Hamlet und Jesus

Morgenandacht
Hamlet und Jesus
04.05.2016 - 06:35
27.12.2015
Pfarrer Wolf-Dieter Steinmann

Was unterscheidet Hamlet und Jesus? Nach einem spannenden Theaterbesuch in Shakespeares Drama hat sich mir diese Frage aufgedrängt. Wie kann man so fragen? Der eine, Jesus, ist doch eine geschichtliche Figur, hat gelebt, der andere, Hamlet, ist lediglich die fiktive Gestalt eines großen Dramatikers. Lebt allein zwischen Buchdeckeln und auf der Bühne.

 

Aber nach einem gelungenen Theaterabend kann es ganz unwichtig sein, dass Theaterfiguren fiktiv sind: Hamlet, Romeo und Julia, Don Giovanni oder Millers Handlungsreisender.

Auf einmal leben sie. Und mischen sich mit ihren Lebenserfahrungen ein in mein Leben. Sie lieben, verlieren ihr Glück und suchen erneut. Und ich leide, hoffe und lebe mit ihnen.

 

Wie bei Jesus, wenn ich in der Bibel von ihm lese. Und auch ihn kenne ich nur aus den Erzählungen. Auch er kommt mir zuerst einmal nur nahe mit Hilfe der Sprache.

Darum scheint mir diese Frage durchaus berechtigt.    
Was verbindet Jesus und Hamlet? Was unterscheidet sie?

Zuerst einmal:
Beide leben in einer Welt, die aus den Fugen ist. Nicht weniger als unsere.

Jesus lebt als Jude in einem von Rom besetzten Land. Jedes Aufbegehren der Menschen wird im Keim erstickt. Rom regiert mit Angst, seinem Militär. Die meisten einfachen Menschen erwarten nichts Gutes von ihren politischen und ihren religiösen Eliten. Jesus auch nicht. Man verdächtigt ihn sogar, dass er den Tempel einreißen will. Und diejenigen verjagen, die am Tempelsystem reich geworden sind.

 

Wie kann man in einer Welt, die so aus den Fugen geraten ist, leben? Jesus wendet sich den Menschen zu als Lehrer, Seelsorger, als Arzt und als Hoffnungsträger. Und Jesus bringt ihnen Gott nahe. Der ist ganz anders als die menschlichen Machthaber. Kein Menschenverächter, sondern wie ein liebvoller Vater. Nicht gnadenlos, sondern barmherzig. Jesus versucht, diesen barmherzigen Gott lebendig zu machen. In allem was er sagt und tut. Ohne Wut und Gewalt. Die Gebeugten, die Kinder, die Frauen, sie sollen wissen, dass sie Gottes geliebte Kinder sind.

 

Und Shakespeares Prinz Hamlet? „Es ist etwas faul im Staate Dänemark,“ sagt er. Seine Feststellung klingt harmlos. Wird aber in Wahrheit zu einer radikalen Kampfansage: Diese Welt und ihre Eliten sind faul bis in ihre Wurzeln. Prinz Hamlet schwankt dabei zwischen tiefer Trauer, Ekel und Wut: Er trauert um seinen Vater, den alten König, der ums Leben gekommen ist.                
Gleichzeitig wächst in ihm eine ungeheure Wut gegen seinen Onkel, den neuen König. Hamlet ist überzeugt, je länger je mehr, sein Onkel habe seinen Vater umgebracht, um selbst an die Macht zu kommen. In einer Nacht erscheint Hamlet der Geist seines Vaters und fordert ihn auf, „übe Rache“.

 

Das erlebe ich an Hamlet schmerzlich und tragisch: Er ist vaterlos, zutiefst erschüttert. Und er kann nicht zu Ende trauern. Damit er ohne Vater leben könnte, erwachsen. Stattdessen findet er seinen Vater nur noch als Geist der Rache wieder. Hamlet treibt von da seine Wut. Er ist überzeugt, er müsse die aus den Fugen geratene Welt wieder ins Lot bringen. Mit Gewalt.

 

Und was fange ich an, mit den Ähnlichkeiten und Unterschieden von Jesus und Hamlet? „Die Welt ist aus den Fugen.“ Dieses Gefühl ist mir nicht fremd. Und Gewalt scheint manchmal wie die Rettung.

Aber Shakespeare zeigt: Hamlets Wut, den Vater rächen zu wollen, rettet und erlöst nichts und niemanden. Sie führt in die Katastrophe. Hamlet reißt ohne Rücksicht auf Verluste andere ins Verderben. Seine Freunde, seine Mutter, Ophelia, die ihn liebt. Hamlets Wut renkt die Welt nicht ein. Sie reißt sie ein.

 

Bei Jesus spielt ein menschlicher Vater von Anfang an kaum eine Rolle. Umso wichtiger ist für ihn seine Verbindung zu Gott. Er nennt Gott unseren „Vater“ und wenn er das sagt, klingt das zugleich auch nach „Mutter“. Jesus glaubt an Gott als liebenden Grund für sich und jeden Menschen. Und er selbst hat konsequent liebevoll gelebt.

 

Ich würde ihm darin gern folgen. Es jedenfalls versuchen. Und bin mir sicher: dieser Weg trägt viel mehr dazu bei, dass unsere Welt wieder ins Lot kommt.

27.12.2015
Pfarrer Wolf-Dieter Steinmann