Martin Luther und die Werkgerechtigkeit

Morgenandacht
Martin Luther und die Werkgerechtigkeit
04.06.2016 - 06:35
27.12.2015
Pfarrer Matthias Viertel

„Es gibt nichts Gutes, außer man tut es!“ Dieser Slogan, den sich heute viele Wohltätigkeits-Clubs zu eigen gemacht haben, stammt ursprünglich von Erich Kästner. Der Autor solch populärer Kinderbücher wie „Emil und die Detektive“ oder „Das fliegende Klassenzimmer“ wusste auch in Lebensfragen die Dinge auf den Punkt zu bringen. Und selbst Erwachsenen hatte der freischaffende Moralist immer etwas mitzuteilen.

 

Der Slogan „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es!“ steht in einer Textsammlung, die Kästner 1950 unter dem Titel „kurz und bündig“ veröffentlicht hat. Die Überschrift zu diesem Gedicht, das nur aus zwei Zeilen besteht, lautet: Moral! Offensichtlich wollte Erich Kästner damit ausrücken, dass alles moralische Handeln keinen Sinn hat, wenn es theoretisch bleibt. Was soll auch eine Hilfe nützen, die nur in Gedanken besteht, die abstrakt bleibt und nirgends zu fassen ist. Aus dieser Perspektive klingen die Worte des Schriftstellers sogar sympathisch. Immerhin rufen sie zur Zivilcourage auf und fordern bürgerliches Engagement ein.

 

Und doch: Zumindest Martin Luther hätte bei der These „Es gibt nichts Gutes außer man tut es“ Protest angemeldet. Die alleinige Aufforderung zum moralischen Handeln passt jedenfalls überhaupt nicht zu dem, was der Reformator vertreten hat.

 

Schaut man genauer hin, entdeckt man schnell, dass es in der Tat einiges gibt, was gerade darin gut ist, dass man es eben nicht tut. Und wer das partout nicht glauben will, den hätte der Reformator belehrt: Zum Beispiel die Frau schlagen, die Kinder quälen, Steuern hinterziehen, den Staat betrügen, Freunde anlügen und vieles mehr. In allen diesen Fällen ist es gut, gerade wenn man es nicht tut. Moralische Verantwortung ist mehr als blinder Aktionismus, bei dem nur jene Menschen als vorbildlich gelten, die kräftig zupacken.

 

Es ist ganz banal: im Alltagsleben geht es nicht immer darum, etwas machen zu sollen. Sondern häufig stellen jene Dinge die wirklichen Herausforderungen dar, die man besser nicht tun sollte: Etwa Rauchen, zu viel Essen und Fernsehen. Der verantwortungsbewusste Mensch zeichnet sich nicht selten gerade dadurch aus, dass er etwas unterlässt. Der Satz „Es gibt nichts Gutes außer man tut ist“ ist also zumindest einseitig.

 

Aber Martin Luther wäre es vor allem um etwas ganz anderes gegangen. Immer wieder hat er darauf hingewiesen, dass es grundsätzlich niemals die Taten sind, durch die Menschen Verantwortung vor Gott zeigen. Das wirkt vielleicht nach außen so, aber viel wichtiger als die Taten sind die Beweggründe die dabei treiben. Was nützt es, wenn du einem notleidenden Menschen mit einer milden Gabe hilfst, dabei aber nur an Steuerersparnis denkst. Wichtig ist allein der Glaube, also das, was Menschen bei ihrem Tun und Lassen denken und fühlen.

 

Das andere, also die guten Taten allein und möglichst viel darüber zu sprechen bezeichnete Luther als Werkgerechtigkeit, heute könnte man auch sagen als „Selbstgerechtigkeit“. Damit beschreibt der Reformator das menschliche Ansinnen, durch eigene Verdienste ein privilegiertes Verhältnis zu Gott zu bekommen. Werkgerechtigkeit ist es für Luther, wenn man etwa durch wohltätige Gaben sich eine Verrechnung für schuldiges Verhalten erhofft. Das alles spielt vor Gott keine Rolle, so war sich Luther sicher, vor Gott zählt allein der Glaube und kein noch so großes Opfer und erst recht kein imponierendes Gehabe.

 

Ich bin mir sicher, Martin Luther hätte lange mit Erich Kästner diskutieren können, wenn er ihm begegnet wäre. Aber wahrscheinlich hätte Kästner dem Reformator sogar zugestimmt. Und am Ende der Diskussion dann auch Luther dem Moralisten Kästner – denn ein fester Glaube schließt die guten Werke, alles Tun und Lassen der Gläubigen, ein.

27.12.2015
Pfarrer Matthias Viertel