Glaubensthermometer

Morgenandacht
Glaubensthermometer
24.07.2017 - 06:35
10.07.2017
Pfarrerin Silke Niemeyer

Eine Taufe kann tödlich sein. Nicht hierzulande, aber im Iran. Da droht Muslimen, die konvertieren, die Todesstrafe. Unter den Flüchtlingen, die sich in Deutschland taufen lassen, ist die Zahl der Iraner besonders hoch. Tun sie das aus religiöser Überzeugung, oder wollen sie mit der Taufe nur leichter Asyl bekommen?

 

Ein Glaubensthermometer – man könnte meinen, das wäre eine feine Sache! Man könnte damit messen, ob der Glaube heiß genug ist und den ermittelten Grad in der Taufurkunde vermerken. Ein Glaubensthermometer wäre nicht nur für Flüchtlinge eine feine Sache. „Sie versprechen Ihr Kind im christlichen Glauben zu erziehen? Dann wollen wir mal schauen, ob aus glühender Überzeugung oder wegen der vermeintlich größeren Chance auf den Kindergartenplatz.“ Für mich ist das eine beängstigende Vorstellung, eher etwas für den Instrumentenkoffer religiöser Quacksalber.

 

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge will ganz ohne Geräte ermessen, wie tief jemandes Glaube ist. Es stellte fest, ein getaufter Iraner habe nicht dargelegt, „den christlichen Glauben aus tiefer innerer Überzeugung angenommen zu haben“. Er wirke „eher intellektuell informiert als persönlich berührt“[1].

 

Nun ist aber die Glaubensmesserei an sich ein Problem. Ein amtliches Urteil über den persönlichen Glauben eines Menschen hat sich in unseligen Zeiten die heilige Inquisition angemaßt. Solche Glaubensbeurteilung ist keine kleinere Sünde, wenn sie durch säkulare Staatsbedienstete erfolgt. Es geht hier nicht allein um die Frage, wer die Hoheit hat über den Beurteilungsgegenstand „Glauben“, Staat oder Kirche. Es geht um den Gegenstand und das Beurteilen selbst. Es gibt nämlich keinen Glauben, den man „hat“, als eine Art messbares emotional-spirituelles Seelenreservoir. Es gibt aber sehr wohl eine christliche Praxis. Die kann man zum Beispiel daran ablesen, ob jemand sich im Gottesdienst blicken lässt oder nicht, ob er bei Gemeindeveranstaltungen mithilft oder nicht, ob er in der Bibel liest oder nicht, ob er sich für Glaubensgrundlagen interessiert oder nicht, ob er Nachteile und Risiken für seine Taufe in Kauf nimmt oder nicht.

 

Wenn alle so regelmäßig zum Gottesdienst kämen und sich am Gemeindeleben beteiligten wie die Flüchtlinge, die ich getauft habe, würde unsere Gemeinde aus allen Nähten platzen.

Vor der Taufe nahmen sie an einem Taufkurs teil, in dem wir über den Glauben und die Kirche sprachen. „Ich will kein Muslim mehr sein.“, sagt Akbar, seine Stimme wird laut. Als ich entgegne, deshalb müsse er doch nicht gleich Christ werden, versteht er meinen Einwand gar nicht. Denn er kann sich nicht vorstellen ohne Religion zu leben. Auch für Masoud ist das so: Es ist das Wichtigste für ihn, dass er das, was er glaubt, aus Liebe, ohne Zwang und mit freiem Gewissen tun kann. Als er das sagt, weiß noch nicht, ob er in Deutschland bleiben darf, und er weiß: Falls er zurückkehren muss, wird der iranische Staat, wenn er von der Taufe erfährt, nicht danach fragen, wie tief die innere Überzeugung war, mit der Masoud Christ wurde. Manche ließen sich deshalb mit großer Angst taufen, aber mit noch größerer Entschlossenheit. Sie alle wollen nach ihren Leidenserfahrungen mit der iranischen Ausprägung des Islam eine neue religiöse Heimat haben. Sie wollen zu einer Glaubensgemeinschaft gehören, in der Gott für Nächstenliebe steht und in der man Hilfsbereitschaft erfährt. Als solche erleben sie die Kirchen in Deutschland, viele sprechen sehr dankbar davon. Und vor allem: sie wollen in Freiheit gefragt werden, welchem Glauben sie anhängen wollen.

 

Als wir Masoud, Akbar und die anderen tauften, war kein Platz mehr frei in unserer Kirche. „Willst du getauft werden auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes?“ wurden sie vor der großen Gemeinde gefragt, jeder und jede einzeln. 15 Mal erklang ein lautes, kräftiges Ja. Es tut unserer Gemeinde gut, dass sie zu uns gehören.

 

[1] http://www.sueddeutsche.de/politik/asyl-unglaeubige-behoerde-1.3416151

10.07.2017
Pfarrerin Silke Niemeyer