Von äußeren und inneren Kritikern

Morgenandacht
Von äußeren und inneren Kritikern
von Christof Lenzen, Gera
06.09.2016 - 06:35
07.09.2016
Pastor Christof Lenzen

Kurz vor acht Uhr morgens. Ich schlurfe mit dem ersten Kaffee an meinen Schreibtisch und fahre den Rechner hoch. Ich öffne mein Email-Postfach und mir flattert neben der üblichen Werbung eine Email entgegen, die mich so aufregt, dass ich am liebsten den Rechner wieder ausschalten möchte! Ich lese ungerechte Vorwürfe, harte Worte, Verurteilungen, subjektive Wahrnehmungen zumeist. Ich kann mich kaum wehren, wie auch: wenn jemand mich so wahrnimmt, was will ich dagegen sagen? Ich fühle mich emotional durch den Fleischwolf gedreht, hilflos, ausgeliefert, und spüre den Impuls, mit gleicher Münze schnell per Email zurückzuschlagen.

 

Ich muss mich zwingen, ruhig zu bleiben und komme in’s Nachdenken. Und da nehme ich auch etwas Anderes wahr. Ich werde ja nicht nur geschubst – ich lasse mich auch schubsen! Natürlich verletzen ungerechte harte Worte und das muss man auch nicht klein reden. Das tut einfach weh. Aber einige Fragen stellen sich mir dann doch, die MICH in die Verantwortung nehmen: Kann ich gesunde Grenzen setzen ohne auf demselben Niveau zurückzuschlagen? Mich abgrenzen, ohne mich zu verleugnen mit meinem Ärger? Ich bin schließlich nicht zum Fußabtreter berufen, sondern habe eine Würde! Und eine Ebene tiefer und selbstkritischer gefragt: Sind es nicht auch meine vielleicht uralten eigenen kritischen Stimmen, die sich mit den anklagenden Worten, die gerade erst in meinem Kopf angekommen sind, verbünden? Verletzt mich Kritik nicht erst recht, wenn sie auf meine Selbstkritik trifft? Ich denke: Kritik kann nur dann schmerzen, wenn ich ein Selbstbild in mir trage, das ganz ähnlich klingt und von der äußeren Kritik aktiviert wird. Ein Beispiel.

 

Angenommen jemand sagt: Du bist ein elender Dieb! Dann lässt mich das relativ kalt und ich trotte kopfschüttelnd davon. Weil der Vorwurf absurd ist! Wenn mir aber jemand schreibt: Es geht ja wohl nur um dich, oder? Dann räkelt sich der Kritiker in mir, richtet sich zur vollen Größe auf und stößt ins selbe Horn: Du Egoist! Du müsstest demütiger sein und dich nicht so wichtig nehmen.

 

Das heißt – will ich mit Kritik angemessen umgehen geht es um eine Abgrenzung nach außen UND nach innen. Ich muss auch meine inneren Stimmen kennen lernen – ihre Absichten, Inhalte und ihre Eigenart. Dann kann ich äußere und innere Kritik verstehen und auch wieder auseinander bekommen und muss nicht mehr jede Anfeindung persönlich nehmen. Erst wenn das gelingt, kann ich Kritik auch anders hören und begründet und erwachsen darauf reagieren.

Das ist nicht nur Psychologie – sondern hat auch eine geistliche Komponente. Denn harsche Kritik rüttelt an meiner Würde, an meinem Wert, an meiner Identität.

 

Entscheidend erscheint mir der ORT der Identität. Kritik wird nämlich dann bedrohlich, wenn ich mir dieses Ortes nicht mehr bewusst bin. In der Bibel versucht Petrus das einer ganz normalen Gemeinde zu erklären (1. Petrus 2,9):“Ihr aber seid das erwählte Volk, das Haus des Königs, die Priesterschaft, das heilige Volk, das Gott selbst gehört. Er hat euch aus der Dunkelheit in sein wunderbares Licht gerufen (…)“

 

Petrus erinnert die Christen schlicht an Gottes Zusage: Ihr seid IN Gottes wunderbarem Licht. Dorthin sind ihr berufen… An diesem Ort erfahre ich enorme Zusagen über meine Identität in Gottes Augen. Priester! Erwählt! Heilig! Unabhängig von meinen Gefühlen, Fehlern, Fehltritten.

 

Dieses Licht können mein Verhalten, meine Umstände und meine Gefühle nicht verändern. Gott sei Dank! Stattdessen darf ich meine Identität in diesem Licht Gottes gründen – und wenn ich mich darauf verlasse, stürzt mich keine Kritik mehr in bodenlosen Ärger oder Verzweiflung. Vielmehr verändert Gottes Zusage meine Umstände und mein Verhalten. Das ist Gnade. Für den heutigen Tag. Auch wenn es weh tut, kann ich die böse Email jetzt anders lesen. Und ich kann den Absender im gleichen Licht Gottes viel besser erkennen mit seinen Anliegen – und ihm antworten.

07.09.2016
Pastor Christof Lenzen