Geschichten im Advent

Morgenandacht
Geschichten im Advent
03.12.2015 - 06:35
18.06.2015
Pastor Matthias Viertel

So richtig will in diesem Jahr die adventliche Stimmung einfach nicht aufkommen. Und das ist kein Wunder angesichts der Not, mit der uns die Nachrichten in diesen Tagen konfrontieren. Wie soll man auch gemütlich in der Wohnung sitzen, andächtig die ersten Kerzen am Adventskranz entzünden, so lange Menschen zu Tausenden auf der Flucht sind, vor Krieg, Terror und Hoffnungslosigkeit fliehen müssen. Wie kann ich mit guter Laune Geschenke für die Familie und die Freunde einkaufen, wenn Flüchtlingen so gar nicht zum Feiern zumute ist. Notdürftig haben sie ein Dach über dem Kopf gefunden, um gerade so die Kälte des Winters zu überstehen. Ihren ganzen Besitz bringen sie häufig in einem Rucksack unter und sind selbst für ihre Kleidung auf Spenden angewiesen? Und wie soll ich mich über die festlich geschmückte Innenstadt freuen und fröhliche Lieder anstimmen, wenn sich die Angst vor einem Terroranschlag einschleicht, vielleicht sogar auf dem Weihnachtsmarkt. Es ist schwer dieses Jahr, sich auf das Fest der Liebe einstimmen zu wollen.

 

Meine Hoffnung aber, gerade als Christ, lasse ich mir nicht nehmen. Den Advent will ich nicht einfach übergehen und damit auch die Vorfreude auf das Weihnachtsfest aufgeben. Es ist wichtig, den Advent zu feiern, weil Zuversicht im Mittelpunkt der Weihnachtsbotschaft steht. Und schließlich ist Jesus nicht auf einem Weihnachtsmarkt zur Welt gekommen, auch nicht in einer gemütlichen Wohnung, sondern im kargen Stall. Vielleicht ist die Vorfreude auf Weihnachten in diesem Jahr nicht so laut, nicht so turbulent, und auch nicht so üppig. Ein wenig bescheidener kann es werden, dafür aber mit der Chance, den Advent neu zu entdecken. Eine Möglichkeit liegt darin, mehr auf Geschichten zu achten.

 

Mit Kindern und Freunden möchte ich im Advent zusammensitzen und Geschichten erzählen. Das ist wichtig in dieser besonderen Zeit, wir Menschen brauchen unbedingt Geschichten, wir müssen erzählen, um leben zu können. Erzählen von früher, was Eltern und Großeltern erlebt haben, von Krieg und Flucht und Vertreibung. Aber auch davon, was jetzt schmerzt und erfreut. Menschen müssen von den Sehnsüchten erzählen, die hoffen lassen, die zeigen, dass niemand die Zukunft aufgibt. Erzählen von der Vergangenheit und von der Zukunft, davon wie wir uns die Welt vorstellen und auch darüber sprechen, wie sie gar nicht sein sollte. Ich bin sicher – wer redet und den anderen zuhört, was sie zu erzählen haben, merkt es gleich: Der Mensch ist mehr als die Summe dessen, was er tut und besitzt. Der Mensch ist vielmehr die Summe seiner Geschichten, gerade deshalb muss er sie erzählen, muss es weitergeben, was ihn im Innersten antreibt. Je technischer sich der Alltag gestaltet und je anonymer die globalisierte Welt erlebt wird, umso mehr gehört in den Vordergrund, was in der Seele beschäftigt. Es sind diese Geschichten, die stark machen für das, was sonst so schwer zu begreifen ist.

 

Ein solcher Advent der Geschichten und des gegenseitigen Erzählens macht offen füreinander. In der Familie, unter Freunden genau so wie in der Gesellschaft und anderen Kulturen gegenüber. Ein solcher Advent bietet die Gelegenheit, die Willkommenskultur in unserem Land auch als Erzählkultur zu entdecken.

 

In meiner Kirchengemeinde haben wir uns deshalb entschlossen, die Flüchtlinge in unserem Stadtteil zu einer Weihnachtsfeier einzuladen. Wir wollen gemeinsam Lieder singen und vor allem den Geschichten aus unterschiedlichen Kulturen und in verschiedenen Sprachen lauschen. Nicht nur, weil es schöne Geschichten sind, sondern auch weil sie etwas über die Menschen verraten, die sie erzählen. Und natürlich gehört dann auch das traditionelle Gebäck dazu. Mit Neugierde das Mamuhl probieren, das die Syrer zu Weihnachten zubereiten, und dann sehen, wie ihnen unsere Zimtsterne schmecken. Denn auch im Gebäck und in den Liedern sind Geschichten verborgen, die von dem berichten, wovon wir leben und auf was wir hoffen.

18.06.2015
Pastor Matthias Viertel