Was wissen wir denn?

Morgenandacht
Was wissen wir denn?
03.06.2015 - 06:35
03.04.2015
Pastor Peter Oßenkop

Heute beginnt in Stuttgart der Deutsche Evangelische Kirchentag. „Damit wir klug werden“ – das ist sein Motto. Der Apostel Paulus hat zum Thema Klugheit eine kritische Meinung: Für ihn ist alles fragwürdig, was Menschen durch eigene Klugheit erreichen. Er ist skeptisch, ob die Denkgebäude, die sich Menschen in ihrem Leben zurechtgezimmert haben, im Ernstfall wirklich tragfähig sind. Allen spekulativen oder, wie man heute vielleicht sagen würde, esoterischen Theorien setzt Paulus entgegen: Ich weiß nichts. Aber er fügt dann etwas Wesentliches hinzu, das alle Klugheit übersteigt, nämlich die vertrauensvolle Bindung an eine Person, an Jesus. Im 1.Korinther-Brief schreibt Paulus: „Ich halte es für richtig, nichts zu wissen als allein Jesus Christus, und zwar den Gekreuzigten“ (1.Kor. 2,2). Ich meine, es ist gut, erst einmal das Nicht-Wissen auszuhalten.

 

Theodor Fontane hat einen Roman geschrieben über den märkischen Gutsherrn Stechlin. Als der alte Stechlin im Sterben lag, empfing er keine Besuche mehr. Nur Pfarrer Lorenzen hatte noch Zutritt zu ihm. „Er kam meist nur, wenn er gerufen wurde. Sonderbar, sagte der Alte, während er in den Frühlingstag hinaus blickte, dieser Lorenzen ist eigentlich gar kein richtiger Pfarrer. Er spricht nicht von Erlösung, auch nicht von Unsterblichkeit; und es ist beinah, als ob ihm so was für alltags zu schade sei. Vielleicht ist es aber auch noch etwas anderes, und er weiß am Ende selbst nicht viel davon. Anfangs habe ich mich darüber gewundert, weil ich mir immer sagte, ja so ein Talar- und Bäffchenmann, der muss das doch schließlich wissen..., wie es um einen steht. Ist gerade wie mit den Doktors. Aber zuletzt begibt man sich und hat die Doktors am liebsten, die einem ehrlich sagen: „Hören sie! Wir wissen es auch nicht. Wir müssen abwarten.“

 

Der alte Stechlin in Fontanes Roman findet sich damit ab, dass sein Pfarrer nicht viel von zukünftigen Dingen weiß. Und er sagt sich: „Hauptsache ein ehrlicher Mensch, der einem nichts vormacht. Von diesen Dingen kann man eben nichts wissen.“

 

Ein ehrlicher Mensch und vielleicht auch ein kluger Mensch: das ist einer, dem bewusst ist, dass alle Lebensgebäude, die man sich gebaut hat, nicht stabil sind. Einer, der weiß, dass das Leben nicht nach Plan verläuft, sondern Lebenspläne durchkreuzt werden: Einer, der sich eingesteht: Im Grunde wissen wir nichts.

 

Ich denke an das kleine Gedicht von Erich Fried:

 

Zweifle nicht

an dem

der dir sagt

er hat Angst

aber hab Angst

vor dem

der dir sagt

er kennt keinen Zweifel

 

Allerdings: Auch wenn ich im Grunde nichts weiß, ist es gut, Vertrauen zu haben und Zuspruch zu bekommen, gerade auch in den dunklen Zeiten des Lebens und Sterbens. Das Nicht-Wissen ist nicht der Endpunkt, bei dem man für immer stehen bleiben sollte, sondern es führt auf den Weg des Vertrauens. Ein Pastor, eine Pastorin wie auch jeder andere Christenmensch kann und muss nicht alles wissen, aber er oder sie könnten Begleiter, Tröstende und Mutmacher sein. In der Nachfolge von Jesus könnten sie mittragen und aushalten; sie laufen nicht weg, wie auch Jesus sich nicht dem Leiden entzogen hat.

 

Vielleicht hätte Pastor Lorenzen dem Sterbenden doch ein Wort der Zuversicht zusprechen sollen, wie es ein Gedicht von Arno Pötzsch tut:

 

Du kannst nicht tiefer fallen

als nur in Gottes Hand,

die er zum Heil uns allen

barmherzig ausgespannt.

Es münden alle Pfade

durch Schicksal, Schuld und Tod

doch ein in Gottes Gnade

trotz aller unserer Not.

Wir sind von Gott umgeben

auch hier in Raum und Zeit

und werden sein und leben

in Gott in Ewigkeit.

 

 

Das Gedicht von Erich Fried findet sich im Band: Gegengift, 1974)

Das Gedicht von Arno Pötzsch steht im Evangelischen Gesangbuch Nr. 533

03.04.2015
Pastor Peter Oßenkop