat, sie hat auch am Abend eine Form, um den Tag zu beschließen. Sie sagt sich dann...

 

Christina Brudereck: Alles, was ich heute geschafft habe und was ich nicht geschafft habe, das ganze Unerledigte, das möchte ich jetzt nicht mit in die Nacht nehmen. Sondern ich möchte das jetzt abgeben und ich lasse mich jetzt mal fallen in einen mütterlichen, göttlichen Schoß. Und da werde ich schön gewogen und kann gut einschlummern.

 

Für sie ist das nicht nur eine Art Wellness für die Seele. Es ist mehr. Die Rituale füttern den eigenen Glauben.

 

Christina Brudereck: Vielleicht werde ich irgendwann so am Ende meines Lebens einschlafen. Dass ich denke: Ja, es wird einen Morgen geben. Ich kann in Ruhe gehen. Das kann ich ja jeden Abend üben. Mich gelassen Gott zu übergeben.

 

Rituale unterbrechen, sie ordnen den Tag und das Jahr, sogar das eigene Leben. Mit dem Buch von Christina Brudereck bin ich mir sicher: Das eine oder andere werde ich mir wieder angewöhnen.

 

 

11.01.2018
Pfarrer Titus Reinmuth