Kinder Gottes

Morgenandacht
Kinder Gottes
20.09.2016 - 06:35
20.09.2016
Pfarrerin Petra Schulze

Mit beiden Händen drückt Aylin das rechteckige Stück gelber Pappe wie ein Heiligtum an ihre Brust. Mit den anderen Kindern aus der Löwengruppe und den Erzieherinnen ist sie auf dem Rückweg von der Kirche zum Kindergarten. Auf die Pappe hat Aylin ein Bild von sich selbst gemalt, vorhin in der Kirche. Da haben wir alle zusammen eine Andacht gefeiert. Die christlichen Kinder. Und – mit dem Einverständnis ihrer Eltern – die Kinder, die keiner Religion angehören und die muslimischen Kinder. Einige muslimische Eltern wie die von Aylin sagen: „Ich gebe mein Kind in den evangelischen Kindergarten, damit es etwas über Gott lernt.“

 

Zur Andacht sind wir vom evangelischen Kindergarten über die Straße gegangen, in die Kirche nebenan. Am Eingang der Kirche stellen wir uns zu einem langen Zug auf. Immer zwei Kinder fassen sich dazu an der Hand. Ein Kind ganz vorne bekommt die große Altarkerze, die wir extra für diese Andacht zusammen gestaltet haben. Und dann ziehen wir singend ein. Vor dem Altarraum liegen Kissen für alle im Kreis. Die Kerze stellen wir in die Mitte und bleiben einen Moment stehen. Ich stimme ein kurzes Gebet an. Jedes Kind, das mag, betet laut mit. Vielleicht unterstützt mit einer Geste, die es aus seiner Religion kennt. Oder es bleibt einfach still. Niemand wird zum Beten gezwungen. Das wissen die Kinder. Und dann erzähle ich eine Geschichte. Eine kleine Handpuppe mit dem Namen Seppel habe ich dabei. Die stellt manchmal Fragen an die Kinder und an mich.

 

Diesmal regt Seppel sich furchtbar auf über die Jünger Jesu, von denen ich erzähle. Die Geschichte beginnt so: Einmal brachten Eltern ihre Kinder zu Jesus. Er sollte sie segnen. So war es damals üblich. Jüdische Eltern brachten ihre Kinder zum Rabbi, damit er ihnen die Hände auflegt und sie segnet. Die Jünger aber hielten die Eltern und ihre Kinder auf und meinten: „Das geht nicht. Ihr könnt nicht zu Jesus. Der hat wichtigeres zu tun.“ Handpuppe Seppel ist sauer. Die Kindergartenkinder auch.

 

Ich erzähle die Geschichte weiter und sage: Jesus fand das auch überhaupt nicht gut und wurde sehr wütend. Und er wies seine Jünger scharf zurecht. „Lasst die Kinder zu mir kommen. Hindert sie nicht daran! Denn ihnen gehört das Reich Gottes.“ Und dann nahm er die Kinder in die Arme, legte ihnen die Hände auf und segnete sie. (Markus 10,13-16) Handpuppe Seppel und die Kinder sind zufrieden.

 

Jesus weiß, dass Gott die Kinder liebt, erzähle ich. Gott sagt zu jedem Menschen: „Dich, liebes Menschenkind, habe ich bei deinem Namen gerufen. Zu mir kannst du immer kommen. Du gehörst zu mir.“ (Jesaja 43,1)

 

Die Kinder, Seppel und ich sprechen über Gott und fragen, was das heißt: Wann brauche ich Gott? Wir sprechen über unsere Namen. Wie klingt der in unseren Ohren? Was er wohl bedeutet. Und jedes Kind malt sich selbst auf eine bunte Pappe. Als die Bilder fertig sind, kommt jedes Kind zur Kerze in der Mitte, sagt seinen Namen und legt sein Bild in den Lichtschein der Kerze.

 

Es ist ganz still. Keiner stört. Mit fast heiligem Ernst verfolgen die Kinder wie eins nach dem anderen aufsteht, in die Mitte geht, seinen Namen nennt und sein Bild ablegt. Fast alle legen ihr Bild ganz nah an die Kerze heran. Alle Namen, alle Bilder und damit alle Kinder sind nun im Schein der Liebe Gottes. Dem Licht zu dem alle kommen können. Getaufte und Ungetaufte. Juden, Christen, Muslime, Buddhisten, Menschen ohne Religion – sie alle sind Gott willkommen.

 

Als Christin glaube ich: Sie alle sind von ihm bei ihrem Namen gerufen. Am Ende ziehen wir singend aus der Kirche. Manche Kinder halten ihr Bild ganz fest an den Körper gedrückt – wie Aylin zum Beispiel. Andere haben es schon in der Kindergartentasche verstaut. Vielleicht zeigen sie es heute Abend ihren Eltern und sagen ihnen: „Wir sind alle Kinder Gottes. Wir können immer zu ihm kommen.“

20.09.2016
Pfarrerin Petra Schulze