Soul-Musik

Morgenandacht
Soul-Musik
13.12.2017 - 06:35
06.12.2017
Pfarrerin Melitta Müller-Hansen
Sendung zum Nachhören
Sendung zum Nachlesen

„Meine Seele“ – mit diesen Worten beginnt das älteste Adventslied. Das „Magnificat“ der jungen Maria. Soul-Musik. Denn wer ihr zuhört, erfährt, was ihre Seele bewegt.

 

Und Maria sprach: Meine Seele lobt die Lebendige,

und mein Geist jubelt über Gott, die mich gerettet hat.

Sie hat auf die Erniedrigung ihrer Sklavin geschaut.

Seht, von nun an werden mich alle Generationen selig preisen,

denn Großes hat die göttliche Macht an mir getan und heilig ist ihr Name.

 (Bibel in gerechter Sprache)

 

Die Worte dieses Liedes sind vieldeutig. Da jubelt eine erniedrigte Frau über ihre Befreiung. Martin Luther schreibt statt Erniedrigung von der „Niedrigkeit“ einer Magd und stützt sich dabei auf die lateinische Übersetzung, auf die „humilitas“, was man auch mit „Demut“ beschreiben könnte. So hat die Kirche über die Jahrhunderte Maria gesehen, als demütige bescheidene Magd. Luther folgt dem schon nicht mehr ganz, er sieht Maria als Magd von niedrigem Stand. Im griechischen Urtext aber ist von tapeinosis, von Erniedrigung die Rede, von zugefügter Niedrigkeit. Wenn die junge Maria von den Altären der Kirchen herabsteigt, erzählt sie die Geschichte eines Lebens in Armut und Unterdrückung, wie sie die Menschen zur Zeit der römischen Besatzung in Palästina erleben. Auch die Geschichte einer Sklavin, die mit Haut und Haaren ihrem Herrn gehört. Sie gehört nicht der Vergangenheit an, diese Geschichte, sie spielt auch heute noch, auch in der freien westlichen demokratischen Welt.

 

Maria kann die Geschichte einer Frau erzählen, die als junge Ärztin in den 90er Jahren sich um eine Stelle bewarb und von ihrem Kollegen zu hören bekam: Wenn Sie sich sterilisieren lassen, können Sie hier sofort anfangen. Eine Frau, die schwanger werden könnte, ist ein Verlustgeschäft.

 

Maria könnte die Geschichte der Stern-Redakteurin Ulrike Posche erzählen, die diese Mitte November veröffentlicht hat. Ganz nüchtern erzählt sie da, wie sie wieder und wieder sexistische Sprüche der übelsten Sorte über sich ergehen lassen musste von Chefs und Kollegen. In den Gesichtern ihrer männlichen Kollegen sehe sie seither die Bilder, die sie eigentlich im Kopf haben, wenn sie über oder mit Journalistinnen reden.

 

Die Geschichte unzähliger Frauen könnte Maria erzählen, die von ihrem Vater, Ehemann oder Bruder erniedrigt werden. Hashtag Me too. Marias Lied ist wie das Schmerzgedächtnis einer Gemeinschaft, in der diese Geschichten erzählt werden müssen, damit sie sich nicht mehr wiederholen! Die Scham des Menschen, der mundtot gemacht und zum Opfer wird. Wie ist es, wenn jemand sich einmischt in dein Innerstes, deine Hingabe an das Leben so sehr stört, dass du auch Jahre später denkst: Wer bin ich schon…

 

Die Wendung im Lied ist ein einziger Satz: „quia respexit humilitatem ancillae suae“ heißt es sehr präzise im Lateinischen. „Denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd gesehen“. Angesehen werden heißt respektiert werden. Und das ist der Advent Gottes im Innenraum der Seele eines Menschen.

 

Tiefe Veränderungen beginnen immer hier, im Innenraum der Seele. Und jeder Mensch, dessen Seele eine solche Befreiung erleben durfte, ist ein Glücksfall für diese Welt. Denn meistens will er diesen großen Respekt, dieses Ansehen gar nicht für sich behalten. Das Magnificat hört deshalb nicht auf im Innenraum der Seele einer jungen Frau. Es umfasst die Generationen vor ihr und die, die nach ihr kommen. Die Sehnsucht all derer, die vor Maria auf den Respekt gewartet haben, trägt dieses Lied in sich; sie sind in ihren Jubel mit eingeschlossen. Und die nach ihr kommen, werden das erfahren und sich inspirieren lassen in ihrem Traum vom Zusammenleben. Für mich ist es das wichtigste Lied der Bibel. Weil ich mich darin wiederfinde, weil ich die Mütter und Schwestern darin höre. Und weil die große Erzählung von Veränderung und von einem guten Leben für alle noch nicht zu Ende erzählt ist und für so viele, besonders für so viele Frauen, sich in ihrem Leben noch nicht erfüllt hat.

06.12.2017
Pfarrerin Melitta Müller-Hansen