Schöpfung

Morgenandacht
Schöpfung
05.10.2016 - 06:35
04.10.2016
Pfarrerin Silke Niemeyer

Im US-Bundesstaat Kentucky gibt es das Creation Museum. Man lernt darin, wie Gott die Welt vor 6000 Jahren geschaffen hat und wie Adam und Eva im Garten Eden lebten. Die Christen dort streiten mit der Bibel in der Hand sehr erfolgreich gegen die Evolutionstheorie. Sie haben in den USA viel Rückhalt und große Geldgeber.

Würden die Kirchen nicht vor Freude in die Hände klatschen, wenn sie hierzulande so viel Erfolg mit der Bibel hätten? Nein, man rauft sich die Haare darüber. Denn mit solchem Bibelfundamentalismus sorgt man dafür, dass viele Zeitgenossen nichts mehr mit der Bibel zu tun haben wollen. Die dann zu Recht sagen, dass man dies als halbwegs vernünftiger Mensch heute nicht mehr glauben kann.

 

„Am Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde, und die Erde war wüst und leer.“ Das ist der erste Satz der Bibel. Aber was dann kommt, ist eben kein Protokoll über die Erdentstehung, kein Bericht für eine Art archaisches „Spektrum der Wissenschaft“. Hier wird nicht erklärt, wie die Natur und der Mensch entstanden sind. Hier wird gefragt, wie der Mensch in der Welt, die er vorfindet, leben kann, in einer Welt, die Tohuwabohu ist. Martin Luther übersetzte das hebräische „tohu wabohu“ mit „wüst und leer“, Martin Buber mit „Irrsal und Wirrsal“. Gemeint ist kein erdkundlicher Zustand. Tohuwabohu, das sind gesellschaftliche Verhältnisse. Tohuwabohu, das war Europa im Zweiten Weltkrieg; in nationalistisches Irrsal und kriegerische Wirrsal verfällt Europa hoffentlich nie wieder. Tohuwabohu, das ist Südsudan, Eritrea, Syrien. Wie kann man in dieser Welt mit ihrem Tohuwabohu Licht und Land sehen? Das ist die Frage der Schöpfungserzählungen. Sie sind Theo-Logie, nicht Bio-Logie.

Ihr Frage ist die nach dem Sinn und Weitergehen des Lebens. Welche Ordnung braucht es dazu? Was ist deine Bestimmung, was deine Aufgabe auf dieser Erde, Mensch? Sind Frauen weniger Mensch als Männer? Mensch, warum tötest du deinen Menschenbruder? All diese Fragen behandeln die Schöpfungserzählungen, und zwar auf dem altorientalischen Stand des Wissens. Wir wissen heute mehr, und es ist mindestens naiv ein Wissen von vor zweieinhalb Jahrtausenden zur göttlichen Wahrheit zu erklären.

Man nennt die Erzählungen Urgeschichten, weil sie ureigene Themen des Menschseins bis heute betreffen. Ihre Typen, Adam und Eva, Kain und Abel sind nicht die ersten Menschen, deren Knochen man mit Glück noch finden und im Creation Museum ausstellen kann. Sie sind Prototypen. Adam und Eva, Kain und Abel, sie leben immer und zu allen Zeiten in der Menschheit. Sie sind DER Mensch.

Die erste Geschichte der Bibel, die von der Erschaffung der Welt in sieben Tagen, ist im Tohuwabohu in Babylon entstanden. Dorthin waren die Israeliten als Kriegsgefangene verschleppt worden. Für diese Menschen war die Welt untergegangen. Ihr einziges Interesse war, ob und wie das Leben denn jetzt für sie weitergehen kann. Am Ende waren sie, und nichts war gut. Da schrieben sie ihren Glauben als Geschichte auf, in der es immer wieder heißt: Gott sprach: es werde! Und siehe, es war gut.

 

Schöpfung geschah nicht irgendwann am Nullpunkt der Zeit. Sie geschieht immer wieder in der Geschichte der Menschheit. Mitten in unserer gegenwärtigen Welt gibt es Welten, die Tohuwabohu sind, finstere Verhältnisse, die nach einem Schöpfer schreien, der spricht „Es werde Licht“. Schöpfung ist nicht etwas, was einmal war, sondern etwas, was immer und immer wieder geschehen muss, um Leben möglich zu machen. Es braucht Menschen, die sich aufmachen die Welt von vorn zu denken, wenn sie untergegangen ist. Heute wie damals.

Das Creation Museum kostete 27 Millionen Dollar. Dieses Geld dahin zu geben, wo das Tohuwabohu Menschen ums Leben bringt, und die Welt für sie wieder in einen Lebensraum zu verwandeln – das würde Gott, dem Schöpfer, gewiss besser gefallen.

04.10.2016
Pfarrerin Silke Niemeyer