Herzensbildung

Morgenandacht
Herzensbildung
09.08.2016 - 06:35
09.08.2016
Pfarrerin Lucie Panzer

„Herzensbildung“ Das Wort hatte ich schon lange nicht mehr gehört. Und jetzt auf einmal ganz überraschend, wo ich es nicht erwartet hätte.. Sascha Lobo hat mehr Herzensbildung eingefordert, Anfang Juni bei einem Vortrag an der Universität Tübingen. Sascha Lobo, der Interneterklärer und Dolmetscher der digitalen Welt mit der rot gefärbten Irokesenfrisur.

 

Vorher hatte ich Herzensbildung eigentlich nur von meiner Mutter gehört. „ Der hat Herzensbildung“ hat sie von einem gesagt, der rücksichtsvoll war und taktvoll, der sich bemüht hat, andere nicht zu verletzen oder bloß zu stellen. „Herzensbildung“, irgendwie klingt das nach guter alter Zeit, als die Welt noch in Ordnung war. Inzwischen wissen wir: Das war sie noch nie. Vielleicht ist das Wort deswegen in Vergessenheit geraten.
Und jetzt also Sascha Lobo. „Bildung ohne Herzensbildung ist nichts wert. Im Gegenteil, sie stellt den direkten Weg in die Entzivilisierung der Gesellschaft dar.“

 

In seinem Vortrag hat er die Auswüchse in den Sozialen Medien beschrieben: Wie Menschen andere beschimpfen, beleidigen, verleumden, demütigen und Gerüchte streuen, um sie zu diffamieren und fertig zu machen – und das inzwischen oft mit vollem Klarnamen. Auf einmal haben die ein Sprachrohr, die man vorher nicht öffentlich hören konnte. Ungebremste Emotionen brechen hervor. Und die Grenze dessen, was man sagen kann, verschiebt sich immer mehr. Erbarmungslose und rohe  Wortmeldungen verstärken sich gegenseitig. Das ist erschreckend. „Monströs“ sagt Sascha Lobo.

 

Dagegen, meint er nun, hilft nur Herzensbildung. Aber welche Maßstäbe, welche Ideen bilden unsere Herzen? Wo kommt sie her, die Herzensbildung? Von den Eltern, hat mir eine Kollegin gesagt, aus der Erziehung. Na, gut. Und woher nimmt die Erziehung ihre Maßstäbe?

 

Mir fällt Meister Eckart ein, der mittelalterliche Dominikanermönch und Mystiker. Der hat den Begriff Bildung eingeführt. Bildung – nicht Erziehung. Bildung bedeutet für ihn, das Bild Gottes, das jeder Mensch sein soll, wieder zum Vorschein bringen. Dazu „muss die Seele etwas Bildliches haben“. Etwas, woran sie sich orientieren kann. Meister Eckart erklärt, Bildung entsteht aus den Bildern, die man den Menschen vor Augen stellt. Und man kann ja auch mit Worten Bilder malen. Geschichten erzählen. Bildung geschieht, wo wir Menschen Geschichten erzählen. Geschichten, die zeigen, wie Menschen gut miteinander leben. Geschichten davon, wie Jesus mit den Menschen umgegangen ist. Aber auch Geschichten, von Menschen, die gelebt haben, wie er es vorgemacht hat. Solche Geschichten bilden nicht nur den Verstand, sondern auch das Herz. Die sie hören, können sich orientieren: So will ich das in Zukunft auch machen. Andere denken vielleicht: So geht es anscheinend nicht, ich werde es anders probieren. Dafür wurden Geschichten schon immer erzählt – damit die Zuhörer sich orientieren können. Am Lagerfeuer. In den Lichtstuben der Vergangenheit und in Wohnzimmern, an Kinderbetten. Im Radio.

 

Ich meine, gerade wir Christen sollten keinem Kind und niemandem unsere Geschichten vorenthalten. Geschichten bilden. Wenn es gute Geschichten sind, prägen sie Menschen ein Bild ein. Das Bild des barmherzigen Gottes. Nach diesem Bild hat Gott die Menschen geschaffen.

 

„Seid barmherzig, wie euer Vater im Himmel barmherzig ist“ hat Jesus seinen Anhängern ans Herz gelegt. Und auch: „So, wie ihr behandelt werden wollt, so behandelt auch die anderen“ (Mt 7,12) Und er selbst hat mit seinem Verhalten gezeigt, wie Menschen aufblühen und frei und unbeschwert leben können, wenn man „von Herzen freundlich“ (Mt 5, 5) zu ihnen ist.

 

Ich meine, wir Christen haben einen Schatz an Worten und Geschichten für die Herzensbildung. Wir sollten ihn nicht für uns behalten, sondern weitergeben an unsere Kinder und Enkel. In unserem Reden und Verhalten können wir zeigen wie sie wirkt, die Herzensbildung. Und in den Sozialen Medien können wir diesen  Schatz mit anderen teilen.

09.08.2016
Pfarrerin Lucie Panzer