Veilchendienstag

Morgenandacht
Veilchendienstag
Katzenjammer
09.02.2016 - 06:35
27.12.2015
Pfarrerin Cornelia Coenen-Marx

Müde, erschöpft und ein bisschen verkatert. Mancher wird heute so wach geworden sein. Nach den Karnevalspartys am Wochenende oder gestern, nach Rosenmontag. Genug gefeiert jetzt – auch, wer von Karneval nichts hält, kennt das Gefühl. Ein Katerfrühstück tut jetzt gut – mit viel Wasser und Kaffee. Und dann ein langer Spaziergang. Durchatmen und sich sortieren, ehe der Alltag wieder beginnt. Morgen ist Aschermittwoch und alles vorbei. Egal, wie schön es war.

 

Alles vorbei. Wenn auf den Traumurlaub der Alltag folgt. Wenn eine Liebe zu Ende geht, eine Illusion zerplatzt. Wenn Offenheit umschlägt in Angst. Wenn ich plötzlich mit einer Lüge konfrontiert werde, eine alltägliche Gemeinheit mich kränkt, wenn ich die eigene Grenzen spüre. Ich fühle mich dann, als hätte die Welle, auf der ich eben noch reiten konnte, mich mit der Flut an Land geschleudert. Himmelhoch jauchzend – zum Tode betrübt, wie es bei Goethe heißt. Eben noch getragen vom Lebensglück, voll Hochgefühl und Begeisterung, bin ich plötzlich schutzlos, den Fragen ausgeliefert: Wie wird es weitergehen? Wie finde ich wieder Kraft, meinen Alltag zu bewältigen? Was kann ich tun für meine innere Balance, im Auf und Ab des Lebens?

 

Ich feiere keinen Karneval. Aber ich bin im Rheinland groß geworden und konnte der Ausgelassenheit kaum entgehen – nicht den Rosenmontagszügen und nicht den Abgestürzten auf den Straßen. Inzwischen nutzen viele die Zeit für einen kurzen Urlaub – weit weg von Alaaf und Helau. Aber heute tobt sich ohnehin jeder aus, wo und wie er will. Karneval wird ganz einfach zur Party – die Traditionen verlieren an Bedeutung. Weniger Umzüge auf den Dörfern, weniger Sitzungen im Fernsehen. Und wie viele Katholiken werden morgen in die Messe gehen und sich das Aschekreuz auf die Stirn zeichnen lassen? Das alte Zeichen der Gefährdung und der Grenzen unseres Lebens verblasst. Dabei können wir diese Erinnerung brauchen. Denn die Wellen schlagen ja gerade hoch in unserem Land. Die Wellen der Begeisterung und die der Empörung.

 

Viele beschwören jetzt das Ende der Willkommenskultur. Ist da wieder eine Illusion geplatzt? Ich gehöre zu denen, die dafür eintreten, die Grenzen nicht zu schließen. Aber natürlich stoße ich auch an meine eigenen Grenzen. Und wenn ich nicht mehr weiter weiß, wird auch in mir alles eng. Wenn der Katzenjammer kommt, will ich nur noch für mich sein. Schluss mit der Offenheit, alles vorbei? An solchen Tagen wünsche ich mir ein festes Herz. Keins aus Stein, aber auch keins, das sich übernimmt. Dann tut es gut, erst einmal zur Ruhe zu kommen. Das Auf und Ab meines Lebens vor Augen. Offenheit, ausgelassene Freude und tiefe Enttäuschung. Großes Glück und Grenzerfahrungen. Manchmal muss ich meinem Katzenjammer Raum geben und vielleicht auch die Tränen fließen lassen. Das hilft. Und dann ein Herzensgebet. Nur wenige Wort: Kyrie eleison. Weiteratmen und den Faden nicht loslassen, der mich mit Gottes Barmherzigkeit verbindet. Mit dem Blutkreislauf der Liebe.

 

Die Liebe hat viele Gestalten. Beim Karneval werden nur wenige sichtbar – Amor, Erotik und Sex. Aber Liebe ist mehr. Sie ist auch Caritas und Nächstenliebe. Vater und Mutter, die sich tagaus tagein um ihre Kinder kümmern, Nachbarn, die den Flüchtlingen bei den ersten Wegen helfen, Kolleginnen und Kollegen, die da sind, damit wir nach einer Enttäuschung zurück finden in den Alltag. An Tagen mit Katzenjammer, müde von den großen Gefühlen, ist diese alltägliche Liebe der beste Weg zurück ins Leben. Den Kindern das Schulbrot streichen, der kranken Freundin einen Brief schreiben, mit Flüchtlingen Deutsch üben – das sind Kleinigkeiten, aber sie erden und sie weiten das Herz. Damit keiner verzweifelt. Sie machen auf stille und unspektakuläre Weise glücklich. Übrigens sah das auch Goethe so, der das Auf und Ab der Gefühle so gut kannte : „Freudvoll und leidvoll, gedankenvoll sein; Langen und bangen in schwebender Pein; Himmelhoch jauchzend, zum Tode betrübt; Glücklich allein ist die Seele, die liebt“.

27.12.2015
Pfarrerin Cornelia Coenen-Marx