Ich bin

Morgenandacht
Ich bin
18.05.2016 - 06:35
27.12.2015
Pfarrerin Melitta Müller-Hansen

Je suis Charlie. Es ist der 7. Januar 2015, 11.52 Uhr. Der Anschlag auf die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo ist gerade vor einer halben Stunde passiert. Da setzt Joachim Roncin, Musikjournalist bei einer Pariser Zeitung über Twitter diese drei Worte in die Welt: Je suis Charlie. Binnen kurzer Zeit verbreiten sie sich, weit über Paris hinaus. Kurz, griffig. Je suis Charlie. Das heißt vor allem: „Ich bin gemeint“. Ich bin gemeint, wenn das Recht auf freie Meinungsäußerung angegriffen wird! Ich protestiere gegen die Gewalt und werde mich nicht einschüchtern lassen!

 

Seit dem Anschlag auf die französische Satirezeitung sind weitere „Ich bin“-Aussagen dazugekommen, auch sie hat der Terror hervorgebracht: „Je suis Paris“ im November 2015. Und vor ein paar Wochen „Je suis Bruxelles“. Hier höre ich die Liebe der Menschen zu ihrer eigenen Stadt heraus, die verwundet ist. Und die nun wie eine Mutter um ihre Kinder weint... Je suis Paris, Je suis Bruxelles. Es hätte mich treffen können, haben auch viele in München und weltweit gedacht, die Paris und Brüssel kennen, und diese Städte aus der Ferne lieben. Schließlich hätte das Ganze auch bei uns stattfinden können…

 

Ich bin – in einer Zeit, in der niemand so einfach klare Aussagen über sich machen kann, in der Menschen eher fragen „Wer bin ich, und wieviele?“… Da schaffen diese Dreiwortsätze Eindeutigkeiten. Eine Solidarität der Verwundbarkeit. Der Trauer. Der Zusammengehörigkeit im Leid. Vielleicht auch einen Protest, ein Bekenntnis für das freiheitliche Leben. Bemerkenswert finde ich dabei: Hier entsteht eine Gemeinschaft nicht über ein gedachtes oder übergestülptes Wir. Hier finden sich Einzelne zusammen, aus freien Stücken, das Ich steht im Mittelpunkt. Man wird zu Weggefährten, die etwas miteinander teilen. Kerzen anzünden, Lieder singen, sich in den Arm nehmen, aneinander denken. Von diesem „Je suis“ geht eine Kraft aus.

 

Je suis… Wenn ich diese Worte höre, muss ich an die „Ich bin Worte“ denken, die das Johannesevangelium von Jesus überliefert.

 

Ich bin das Brot. Ich bin das Licht. Ich bin der Weg, der gute Hirte, die Tür.

 

7 mal heißt es da Ich bin. Brot macht satt. Licht macht hell, wo es dunkel ist. 7 Bilder des Lebens. Sie öffnen eine Tür nach innen, um leben zu können. Das ist göttlich. Das heißt ein Mensch sein, der selbst dann „Ich bin“ sagen kann.

 

Ich bin… Jesu Bildworte verstehe ich als Aufforderung, so auch von mir zu sprechen. Die Ich bin Worte Jesu sind offen. Eine Einladung, auf Jesu Art und Weise ‚Ich‘ zu sagen. Nämlich dem anderen Brot zu sein statt ein harter Stein. Türen zu öffnen, nach außen und nach innen, eine Tür zu Gott sein für andere Menschen, keine verschlossene Pforte. Meinen Nächsten so etwas wie eine gute Hüterin, ein Hirte zu sein. Der Heilige Geist, so sagt es das alte Glaubensbekenntnis, schenkt dem, der zu Christus gehört, seine Menschlichkeit und seine Göttlichkeit. Als Christin will ich auch von mir sagen: Ich bin Brot, ich bin Licht, ich biete Weg und Leben. Durch mich kann etwas vom göttlichen Geist zur Welt kommen. Helligkeit in das dumpfe Dunkel der Angst… Liebe als Kraft gegen den Hass, gegen Mißtrauen, gegen Verdächtigungen…

 

Je suis, ich bin. Vielleicht wächst in Europa zur Zeit eine Gemeinschaft von Menschen heran, die in dieser Weise Ich sagen. Ich hoffe es.

27.12.2015
Pfarrerin Melitta Müller-Hansen