Wanderstab und Walkingstöcke

Morgenandacht
Wanderstab und Walkingstöcke
11.02.2017 - 06:35
05.02.2017
Pfarrerin Cornelia Coenen-Marx

Vor der Haustür in unserem Flur steht ein alter Steinkrug mit Schirmen und Stöcken. Die Stöcke fürs Walking stehen da, damit sie immer griffbereit sind. Vor allem am Wochenende, wenn endlich Zeit ist, mal richtig raus zu gehen. Die Stöcke für Bergtouren, die man klein zusammenschrauben und an den Rucksack hängen kann. Und auch der alte Wanderstock von meinem Vater, den ich als Kind so geliebt habe. So ein Stock, an den man kleine Metallplättchen wie Trophäen nageln konnte. Als ich Kind war, waren wir in Mittenwald und auf der Zugspitze, im Rothaargebirge und an der Ostsee – und der Stock erzählt von all diesen Orten, von jeder Station unserer Wege. Auch jetzt noch, nachdem mein Vater schon lange nicht mehr lebt.

 

Der alte Wanderstock als Erinnerung. Die Walkingstöcke als Aufforderung, endlich mal wieder raus zu gehen. Der Steinkrug im Flur erzählt vom Unterwegssein. Braucht man dazu einen Stock? Interessanterweise wurde schon zwischen den Evangelisten darüber gestritten. Als Jesus seine Jünger aussandte, sagt Matthäus, soll er ihnen verboten haben, einen Wanderstab mit zu nehmen – sogar barfuß sollten sie gehen. Markus dagegen meint, Sandalen seien erlaubt gewesen und auch ein Stock. „Er gebot ihnen, außer einem Wanderstab nichts auf den Weg mitzunehmen, kein Brot, keine Vorratstasche, kein Geld im Gürtel, kein zweites Hemd und an den Füßen nur Sandalen.“

 

Klar ist also: Wanderstab und Sandalen an den Füßen machen das Unterwegssein leichter. Darum sieht man zunehmend Ältere, die die Walkingstöcke in der Stadt nutzen. Sie entlasten den Rücken, man kann sich darauf abstützen. Die Stöcke der Älteren haben Tradition – sie zeigen Würde und manchmal sogar Macht. Der alte Häuptlingsstab im großen Tonkrug vor meiner Haustür erinnert mich daran – auch er ein Stück aus dem väterlichen Erbe. Ein Geschenk aus Afrika. Aus knorrigem Holz und mit Liebe geschnitzt. Fast wie ein Bischofsstab – nur viel natürlicher. Oben im Griff ist ein Stein eingewachsen – als sei alles Harte besiegt.

 

Auch, wenn zuerst darüber gestritten wurde, ob die Jünger Jesu einen Wanderstock mitnehmen sollten oder nicht – schon bald wurde der Stab zum Zeichen des Bischofs. Und bis heute signalisiert er die Führerschaft auf dem Weg. Aber die Bischofsstäbe und die Äbtissinnenstäbe sehen schon lange ganz anders aus als der Häuptlingsstab in meinem Krug. Meist sind sie nicht aus einfachem Holz, nicht knorrig und geschnitzt, sondern unbeugsam aus Metall und oft golden verziert. Viel zu groß, um sich darauf zu stützen – Bischofsstäbe dienen dazu, anderen den Weg zu weisen. Im Alltag werden sie nicht gebraucht, auch nicht im Auto unterwegs – nur wenn katholische Bischöfe die Messe eröffnen, kann man ihn sehen, den Bischofsstab. Solche Stäbe dienen dazu, Orientierung zu geben. Mose hatte so einen auf dem Weg durch die Wüste. Und Hirten haben einen, um ihre Herde voran zu treiben.

 

Wenn ich am Wochenende die Walkingstöcke aus dem Steinkrug nehme und auf meine Stocksammlung sehe, dann denke ich manchmal darüber nach, worauf ich mich stütze auf meinem Weg. Welche Wege ich gegangen bin, und welche ich anderen zeigen will. Welche Wegmarken mir wichtig sind in meiner Geschichte – und was ich nicht vergessen will. Was macht mich stark, wenn neue Herausforderungen vor mir liegen?

 

In Gedanken nagele ich die Plaketten auf meinen inneren Wanderstab – meine geistige Orientierungshilfe, meine geistliche Wegzehrung. Ich denke an die Orte, die mich geprägt haben – die Kirche, in der ich getraut wurde, das Diakonieunternehmen, in dem ich gearbeitet habe, den Gemeindeladen in Wickrath, die Gedenkstätte in Ausschwitz-Birkenau, die Gemeinden im Nahen Osten. Und die Briefmarken fallen mir ein, die ich über viele Jahre bei jeder Reise in meine Konfirmationsbibel geklebt habe – als eine Erinnerung an so viele prägende Augenblicke. Vielleicht ist ja die Bibel mein Wanderstock. Ich stütze mich auf die Erfahrungen, die ich mir ihr gemacht habe – ich lerne an denen, von denen sie erzählt. So wie ich meinen Rücken beim Walken trainiere.

05.02.2017
Pfarrerin Cornelia Coenen-Marx