Loslassen

Morgenandacht
Loslassen
17.05.2018 - 06:35
01.03.2018
Christoph Breit
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„Ziehen Sie bitte noch Ihren Ehering aus!“ sagt die OP-Schwester, die mir die Kleidung für die bevorstehende Operation gegeben hat und mir den Spind für meine Sachen zeigt. „Den dürfen Sie leider nicht anbehalten. Machen Sie ihn am besten an den Schlüsselbund.“ Echt jetzt? Ich muss meinen Ehering abnehmen? „Infektionsrisiko“ sagte sie noch und verschwindet. Da sitze ich nun und versuche den goldenen Ring abzufriemeln, der mich seit 28 Jahren an meiner Hand begleitet. Etwas kaltes Wasser und Seife – und ab ist er und liegt in meiner Hand. Der Name meiner Frau, unser Heiratsdatum sind darauf kaum mehr zu lesen. Die Punzen für die Goldlegierung und den Juwelier verblasst.

 

Jahre her, dass ich meinen Ehering schon einmal ablegen sollte. Ich hatte mit Kollegen ein Mitmachtheater vorbereitet. Wir hatten uns aufgeteilt in „Tod“ und „Auferstehung“, in zwei Gruppen, die für die jeweils andere Gruppe eine Performance zum Thema vorbereiten sollte. Meine Gruppe war der „Tod“ und wir gaben uns alle Mühe. Suchten im Haus kalte dunkle Räume. Dekorierten sie karg und holten dann nacheinander und immer möglichst zufällig unsere „Opfer“ ab. Mitten aus dem Leben reißen sollte der Tod. Wir wollten die Botschaft vermitteln: Du kannst nichts mitnehmen. Geh mit, wenn deine Zeit gekommen ist. Wir als Tod beantworteten keine Fragen, geleiteten wortlos zu den dunklen Kammern und ließen die Kolleginnen und Kollegen dann still in ihren fingierten Grabhöhlen zurück. Eindrücklich, beklemmend und sehr nah beschrieben es diejenigen, die unsere Performance erlebt hatten. Manche hatten weinen müssen.

 

Dann waren wir dran, die Performance zu „Auferstehung“ zu erleben. Wir wurden in einen großen Raum gelegt, schlossen die Augen und hatten gefühlt ewig Zeit. Irgendwann wurde ich aus meinem kleinen Nickerchen sanft geweckt und von einem freundlichen Wesen in hellen Kleidern abgeholt. Komm! Es ist alles bereit. Oh wie schön! Jetzt wird alles gut. Nach ein paar Schritten durch blumengeschmückte Räume kam ich an eine Tür. Davor saß Petrus, die eigentlich Petra hieß, und Petra forderte mich auf, alles Irdische hinter mir zu lassen. Meine Kleidung durfte ich behalten, mein Mobiltelefon nicht. Und meinen Ehering sollte ich ablegen.

 

Nein! Dachte ich spontan. Nein, nicht das. Was mir so wertvoll ist möchte ich nicht zurücklassen. Nicht das Symbol für Liebe und Glück in meinem Leben. Und nicht den Menschen, der mich schon länger als die Hälfte meines Lebens begleitet. „Lass los!“ sagte Petra. Es ist nicht schlimm. Doch ich weigerte mich. Wenn im Himmel kein Platz für meine Liebe ist, dann will ich da nicht sein. Lange diskutierten wir. Die Pförtnerin zur Ewigkeit ließ mich dann doch auferstehen und weiter gehen. Sonst hätte ich wohl das Spiel gesprengt. Aber die Symbolkraft meines Eherings, dieses Stückes Edelmetall war mir von da ab bewusst. Auch wenn meine Frau später meinte, ich hätte ihn doch ruhig ablegen können. Unsere Liebe hinge doch nicht an einem Ring.

 

Ein paar Jahre später wechselte sie selbst als Krankenschwester in die Intensivstation und erzählte mir eines Abends, dass sie jetzt bei der Arbeit keinen Ehering mehr tragen darf. Ihn jedes Mal in der Umkleide abnehmen muss. „Und schaffst du das?“ fragte ich. „Ja, ohne Probleme. Es ist ja nur ein Ring“. Als sie mein Erstaunen sah, erzählte ich von unserem Mitmachtheater zu Tod und Auferstehung, von dem Loslassen-Müssen an der Himmelstür. Wir lachten und weinten beide ein bisschen und lagen uns in den Armen.

 

Vor meiner Operation habe ich ihn dann ausgezogen, den Ehering, und ihn an den Schlüsselbund getan und im Spind verstaut. Das Wesentliche konnte ich ja auch ohne Ring bei mir behalten. Und wer weiß, wenn ich irgendwann einmal tatsächlich vor Petrus oder Petra stehe, dann kann ich ganz leicht das zurücklassen, was mir im Leben so wichtig ist. Weil es in mir schon längst Spuren gezogen hat.

 

 

Es gilt das gesprochene Wort.

01.03.2018
Christoph Breit