Mit Gott Kaffee trinken

Morgenandacht
Mit Gott Kaffee trinken
05.10.2015 - 06:35
18.06.2015
Pastorin Annette Gruschwitz

„Ich habe dort in die Augen Gottes gesehen. Sie schauten mich aus dem Gesicht einer Frau an, die merkwürdig roch und vermutlich irgendwo aus Südosteuropa stammt. Aber ich hatte das Gefühl, hier begegne ich Christus.“

 

Das berührt mich, was meine Freundin sagt. Wäre es nicht toll, wenn ich Gott auch so einfach auf der Straße begegnen würde? Ihn zu einem Kaffee einlade und mit ihm die Lage der Nation diskutieren könnte? Und meine Freundin hat das erlebt?

 

Eigentlich erklärt sie mir gerade, warum sie beim „Feiertag für Menschen ohne und mit Wohnung“ in ihrer Kirchengemeinde mitmacht.

Letzten Samstag – am 3. Oktober, dem Tag der deutschen Einheit – war sie wieder mit viel Engagement dabei. Menschen aus der ganzen Stadt, Menschen mit und Menschen ohne Wohnung, trafen sich zu einem gemeinsamen Gottesdienst in der Kirche, aßen danach ein von Gemeindegliedern gekochtes Festessen und saßen zusammen. Ein Kulturprogramm wurde geboten, diesmal ein Straßenkünstler. Es war auch schon Kabarett oder ein Konzert. Danach gab es Kaffee und Kuchen. Der Tag endete fröhlich mit einem gemeinsamen Liedersingen. Und das alles, ohne dafür zu bezahlen.

 

„So ein Tag ist super anstrengend.“ erklärt mir die Freundin. Die Kirche sei voll mit Menschen, die freiwillig sonst keine Zeit miteinander verbringen. Menschen, die regelmäßig in der Kirche sind, andere die kommen, weil es etwas umsonst gibt. Menschen, die sonntäglich angezogen sind und solche, die streng riechen. Hunde müssen versorgt und riesige Gepäckstücke verstaut werden. Manche der Frauen und Männer versteht man nur schlecht – weil sie nur wenig Deutsch können, oder weil sie nur noch wenige Zähne im Mund haben. Und wenn es ans Essen geht, will jeder möglichst sofort und viel.

 

„Und gerade da begegne ich Christus“ sagt die Freundin.

 

Schon will ich meine Freundin als ‚Gutmenschen’ sehen. Anderen helfen – und sich selbst dabei gut fühlen. Das ist auch gar nicht falsch – und so typisch für Christen. Sie tun das, was Jesus seinen Nachfolgern mit auf den Weg gegeben hat „Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“

 

Aber meine Freundin meint mehr. Für sie ist das Wesentliche nicht das Wirbeln in der sicheren Küche. Sie verschanzt sich nicht hinter ihrer Hilfsbereitschaft. Sie will nicht, dass die anderen bloß satt werden und dann wieder gehen.

 

Was mich fasziniert ist, dass die freiwilligen Helfer nach ihrer Schicht selbst zu Gästen werden. Sie sich mit an den Tisch setzen, das Kulturprogramm genießen. Mit Menschen zusammen essen, mit denen sie sonst nie etwas gemeinsam tun. Inzwischen kommen viele aus der Gemeinde extra zu diesem Feiertag. Nicht um zu helfen, sondern um sich an den reich gedeckten Tisch zu setzen. Mich berührt, wie ganz unterschiedliche Menschen miteinander feiern, im Angesicht Gottes.

 

„Und gerade da begegne ich Christus.“ sagt die Freundin. Sie hat recht. Denn die Begegnungen gehen tief. Es ist ein „Sich-sehen“, wie Gott uns Menschen ansieht. Wenn sich zwei, die sich nicht kennen, Zeit nehmen zu einem gemeinsamen Kaffee und ins Gespräch kommem. Wenn die eine dem anderen von ihren Sorgen erzählt und ihrer Freude. Aus einem Alltag, der so unterschiedlich ist. Oder wenn ein Bibelwort aus dem Gottesdienst von jemandem ausgelegt wird, der sonst nie etwas mit Kirche zu tun hat. So wird lebendig: da reden nicht nur welche mit großen Worten von Wohltätigkeit, geben Bedürftigen etwas zu essen, damit sie ruhig sind und schnell wieder gehen. Sondern da feiern Menschen miteinander und erleben: ich bin willkommen.

 

Letzten Samstag war der Gottesdienstraum schon mit Erntedankgaben für Sonntag geschmückt. Das passte gut. Denn Erntedank ist ein Tag, an dem Christen sich Zeit nehmen, um Gott danke zu sagen. Danke für das, was sie empfangen haben – und was sie geben können. Und sich daran freuen, wenn alle gemeinsam am reich gedeckten Tisch Gottes sitzen.

 

„Und gerade da begegne ich Christus.“ Meine Freundin hat recht. Und sie macht mich auf eine solche Begegnung neugierig.

18.06.2015
Pastorin Annette Gruschwitz