Sonntagsbraten

Morgenandacht
Sonntagsbraten
14.07.2016 - 06:35
04.07.2016
Pfarrer Karl-Martin Unrath

„Wurst!“ sagt meine Enkeltochter, wenn ich sie frage: „Emma, was möchtest du denn aufs Brot?“ Manchmal sagt sie auch „Lade“, also „Marmelade“, aber meistens eben doch: „Wurst!“ Der Trend zu vegetarisch oder vegan ist bei Emma noch nicht angekommen. Und bei mir ehrlich gesagt auch nicht. Ich esse gerne Fleisch und Wurst. Ist das o.k.?

 

Rund 30 Millionen Schweine, 1,7 Millionen Rinder und 325 Millionen Hühner wurden im ersten Halbjahr 2015 in Deutschland geschlachtet[1]. 2016 wird‘s nicht anders gewesen sein. Das geht nur mit Massentierhaltung. Mit Bio und Freiland könnte unser gigantischer Fleischkonsum nicht gedeckt werden. 15% der Treibhausgase kommen durch Tierhaltung in die Luft. Regenwälder, die für das Weltklima unentbehrlich sind, werden gerodet, um Weideflächen für noch mehr Rinder zu gewinnen, die dann noch mehr Treibhausgase produzieren. Wiesen werden hemmungslos überdüngt; das gibt fettes Gras für’s Vieh – aber Lebensräume für Pflanzen, Vögel und Insekten verschwinden, die Artenvielfalt bleibt auf der Strecke. Getreide wird ans Vieh verfüttert, statt Menschen zu ernähren. Nein, das sieht nicht so aus als wäre unser Fleischkonsum o.k. Er ist ökologischer, wirtschaftlicher und sozialer Wahnsinn.

 

„Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.“ Albert Schweitzer hat das so gesagt. Und für diese Haltung fand der elsässische Arzt, Musiker und Theologe vor gut 100 Jahren den Ausdruck „Ehrfurcht vor dem Leben“. Für Albert Schweitzer hieß das tatsächlich auch, kein Fleisch zu essen, damit keine Tiere getötet werden müssen. Davor habe ich großen Respekt. Also doch vegetarisch oder vegan?

 

Was sagt die Bibel dazu? Und Gott sprach: Sehet da, ich habe euch (Menschen) gegeben alle Pflanzen, die Samen bringen, auf der ganzen Erde, und alle Bäume mit Früchten, die Samen bringen, zu eurer Speise (Gen 1,29), so heißt es im biblischen Schöpfungsbericht. Kein Wort vom Tote-Tiere-Essen. Offensichtlich gab es eine Zeit, in der man sicher war, dass Gott uns Menschen als Vegetarier gedacht hat. Im Ganzen aber bleibt das in der Bibel eine Außenseiterposition. Dass Menschen Fleisch essen, gilt grundsätzlich nicht als fragwürdig. Der Apostel Paulus erlaubt den ersten Christen sogar das sogenannte Götzenopferfleisch, also Fleisch, das bei heidnischen Kulten als Opferfleisch dargebracht wurde. Für arme Menschen war das die einzige Möglichkeit, überhaupt Fleisch essen zu können.

 

Vegetarisch oder vegan? Aus religiösen Gründen halte ich das nicht für geboten. Und doch bleibe ich dabei: unser Fleischkonsum ist ökologischer, wirtschaftlicher und sozialer Wahnsinn. Ich meine, es wäre schon sehr viel gewonnen, wenn wir unseren Fleischkonsum deutlich reduzieren würden. Getreide könnte Menschen satt machen, Regenwälder könnten das Klima schützen, weniger Treibhausgase würden frei. Nicht zuletzt würden keine Tiere in Massenhaltung gequält werden.

 

Ich selbst bin übrigens aus genau diesem Grund schon vor vielen Jahren Jäger geworden. Vegetarier wollte ich nicht werden, dazu schmeckt mir Fleisch einfach zu gut, aber das industriell produzierte Fleisch aus Massentierhaltung habe ich guten Gewissen einfach nicht mehr essen können. An Fleisch kommt bei uns deshalb nur noch auf den Tisch, was ich selbst gejagt habe. Aber klar, das kann nicht jeder machen. Weniger Fleisch essen können wir aber alle.

 

In meiner Jugend gab es einmal pro Woche Fleisch. Den Sonntagsbraten. Fleisch war etwas Besonderes. Deshalb gehörte es zum Fest und nicht zum Alltag. Und so machen meine Frau und ich das heute wieder. Fleisch gibt es an besonderen Tagen. Und dann schmeckt es uns auch mit gutem Gewissen. Für unsere Enkeltochter Emma ist das übrigens auch o.k.

 

[1] http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/fleischindustrie-so-viele-tiere-wie-nie-sterben-in-deutschen-schlachthoefen-1.2597588 , u.ö.

04.07.2016
Pfarrer Karl-Martin Unrath