Mose, der Schlepper

Morgenandacht
Mose, der Schlepper
28.07.2015 - 06:35
16.06.2015
Pfarrerin Angelika Obert

„Schleuser mit krimineller Vergangenheit in die Wüste entkommen“ - so hätte der Titel in einer ägyptischen Zeitung lauten können. Der Bericht hätte sich um einen gewissen Mose gedreht, der als junger Mann des Totschlags an einem ägyptischen Beamten verdächtigt wurde. Lange war er untergetaucht. Plötzlich aber wieder da, trieb sich als Aufrührer unter den hebräischen Gastarbeitern herum. Machte ihnen Illusionen über ein besseres Leben in einem Land, in dem angeblich Milch und Honig  fließt. Gewissenlos organisierte er schließlich die Flucht der gesamten hebräischen Minderheit. Die ägyptischen Streitkräfte taten ihr Bestes, um die verführten Leute einzuholen. Sie waren ihnen hart auf den Fersen, als am Schilfmeer eine Art Tsunami ausbrach. Viele tapfere Soldaten sind in den Fluten umgekommen. Und was wird nun aus den Hebräern? Man mag es sich nicht ausmalen. Mit Sicherheit werden sie auf ihrer Irrfahrt durch die Wüste verdursten und verhungern.“

Ein ägyptischer Journalist hätte die Dinge wohl so dargestellt – aus seiner Perspektive durchaus seriös. Nur wäre diese hochdramatische Geschichte nach über 3000 Jahren dann doch längst vergessen.

Von der Flucht der Hebräer aus Ägypten, von Mose als ihrem Führer wissen wir nur, weil diese Geschichte in der Bibel steht. Über die Jahrtausende hinweg wurde sie gelesen als die zentrale Geschichte, in der sich der Gott der Bibel bekannt macht.

In der Bibel lernen wir Mose kennen als ein hebräisches Kind, das, wunderbar errettet, am ägyptischen Hof aufwächst, fern von Armut und Unterdrückung. Das aber den Blick nicht verliert für die Gewalt und das Unrecht, das die hebräischen Sklaven auf den Baustellen der Ägypter erleiden. Weswegen Mose als junger Mann in gerechtem Zorn tatsächlich einen besonders grausamen Aufseher erschlägt. Er kann fliehen und in den Bergen untertauchen. Fortan fristet er sein Dasein als einsamer Hirte. Verbringt zahllose lange Tage unter einem glühenden Himmel.

Eines Tages sieht er, dass in der Ferne etwas auf der Erde glüht. Ein Dornbusch glüht wie sonst nur die Sonne am Himmel. „Mose! Mose!“ ruft ihn eine Stimme. Es ist Gott, der ihn beim Namen ruft, Gott, der spricht: „ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten gesehen (…), ich habe ihr Leiden erkannt. Und ich bin herniedergefahren, dass ich sie errette aus der Ägypter Hand und sie herausführe aus diesem Lande in ein gutes und weites Land, darin Milch und Honig fließt...“ (2. Mose 3, 7-8)

Mit diesen Worten gibt sich der Gott der Bibel zu erkennen. Er stellt sich vor als ein Gott, der das Elend sieht und das Leiden erkennt. Und der wirklich herniederfährt, um die Elenden und Leidenden zu retten und zu befreien.

Mose, der Hirt, erhält den Auftrag. Er will ihn nicht haben. „Wer bin ich denn, dass ich das tun könnte?“ fragt er zu Recht. „Ich werde mit dir sein“, sagt Gottes Stimme. Und natürlich wäre Mose verloren gewesen, hätte nicht Gott den Auszug aus Ägypten durchgesetzt. Natürlich wären die hebräischen Flüchtlinge in der Wüste untergegangen, hätte nicht Gott sie bewahrt.

So die immer noch berühmte biblische Erzählung. Aber was hat die denn zu tun mit dem heutigen Flüchtlingsproblem? Heute geht es doch um kriminelle Schlepperbanden, die sich gewissenlos bereichern. Die den Flüchtlingen ihr mühsam zusammengekratztes Geld abknöpfen und sie in überfüllten Booten dem Verderben ausliefern.

Es hat mich allerdings verstört zu hören, dass die Flüchtlinge an den Stränden Nordafrikas die Schlepper nicht hassen. Ja, es kommt sogar vor, dass sie einen, der ihnen die Passage übers Mittelmeer ermöglicht, Mose nennen. Ihren Retter, ihren Gottesmann. „Was für ein Irrtum, welche Verblendung!“ war mein erster Gedanke. Aber es könnte ja sein, dass das, was ich für Verblendung halte, in Wirklichkeit unermessliches Elend ist. Dass ich hier die Verblendete bin, die das Leiden nicht erkennt. Weil ich eben aus so weiter Zeitungsferne auf das Geschehen blicke. Mit einem Blick von oben herab, der Gottes Blick nicht ist.

16.06.2015
Pfarrerin Angelika Obert