Hahula Naturreservat

Morgenandacht

© Thomas Dörken-Kucharz

Hahula Naturreservat
Inspiration zu Gedanken vom Evangelisten Matthäus
11.01.2017 - 06:35
08.01.2017
Pfarrer Thomas Dörken-Kucharz

Das Hahula-Naturreservat ist der nördlichste Ort auf der Welt, an dem Papyrus wächst. Millionen Zugvögel landen dort – auf ihrem Weg nach Afrika oder sie bleiben gleich dort, um zu überwintern. Wenn irgendwo, dann kommt man hier auf den Gedanken, den der Evangelist Matthäus von Jesus überliefert: Sorgt nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung? Seht die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Der Wanderprediger Jesus ist an Hahula mit Sicherheit mehrfach vorbeigekommen. Denn das Reservat liegt in Israel, gut 20 km nördlich vom See Genezareth in Richtung der Jordanquellen. Und einige Jesus-Geschichten spielen noch nördlich vom Reservat. Vor 2000 Jahren war Hula-Tal natürlich noch kein Reservat, aber die Zugvögel gab es auch damals schon. Und sie fanden und finden in der Tat Nahrung und sogar ein Zuhause für einige Monate und das zu Millionen. Und dennoch will man Jesus gerade wegen der Zugvögel widersprechen. Denn für Jesus sind die Vögel ein Beleg dafür, dass wir nicht sorgen müssen und sollen.

 

Wer nur die Zwischenlandung der Vögel betrachtet, der kann diesen Eindruck tatsächlich gewinnen. Dass aber die Zugvögel dahinkommen, ist ja gerade Ausdruck ihrer Sorge ums Überleben. Die Zugvögel fliegen nicht zum Spaß Tausende von Kilometern. Nein, sie könnten in den kalten Klimazonen nicht überleben, würden kein Futter finden oder erfrieren. Sie fliehen aus Sorge vor dem Winter.

 

Und wer Kinder hat, kann auch nicht so wie der sorglose Jesus reden. Auch da lehren die Vögel etwas anderes. Denn die sind ja fast alle ein Musterbeispiel der Sorge für ihre Jungen. Sie säen und ernten zwar nicht, aber Tag und Nacht sind sie im Frühjahr mit der Aufzucht der Jungen beschäftigt und mit der Sorge um sie. Das fängt beim Nestbau und Ausbrüten der Eier an, geht übers Füttern bis dahin, den Küken das Fliegen beizubringen und sie in die Selbständigkeit zu entlassen. Wer also die Vögel unter dem Himmel ansieht, der kommt eigentlich zu einem anderen Ergebnis als Jesus.

 

Doch Jesu Worte treffen die tiefe Sehnsucht, sorgenfrei sein zu können. Sorgen können sehr belastend sein. Schon finanziell schaut man ja manchmal neidvoll auf die, die scheinbar oder tatsächlich ausgesorgt haben. Und Sorgenfalten machen jedenfalls nicht schöner. Wer schlaflose Nächte voller Sorgen und Ängste hinter sich hat, der hört Jesu Forderung ganz anders, mit Sehnsucht und als große Mahnung, sich von Sorgen nicht zerfressen zu lassen.

 

Vielleicht ist Jesu Mahnung sich nicht zu sorgen ein Missverständnis, und Jesus hatte gar nichts gegen die Für- und Vorsorge, sondern nur gegen die Angst-Sorge. Es ist die deutsche Sprache, die hier zwei Dinge in ein Wort packt, die im Englischen beispielsweise klar unterschieden sind: to care und to worry. ‚care’ meint die Fürsorge, dass ‚sich sorgen um jemanden und für jemanden’, und ‚worry’ ist die Sorge, die einen nachts nicht schlafen lässt, die mit Angst zu tun hat. ‚Worry’ lähmt, ‚care’ ermöglicht.

 

Und es ist sogar so, dass das eine Sorgen das Heilmittel für das andere Sorgen sein kann. Für-Sorge nämlich vertreibt Sorgen. Alle unnützen Sorgen verfliegen mit der richtigen Aufgabe. Und das wusste Jesus auch schon. Denn der Zielpunkt seiner Rede über die Sorge heißt:

 

Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch alles andere zufallen.

 

Und Trachten könnte man auch mit Sorgen übersetzen: Sorgt Euch zuerst um das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit. Dann wird euch alles andere zufallen – und die Angst-Sorge wird von euch abfallen.

08.01.2017
Pfarrer Thomas Dörken-Kucharz